Medizin

Intelligente Software ermöglicht digitale Zweitmeinung bei Anti-VEGF-Injektion

  • Donnerstag, 23. November 2017
Injektion mit Antikörpern gegen Wachstumsfaktoren (Anti-VEGF) in den Glaskörper des Auges am UKR.
Injektion mit Antikörpern gegen Wachstumsfaktoren (Anti-VEGF) in den Glaskörper des Auges am UKR. /UKR

Regensburg – Ob eine Netzhauterkrankung durch Injektionen mit Antikörpern gegen Wachstumsfaktoren (Anti-VEGF) in den Glaskörper behandelt werden kann, entscheiden Ophthalmologen häufig auch anhand der optischen Kohärenztomografie (OCT). Ebenso gut könnte diese Entscheidung ein künstliches neuronales Netzwerk treffen, das von einer Forschergruppe des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) trainiert wurde.

In bis zu 96 Prozent der Fälle treffen Arzt und Computer die gleiche Therapieentschei­dung in Bezug auf Anti-VEGF-Injektionen. Das Ergebnis der Studie wurde im Graefe's Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology publiziert (2017; doi: 10.1007/s00417-017-3839-y).

Eine Forschergruppe um Philipp Prahs hat einer intelligenten Software beigebracht, OCT-Scans ohne menschliche Intervention auszuwerten und zu erkennen, ob eine Indikation zur Behandlung gegeben ist. Die Wissenschaftler haben dafür über 165.000 retinale OCT-Scans, die zwischen 2008 und 2016 aufgenommen wurden, in ein künst­liches neuronales Netzwerk eingespeist.

Jede Aufnahme wurde mit den durchgeführten Injektionen referenziert. Die OCT-Bilder, auf die in den ersten 21 Tagen nach der Aufnahme eine intravitreale Injektion folgte, ordneten die Forscher der Injektions­gruppe zu. Die gleiche Menge an zufälligen OCT-Bildern ohne anschließende intra­vitre­ale Injektionen kennzeichneten sie als injek­tionslos. Danach musste das Computerprogramm bei weiteren 17.000 Aufnahmen selbst beurteilen, ob es eine Injektion durchführen würde.

Im Ergebnis zeigte es eine beeindruckende Leistung bei der Klassifikation von retinalen OCT-Scans: In bis zu 96 Prozent der Fälle deckte sich die Entscheidung der künstlichen Intelligenz in Bezug auf die Anti-VEGF-Injektion mit der der Augenärzte. „Das Computerprogramm nimmt nach einem Lernprozess bei der Analyse von neuen OCT-Bilddaten eine Art Rasterfahndung nach bestimmten anatomischen Merkmalen im kompletten Bildarchiv vor. Bei der Beurteilung eines neuen Bildes schöpft es also aus dem Erfahrungsschatz der 165.000 verfügbaren Aufnahmen“, erklärt Erstautor Prahs, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde am Universitäts­klinikum Regensburg.

Deep learning: Software lernt eigenständig, OCT-Bilder zu klassifizieren

Bei der Programmierung einer solchen Software wird die Funktionsweise der Nervenzellen im menschlichen Gehirn virtuell imitiert. Durch die als „deep learning“ bekannte Methode erlangt das Programm die Fähigkeit, zu lernen und eigenständig Bilder zu beschreiben, Gesichter zu erkennen oder auch OCT-Bilder zu klassifizieren. „In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelli­genz und der Bildverarbeitungsforschung erzielt. Wir haben diese Erkenntnisse auf die Analyse von OCT-Scans übertragen“, beschreibt Prahs die seiner Studie zugrunde­ liegende Logik.

Wird also künftig ein Computer statt eines Augenarztes beurteilen, ob ein Patient mit altersbedingter Makuladegeneration eine Injektion ins Auge erhält? „Natürlich spielen bei der Entscheidung des Arztes im Gegensatz zur Software noch andere Komponenten als das reine OCT-Bild eine Rolle“, beruhigt Prahs. Dennoch könnten derartige maschi­nelle Lernmethoden den Kliniker unterstützen – sozusagen als digitale Zweitmeinung und als schnell zugängliches Archiv der augenärztlichen Kompetenz aus der Vergan­gen­heit. „Es sollte allerdings darauf geachtet werden, die Entscheidung des virtuellen Gehirns nicht als primäre Behandlungsempfehlung zu interpretieren und eine abschließende gründliche Bewertung durch den behandelnden Arzt sicherzustellen“, empfiehlt Prahs.

gie/idw

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