In der Coronapandemie beschleunigte sich der kognitive Verfall bei Über-50-Jährigen

Exeter – Während der Coronapandemie beschleunigte sich bei Briten über 50 Jahren der kognitive Verfall um mehr als 50 % – selbst wenn sie nie an COVID-19 erkrankt waren. Das zeigt eine Auswertung der PROTECT-Studie, deren Ergebnisse in The Lancet Healthy Longevity publiziert wurden (2023; DOI: 10.1016/S2666-7568(23)00187-3).
„Die langfristigen gesundheitliche Folgen von COVID-19 finden zunehmend Anerkennung. Aber die sozialen Einschränkungen während der COVID-19-Pandemie könnten der kognitiven und psychischen Gesundheit ebenfalls erheblich geschadet haben“, schreiben die Forschenden um Studienleiterin Anne Corbett von der University of Exeter Medical School in Exeter.
Dies gilt den Wissenschaftlern zufolge insbesondere im Hinblick auf das Demenzrisiko, da wichtige Risikofaktoren für Demenz mit der körperlichen Aktivität und der Ernährung zusammenhängen würden. Genau diese Bereiche hätten sich in der Pandemie bei vielen Menschen verschlechtert.
Die Forscher untersuchten die Effekte der Pandemie auf die Kognition älterer Menschen in Großbritannien anhand von Längsschnittdaten der PROTECT-Studie. Im Rahmen dieser Studie nehmen mehr als 3.100 Briten im Alter von 50-90 Jahren jedes Jahr an computerbasierten kognitiven Tests teil, die die exekutive Funktion (Absolvieren komplexer Aufgaben) und das Kurzzeitgedächtnis überprüfen. Auswertbare Daten lagen für die Zeit vor der COVID-19-Pandemie (2019) sowie die ersten beiden Pandemiejahre (2020 und 2021) vor.
Kognitiver Verfall beschleunigte sich signifikant
Die Analyse der kognitiven Leistungsfähigkeit ergab, dass sich die exekutive Funktion und das Kurzzeitgedächtnis im 1. Pandemiejahr in der gesamten Kohorte signifikant schneller verschlechtert hatten als im Jahr vor der Pandemie.
Hatte sich das Kurzzeitgedächtnis im Jahr vor der Pandemie noch um im Schnitt 0,64 % pro Jahr verschlechtert, waren es in den beiden Pandemiejahren 1,16 % - ein um 55 % schnellerer Abbau der kognitiven Fähigkeiten. Bei der exekutiven Funktion erhöhte sich die kognitive Verfallsrate von 0,61 % auf 1,24 %, eine Beschleunigung um 49 %.
Bei Personen, die bereits vor der Pandemie eine leichte kognitive Beeinträchtigung (MCI) aufgewiesen hatten und bei Personen, die tatsächlich an COVID-19 erkrankt gewesen waren, war dieser Effekt besonders stark ausgeprägt. Aber auch wenn diese beiden Personengruppen aus der Analyse herausgenommen wurden, blieb noch immer ein signifikanter Effekt auf exekutive Funktion und Kurzzeitgedächtnis.
Anhaltender Effekt auch noch im 2. Pandemiejahr
Dieser Effekt setzte sich – zumindest im Hinblick auf das Kurzzeitgedächtnis – im 2. Jahr der Pandemie fort. Es verschlechterte sich im Jahr 2021 immer noch schneller als in 2019. Dies deutet den Forschenden zufolge auf einen Effekt hin, der weit über die initialen 12 Monate Lockdown hinausgehe. Diese anhaltenden Veränderungen könnten sich, so Corbett und ihre Kollegen, als besonders bedeutsam für die öffentliche Gesundheit erweisen.
Die Forschungsgruppe untersuchte auch, welche pandemiebedingten Faktoren es waren, die zu dem beschleunigten Abbau der kognitiven Fähigkeiten beitrugen. Sie stellten fest, dass vor allem die Reduktion der körperlichen Aktivität und der erhöhte Alkoholkonsum eine Rolle spielten. In Untergruppen (präexistente MCI, COVID-19-Infektion) bestanden zudem Assoziationen mit Depressionen und/oder Einsamkeit.
Bekannte Risikofaktoren für Demenz im Spiel
Corbett und ihre Kollegen schlussfolgern: „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Lockdowns und Einschränkungen, denen wir in der Pandemie unterlagen, einen bleibenden Effekt auf die kognitive Gesundheit von Menschen über 50 Jahren hatten – selbst dann noch, als die Lockdowns wieder aufgehoben waren. Diese kognitive Verschlechterung war mit Veränderungen bei bekannten Demenzrisikofaktoren assoziiert.“
Sie betonen den Bedarf an Public-Health-Interventionen, die das Demenzrisiko mildern können, speziell bei Personen mit MCI, bei denen ein signifikantes Risiko bestehe, dass sie innerhalb von 5 Jahren eine Demenz entwickeln. Für Personen mit einer COVID-19-Infektion in der Anamnese sollten langfristige Interventionen zur Stärkung der kognitiven Gesundheit in Betracht gezogen werden, ergänzen sie.
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