IPPNW: Abschiebepraxis geflüchteter Menschen humanisieren

Berlin – Auf die gesundheitlichen und humanitären Folgen der Abschiebepraxis von Geflüchteten haben die Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) heute bei einer digitalen Pressekonferenz aufmerksam gemacht. Anlass ist ein neuer IPPNW-Report, der die Folgen der Abschiebepraxis der vergangenen Jahre beleuchtet.
Posttraumatische Belastungsstörungen und Traumafolgestörungen müssten in jedem Verfahren berücksichtigt werden und jederzeit ins Verfahren eingebracht werden können, fordert die deutsche Sektion der IPPNW. Bei Verdacht auf eine psychische Erkrankung müssten die beteiligten Behörden Atteste von behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten zur Grundlage von Entscheidungen machen.
„Abschiebungen sind für geflüchtete Menschen der Endpunkt einer langen Kette extremer Belastungen. Viele von ihnen sind chronisch krank und werden aber nicht solche erkannt“, sagte Ernst-Ludwig Iskenius, der bis 2013 ärztlicher Leiter eines Behandlungszentrums für traumatisierte Flüchtlinge war.
Grund hierfür sei die „völlig unzureichende medizinische Versorgung“ in den Aufnahmeeinrichtungen und vor allem in den neuen Ankerzentren. Atteste von Ärzten, die den Asylsuchenden gesundheitliche Gründe gegen eine Abschiebung bescheinigten, würden vor allem bei psychischen Erkrankungen wie posttraumatischen Belastungsstörungen oft nicht anerkannt, kritisierte Iskenius.
Staatlich verordnete Gewaltanwendungen
Menschen würden zum Teil direkt aus der stationären Behandlung heraus abgeschoben, mitten in der Nacht oder aus Schulen und Kitas, berichtete er. Iskenius bezeichnete Abschiebungen als „staatlich verordnete Gewaltanwendungen“.
Die IPPNW fordert Abschiebungen von Kindern und Jugendlichen ganz abzuschaffen, da sie Kindeswohl, Entwicklung und Gesundheit massiv gefährdeten. Auch nächtliche Abschiebungen ohne Ankündigung müssten gestoppt werden, besonders in Wohnheimen und Aufnahmeeinrichtungen.
Zudem müssten Krankenhäuser und Kliniken sowie Kindergärten und Schulen als geschützte Orte geachtet und gesichert werden. Außerdem fordert die IPPNW, die EU-Richtlinie zur frühzeitigen Identifizierung von vulnerablen Menschen und Gruppen in nationales Recht zu übernommen und umzusetzen.
Von einem „großen Misstrauen“ des Gesetzgebers gegenüber Ärzten und Psychotherapeuten, die psychisch kranke asylsuchende Menschen behandeln und begutachten, berichtete Gisela Penteker, Allgemeinärztin und Mitglied im Vorstand des Netzwerks für traumatisierte Flüchtlinge Niedersachsen, bei der Pressekonferenz.
„Die Unterstellung, wir würden Gefälligkeitsatteste ausstellen, schwingt immer mit“, sagte sie. Ärzte, die sich entsprechend des Curriculums der Bundesärztekammer „Standards zur Begutachtung psychisch reaktiver Traumafolgen in aufenthaltsrechtlichen Verfahren (SBPM) fortgebildet haben, „werden von den Behörden selten beauftragt“, berichtete Penteker.
Die IPPNW befürchtet, dass der geplante „EU-Migrationspakt“ das deutsche Asylrecht und die Menschenrechte von Schutzsuchenden noch weiter aushöhlen könnte. Als Reaktion auf steigende Flüchtlingszahlen habe die Bundesregierung die Asylverfahren in den vergangenen Jahren bereits beschleunigt und zahlreiche aufenthaltsrechtliche Änderungen umgesetzt, um Abschiebungen zu erleichtern.
Die Berufung auf gesundheitliche Gründe als Abschiebehindernisse und die Ausstellung von Attesten sei dadurch erschwert worden. Eine Abschiebung selbst bei schwerwiegender Erkrankung solle nun grundsätzlich legal sein, wenn die Gesundheitsversorgung im Zielland als gewährleistet gilt, fasst die IPPNW zusammen.
Allgemeinärztin Gisela Penteker will die „sehr heterogene Ärzteschaft“ dafür sensibilisieren, sich nicht von den Behörden instrumentalisieren zu lassen. „Ärzte müssen ihr Handeln ausschließlich am Wohle des Patienten ausrichten“, sagte sie.
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