IQWiG fordert Nutzenbewertung auch für Orphan Drugs
Köln – „Der Verzicht auf eine Bewertung des Zusatznutzens bei Orphan Drugs hat sich nicht bewährt.“ Dieses Fazit zieht der Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Jürgen Windeler, im gerade erschienenen Jahresbericht 2015 des Instituts. Gleiches gelte für Arzneimittel, die schon vor 2011 zugelassen wurden, dem sogenannten Bestandsmarkt, heißt es im zugehörigen Abschnitt des Berichtes (Seite 28).
„Besser wäre es, sie durchliefen ebenfalls eine reguläre Bewertung. Denn kommen Arzneimittel aufgrund weniger belastbarer Daten auf den Markt, birgt dies ein höheres Risiko für Patienten“, schreibt Windeler.
Hintergrund ist die Sonderregelung für Orphan Drugs: Das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) geht im Augenblick automatisch von einem Zusatznutzen aus, wenn ein Medikament für seltene Erkrankungen zugelassen wird. Erst wenn der Hersteller mit dem Medikament mehr als 50 Millionen Euro pro Jahr umsetzt, sieht das Gesetz eine Nutzenbewertung nach dem üblichen Verfahren vor.
Das IQWiG plädiert in seinem Bericht für grundsätzlich hohe Standards bei der Nutzenbewertung. „Mit Sorge beobachten wir deshalb, dass auf europäischer Ebene die Standards für den Marktzugang von Medikamenten abgesenkt werden sollen“, schreibt Windeler. Er bezieht sich damit auf ein Konzept namens „Adaptive Pathways“, welches das IQWiG auf seinem Herbst-Symposium 2015 diskutiert hatte.
Dieses Verfahren soll Arzneimittel für kleine Patientengruppen schneller zulassen, wenn herkömmliche Zulassungsstudien für kleine Patientenpopulationen wegen der Rekrutierung schwer umzusetzen sind. Bei dem neuen Verfahren sollen Arzneimittel auf schmalerer Datenbasis schneller in den Markt gebracht und weitere Daten zu Wirksamkeit, Sicherheit und Nutzen für eine breitere Anwendung erst nach der Zulassung in der Versorgung generiert werden – als sogenannte Real World Data. Die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hatte Anfang August einen Bericht zu einem entsprechenden Pilotprojekt vorgestellt.
„Gerade in Deutschland ist es unmöglich, zugelassene Medikamente nur eng begrenzt einzusetzen und engmaschig zu kontrollieren, um dabei weitere Evidenz zu generieren“, warnt Windeler im Jahresbericht. Hersteller könnten mit dem neuen Verfahren vielleicht ihre Entwicklungskosten senken, aber Patienten müssten dafür den Preis bezahlen: Mehr Unsicherheit, so der IQWiG-Leiter.
Der neue Jahresbericht für 2015 enthält auch eine Übersicht über die Leistungen des Instituts. Danach hat das IQWiG von 2004 bis zum 31. Dezember 2015 insgesamt 466 Aufträge vom Gemeinsamen Bundesausschuss und dem Bundesministerium für Gesundheit erhalten. Davon hat es im selben Zeitraum 380 abgeschlossen. 22 Aufträge wurden zurückgenommen und 20 bis auf Weiteres ruhend gestellt.
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