IQWiG sichtet Evidenz zum Chronischen Fatigue-Syndrom

Köln – Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat den Kenntnisstand bei der Myalgischen Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom (ME/CFS) gesichtet, die Vor- und Nachteile zweier Therapien bewertet, Handlungsempfehlungen vorgelegt und eine vierteilige Gesundheitsinformation entwickelt.
Den Auftrag dazu hatte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Frühjahr 2021 erteilt. Nach einem Vorbericht im Herbst 2022 und einem Stellungnahmeverfahren unter reger Beteiligung von Fachgesellschaften, Forschenden, Betroffenen und Betroffenenorganisationen liegt nun der finale Bericht vor.
ME/CFS ist eine chronische Erkrankung, die die Lebensqualität vieler Betroffener stark einschränkt. Zu den Beschwerden zählen unter anderem Fatigue, also starke Erschöpfung, Schmerzen sowie Schlaf- und Konzentrationsstörungen.
Obwohl ME/CFS bereits 1969 von der WHO als neurologische Krankheit klassifiziert wurde, sind die Ursachen nach wie vor nicht geklärt. Erste ME/CFS-Symptome setzen oft nach einer Infektion oder einem Trauma ein. Mangels eindeutiger Biomarker für ME/CFS orientiert sich die Diagnose an den Symptomen, die aber sehr unterschiedlich ausfallen können.
Diese Symptome können sich schon nach leichten körperlichen oder geistigen Aktivitäten für Tage oder auch Wochen verschlimmern. Diese Belastungsintoleranz oder Post-Exertional Malaise (PEM) gilt als Leitsymptom der Erkrankung.
Insgesamt schätzt das IQWiG die Anzahl von Patientinnen und Patienten mit ME/CFS in Deutschland in der Zeit vor der Coronapandemie auf ungefähr 140.000 bis 310.000. Da ein Teil der Post-COVID-Patienten die ME/CFS-Diagnosekriterien erfüllt, dürfte die Zahl seither gestiegen sein. Eine verlässliche Schätzung ist aber laut dem Institut aufgrund fehlender Daten noch nicht möglich.
Zu den Vor- und Nachteilen von Behandlungen sind laut dem IQWiG nur wenige Aussagen möglich: Nur zur kognitiven Verhaltenstherapie (CBT) und zur Aktivierungstherapie (GET) zeigten sich in je zwei Studien statistisch signifikante positive Effekte gegenüber einer ärztlichen Standardversorgung.
Das IQWiG leitet für die CBT einen Anhaltspunkt für einen kurz- und mittelfristigen Nutzen ab, der sich etwa in den Endpunkten Fatigue, soziale Teilhabe oder Krankheitsgefühl nach Anstrengung ausdrückt. Für einen längeren Zeitraum liegen keine Daten vor. Zur Bewertung der Vor- oder Nachteile einer CBT bei Patienten mit höherem ME/CFS-Schweregrad gibt es keine geeigneten Studien.
„Unsere Ergebnisse machen klar, dass eine CBT die Erkrankung nicht heilen kann. Sie ist aber ein Angebot vor allem an leichter erkrankte Patientinnen und Patienten, etwas besser mit ihrer Situation zurechtzukommen“, sagte Daniel Fleer, Bereichsleiter im IQWiG-Ressort Nichtmedikamentöse Verfahren.
Für die GET – also eine schrittweise Erhöhung der körperlichen Aktivität, ausgehend von einem individuellen Ausgangswert – zeigen zwei Studien für Betroffene mit leichter bis moderater ME/CFS in mehreren patientenrelevanten Endpunkten zwar statistisch signifikante, aber im Mittel nur kleine Vorteile gegenüber der Standardtherapie. „Die klinische Relevanz der meisten Aktivierungseffekte bleibt fraglich“, hieß es aus dem IQWiG.
Außerdem verweisen mehrere Stellungnahmen zum Vorbericht darauf, dass Patienten mit ME/CFS nach Therapien, die eine Steigerung der körperlichen Aktivität beinhalteten, über Zustandsverschlechterungen berichteten. Das IQWiG hat auf der Basis seiner Recherchen Handlungsempfehlungen für die Gesundheitspolitik, die Ärzteschaft und die Wissenschaft formuliert.
„Dringend erforderlich ist ein internationaler Konsens über die Diagnosekriterien, und zwar mit möglichst klaren diagnostischen Parametern“, erläuterte Fleer. Wichtig ist laut Klaus Koch, Leiter des Ressorts Gesundheitsinformation im IQWiG, zudem „eine leicht auffindbare, sachliche und verständliche Aufklärung über ME/CFS“. Entsprechende Lehrinhalte sollten zudem in die Aus- und Weiterbildung von Gesundheitsberufen integriert werden, so seine Empfehlung.
Die Erforschung von ME/CFS steht auch politisch im Fokus. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hob etwa am 12. Mai in einem Grußwort beim ME/CFS-Symposium hervor, dass vor allem das Verständnis der Ursachen und des Verlaufs der Erkrankung zu einer wirksamen und effizienten Versorgung führen könne. Zudem solle der Gemeinsame Bundesausschuss voraussichtlich bis Ende des Jahres eine Richtlinie zur Versorgung von Long und Post COVID vorlegen, die ebenfalls ME/CFS enthalten müsse, so Lauterbach.
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