Politik

Impfpflicht: SPD will mit Union „Korridore“ ausloten

  • Montag, 21. März 2022
/picture alliance, Flashpic, Jens Krick
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Berlin – In der Debatte um eine allgemeine Coronaimpfpflicht will die SPD-Fraktion mit der Union über mögliche Kompromisse sprechen. Man wolle ausloten, „ob es möglicherweise Korridore gibt, auf die wir uns zubewegen können“, sagte Fraktionschef Rolf Mützenich heute.

Ebenso wolle man mit Abgeordneten sprechen, die sich anderen Anträgen angeschlossen hätten. Er halte angesichts der hohen Infektionszahlen eine allgemeine Impfpflicht weiter für erforderlich, sagte Mütze­nich.

Der Bundestag stimmt voraussichtlich im April ohne sonst übliche Fraktionsvorgaben über die Einfüh­rung einer allgemeinen Impfpflicht gegen das Coronavirus ab. Mehrere Anträge liegen vor.

Den größten Rückhalt hat im Bundestag bisher der Entwurf für eine Impfpflicht ab 18 Jahre, den mehr als 230 Abgeordneten unterstützen. Vorgelegt hat ihn eine Gruppe um den Grünen-Experten Janosch Dahmen und SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese.

Daneben gibt es den Entwurf einer Gruppe um den FDP-Abgeordneten Andrew Ullmann für eine Bera­tungspflicht und dann eine mögliche Impfpflicht ab 50 Jahre. Eine Gruppe um FDP-Vize Wolfgang Kubicki lehnt eine Impfpflicht ab. Auch Union und AfD haben Anträge vorgelegt.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich bereits dafür ausgesprochen, dass die Ent­würfe für eine Impfpflicht ab 18 und ab 50 Jahre zusammengeführt werden.

Bei einer Anhörung zur allgemeinen Impfpflicht im Gesundheitsausschuss des Bundestag hatten Fach­leute heute das Für und Wider einer allgemeinen Coronaimpfpflicht erörtert.

Die Virologin Brinkmann vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum verwies zum Beispiel auf die Gefahr neuer Virusvarianten. „Es ist ausgesprochen unwahrscheinlich, dass die jetzige Omikron-Variante die letzte Variante sein wird.“ Sie betonte zugleich, es sei kein Naturgesetz, dass neue Varianten milder wür­den. Dieser Fall könne eintreten, es könne aber auch wieder zu schwereren Verläufen kommen. Deshalb sei es „nach wie vor wichtig, die Impflücke zu schließen“.

Demgegenüber äußerte sich der Virologe Klaus Stöhr zurückhaltend zu einer Impfpflicht. Eine solche würde zwar gegenwärtig dazu führen, dass die Einzelinfektionen abnehmen. „Aber die Krankheitslast würde sich nicht dramatisch reduzieren.“ Im nun beginnenden Frühling werde ohnehin der Infektions­druck nachlassen.

Der GKV-Spitzenverband hält die geplante allgemeine Impfpflicht für derzeit nicht umsetzbar – unter anderem aus Papiermangel. Es herrsche in Europa ein „akuter Papiermangel und somit fehlt Material für die rund 120 Millionen Schreiben“, die zur Information der Versicherten vorgesehen seien, hieß es in Stellungnahme der GKV für die Impfpflicht. Der GKV-Spitzenverband lehnte es zudem ab, dass die Kran­kenkassen die Impfpflicht überwachen sollen. Dies sei eine „staatliche Aufgabe".

Rückendeckung gab es dafür heute von den Kassenverbänden. Der GKV-Spitzenverband habe „zurecht auf die ganz praktischen Probleme in der Umsetzung einer zwangsgeldbewehrten Impfpflicht mit um­fangreichen Erhebungs-, Prüf- und Meldepflichten durch die Krankenkassen“ hingewiesen. Das betreffe konkret die nicht zu haltenden zeitlichen, technischen und organisatorischen Erwartungen der Gesetz­entwürfe zur Umsetzung der Impfpflicht.

Die Folgen wären zahlreiche fehlerhafte Meldungen über säumige Bürger an die Ordnungsbehörden, die Überlastung der Ämter, die Diskreditierung der elektronischen Patientenakte und nicht zuletzt der Kran­kenkassen.

„Ein Zustand, der die Verunsicherung bei Impfskeptikern weiter erhöhen könnte und das Ziel, eine ausrei­chende Impfquote zu erreichen gefährdet“, schreiben die Kassenverbände. Das Vertrauen der Menschen in ihre Krankenversicherung, die für den besonders sensiblen Gesundheitsschutz steht, dürfe „nicht be­schädigt“ werden.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) vertrat die Auffassung in der Anhörung, dass nach der ein­richtungsbezogenen Impfpflicht eine entsprechende Vorgabe für alle kommen müsse. Es sei den Mitar­beitern in den Krankenhäusern nicht länger vermittelbar, dass sie sich impfen lassen müssten, die Pa­tienten aber nicht, hieß es in einer Stellungnahme.

Der Deutsche Städtetag sprach sich klar für eine allgemeine Impfpflicht aus. „Diese Frage muss sorgfältig angegangen und kurzfristig beantwortet werden“, hieß es in der Stellungnahme des kommunalen Spit­zenverbandes.

Der Sozialverband Deutschland positionierte sich in seiner Stellungnahme nicht zu einer allgemeinen Impfpflicht. Wenn es aber zu einer solchen komme, „muss es ein gutes Angebot an fachärztlicher Bera­tung und angemessene Ausnahmen für Menschen mit ernstzunehmenden Vorerkrankungen und Behinderungen geben“, schreibt der Verband.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) betonte heute, wenn es zu einer Impfpflicht kommen sollte, müsse diese „rechtssicher durchführbar und nachvollziehbar sein“. Hierzu seien heute „leider gerade viele technische und organisatorische Fragen völlig offen geblieben“, monierte KBV-Chef Andreas Gassen.

Dazu gehöre, wie man sich einen objektiven Überblick über den Impfstatus der Bevölkerung verschaffen wolle oder wie die praktische Umsetzung einer Impfpflicht erfolgt. Offen sei auch, wer wen, wann und wie zeitnah zum Impfen einladen solle, wo geimpft werde und wer das dokumentiere und kontrolliere.

Darüber hinaus sei zu fragen, welches Impfschema gelten solle und wie man mit neuen Varianten umgehe, wenn die aktuellen Impfstoffe weiter an Wirksamkeit verlören. „Kurzum: Politik muss diese Fragen zeitnah klar beantworten und regeln“, so Gassen.

Ansonsten bringe sie eine Impfpflicht auf den Weg, die als Tiger starte und Bettvorleger lande, weil die zugrundeliegende Regelung praktisch nicht umgesetzt werden könnten. „Die Krankenkassen haben deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich außerstande sehen, beispielsweise eine Impfeinladung zu versenden.“

dpa/afp/kna/EB

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