Politik

Indikations­erweiterungen von Arzneimitteln oft ohne belegten Zusatznutzen

  • Montag, 10. Juli 2023

Köln – Rund jedes zweite neue Arzneimittel bietet in seinem ersten Anwendungsgebiet den Betroffenen einen nachgewiesenen Zusatznutzen gegenüber der Standardbehandlung. Dieser Anteil sinkt aber mit jeder weiteren Indikation, für die das Arzneimittel später ebenfalls eine Zulassung erhält.

Im dritten Anwendungsgebiet ist die Chance eines Zusatznutzens bereits um 45 Prozent kleiner als in der ersten Indikation. Das berichtet eine internationale Arbeitsgruppe im British Medical Journal auf der Basis von Health Technology Assessments aus Deutschland und Frankreich (2023; DOI: 10.1136/bmj-2022-074166).

Die Leiterin des Ressorts Arzneimittelbewertung im Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesund­heitswesen (IQWiG), Beate Wieseler, spricht sich in einem Kommentar im BMJ für Zulassungsregularien aus, die Arzneimittel mit nachgewiesenem Zusatznutzen fördern anstelle von sogenannten Me-too-Präparaten (2023; DOI: 10.1136/bmj.p1466). Ihr Editorial trägt den Titel „Patients need better treatments, not just more of the same“.

Laut Wieseler ist es zwar grundsätzlich sinnvoll, bei bestimmten Indikationen zwischen mehreren Präparaten wählen zu können, etwa um Nebenwirkungen zu minimieren. Aber die Regelwerke sollten dennoch eher An­reize für echte Verbesserungen gegenüber den bisherigen Therapien setzen, indem sie Fördermaßnahmen wie die Verlängerung der Marktexklusivität an den Nachweis eines Zusatznutzens gegenüber vorhandenen Therapieoptionen knüpften.

„Man muss die tatsächlichen Konsequenzen der Arzneimittelgesetzgebung im Detail analysieren, um Fehl­entwicklungen zu erkennen. Dann kann man das Regelwerk evidenzbasiert weiterentwickeln, um Ressourcen bestmöglich einzusetzen, echte Innovationen zu fördern und damit die Versorgung von Patientinnen und Patienten zu verbessern“, so Wieseler. Das derzeitige Regelwerk werde den Erwartungen von Patienten, Öffentlichkeit, Ärzteschaft und Politik nicht gerecht, so ihre Bewertung.

Die Arbeitsgruppe erfasst in ihrer Studie 124 erste und 335 ergänzende Indikationen, die von der Food and Drug Administration (FDA) zugelassen wurden, sowie 88 erste und 215 ergänzende Indikationen, die die europäische Arzneimittelbehörde (EMA) zugelassen hat.

Von den von der FDA zugelassenen Indikationen mit verfügbaren Bewertungen hatten 41 Prozent der Erst­indikationen einen hohen therapeutischen Wert, verglichen mit 34 Prozent der ergänzenden Indikationen. In Europa wiesen 47 Prozent der Erstindikationen und 36 Prozent der ergänzenden Indikationen einen hohen therapeutischen Wert auf.

„Wenn Erst- oder Zusatzindikationen keinen therapeutischen Mehrwert gegenüber anderen verfügbaren Behandlungen bieten, sollte diese Information den Patienten und Ärzten klar mitgeteilt werden und sich im Preis der Arzneimittel niederschlagen“, lautet ein Fazit der internationalen Arbeitsgruppe.

hil

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