Initiative diskutiert über Akzeptanz und Nutzen der Digitalisierung

Berlin – Damit die elektronische Patientenakte (ePA) als Aushängeschild der Digitalisierung im Gesundheitswesen ein Erfolg wird, muss sowohl für Patienten, Ärzte als auch Forschende zügig ein Nutzen geschaffen werden. Darin waren sich die Redner und Diskutanten beim gestrigen politischen Abend der Medizininformatik Initiative (MII) einig.
„Wenn Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort eine gute Rolle spielen soll, wenn Patientinnen und Patienten nicht nur durch ein Weniger an Bürokratie, sondern vor allem durch ein Mehr an Gesundheit von der Digitalisierung profitieren sollen, dann muss die elektronische Patientenakte forschungsoffen gestaltet sein“, sagte Christian Luft, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF).
Allein sein Ministerium werde bis 2021 rund 160 Millionen Euro in die Medizininformatik-Initiative investieren. Mit dem Geld sollen die vier beteiligten Konsortien Datenintegrationszentren aufbauen um Routinedaten aus der Krankenversorgung für die medizinische Forschung nutzbar zu machen. In den Konsortien sind alle Universitätsklinika Deutschlands sowie andere Forschungseinrichtungen und Industriepartner organisiert.
Dies sei eine große Herausforderung, betonte Esti Shelly, Leiterin der Digitalisierungs-Abteilung des Israelischen Gesundheitsministeriums, die eine ähnliche Struktur bereits in Israel aufgebaut hat. Sie stellte vor, wie in Israel mittels einer Kombination staatlicher und privater Gelder und unter Mitwirkung von Krankenkassen und Krankenhäusern 23 Digital-Health-Hubs und 54 Pilotprojekte gestartet wurden.
Mit Blick in die Zukunft sagte sie, angelehnt an ein Zitat von Bill Gates, dass die Erwartungen für die Veränderungen der nächsten zwei Jahre überschätzt, und die Entwicklungen der nächsten zehn Jahre unterschätzt würden.
„Gute zukünftige Forschungsergebnisse allein sind aber kein ausreichender Anreiz für große Veränderungen“, erklärte Shelly in ihrem Vortrag. Bei jedem Schritt der systemischen und klinischen Transformation müsse es klar erkennbare Vorteile geben, sowohl für den individuellen Patienten als auch für die Mitarbeiter der Gesundheitsberufe. „Regierungsstrategie und –handeln müssen sich ständig neu der wandelnden Realität anpassen“, betonte sie.
Die Israelin erläuterte darüber hinaus den Unterschied zwischen primärem und sekundärem Nutzen bei der Analyse von Gesundheitsdaten. Primär kämen die Auswertungen dem Patienten selbst zugute, indem die eigenen Daten zur Verbesserung der Behandlung genutzt würden. Der sekundäre Zweck sei die aus der Forschung hervorgehenden Erkenntnisse für die gesamte Gesellschaft.
Von den hohen Investitionskosten sollen alle profitieren
Dem pflichtete der Geschäftsführer der Gematik, Markus Leyck Dieken, bei. Er hob hervor, dass alle Neuerungen der kommenden Jahre aufeinander aufbauen müssten und davon letztlich alle profitieren könnten. Mit Blick auf Deutschland stellte er den Fahrplan für die Weiterentwicklungen der ePA bis 2025 vor. Dabei wünschte er sich eine enge Zusammenarbeit mit der MII.
Er sprach jedoch auch von hohen Investitionskosten, die besonders auf Krankenhäuser zukämen, die nicht an Universitäten angegliedert sind. Alle Häuser müssten anschlussfähig gemacht werden, betonte er.
Stephan Albani (CDU), Mitglied im Forschungsausschuss des Bundestages, stimmte ihm zu: Große und kleine Krankenhäuser, wie auch die niedergelassenen Ärzte müssten unbedingt bei den Entwicklungen der kommenden Jahre mitgenommen werden. Die Geschwindigkeit der digitalen Transformation sei abhängig vom individuellen Nutzen der ePA. „Die Patienten werden die Ärzte in die Pflicht nehmen, wenn sie einen Nutzen für sich sehen“, sagte er.
„Zurzeit kommt beim Arzt kein Nutzen an“, erwiderte Thomas Kriedel, Vorstandsmitglied der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Daher sei es wichtig, nun schnellstmöglich sinnvolle Anwendungen zu produzieren. Hierfür leiste die MII wichtige Vorarbeit. Die KBV beschäftigt sich aktuell mit der Entwicklung der Medizinischen Informationsobjekte (MIO). Er wünschte sich ähnlich „agile Prozesse“ auch in der Politik.
Maria Klein-Schmeink, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, plädierte dafür, die Öffentlichkeit sowie Patientenverbände und die Wirtschaft in die Entwicklung der ePA stärker einzubinden. „Beteiligen Sie die Bevölkerung, sonst wird das auf lange Sicht nicht funktionieren“, mahnte sie. Patienten bräuchten ein Gefühl von Sinnhaftigkeit der neuen Anwendungen, bekräftigte die Politikerin.
Auch fehle bisher die gesetzliche Grundlage, um Patientendaten an die Forschung weitergeben zu können. Das Problem seien die 16 unterschiedlichen Datenschutzgesetze der Länder, die einen Austausch der Daten erschweren. Transparente und valide Informationen könnten hier die öffentliche Debatte erleichtern, sagte Klein-Schmeink.
Akzeptanz der Digitalisierung fördern
Hans-Ulrich Prokosch, Professor für Medizininformatik an der Universität Erlangen-Nürnberg, stellte zudem die Wichtigkeit einer standardisierten Einwilligungserklärung für Patienten heraus. Hierfür war von der MII eine bundesweite Blaupause erarbeitet worden.
Laut einer Forsa-Umfrage seien 80 Prozent der Bevölkerung bereit, ihre Daten für Forschungszwecke zu spenden. Allerdings müsse es möglich sein, aus den riesigen Datenmengen rechtssicher Rückschlüsse auf den individuellen Patienten zu ziehen, damit dieser direkt vom primären Nutzen profitiere.
Die Medizininformatik-Initiative baue aktuell zudem eine Forschungsdatenbank auf, über die Forschende auf die Datenintegrationszentren zugreifen können sollen. Als Ergänzung zu anonymisierten Daten bräuchte die Forschung „unbedingt eine Verknüpfbarkeit mit einwilligungsbasierten Forschungsvorhaben, die pseudonymisierte Daten nutzen“, erklärte Prokosch, der auch Mitglied des nationalen Steuerungsgremiums der MII ist.
Dass Deutschland bislang bei der Digitalisierung hinterherhinkt, zeigte Thomas Kostera, Experte für Gesundheitssysteme bei der Bertelsmann Stiftung. Diese hatte 2018 in einer internationalen Studie zum Stand der Digitalisierung Deutschland auf den vorletzten Platz verwiesen. Die digitale Aufholjagd habe nun aber begonnen. Jetzt brauche es eine bessere Koordinierung um die Akzeptanz zu fördern, sagte er.
International hätten sich Standardisierungsbehörden als nützlich erwiesen, welche die Kodierungen von Gesundheitsdaten vorgeben. So würden die Daten strukturiert, vereinheitlicht und für die Forschung nutzbar gemacht. „Sonst erzeugen wir nur mehr Daten, aber keine Verbesserung der Versorgung“, meinte er.
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