Isolation in der Antarktis verändert die Hirnstruktur – zumindest vorübergehend

Philadelphia – Ein Jahr in extremer Abgeschiedenheit wirkt sich messbar auf die Struktur des Gehirns aus. Das zeigt eine neue Studie unter Leitung einer Gruppe der US-amerikanischen University of Pennsylvania, an der auch Forschende der Charité Berlin beteiligt war. Die Arbeitsgruppe untersuchte per MRT das Gehirn von 25 Personen, die 12 Monate auf der abgelegenen antarktischen Forschungsstation Concordia verbrachten.
Die Ergebnisse, veröffentlicht in npj Microgravity (2025; DOI: 10.1038/s41526-025-00497-6), legen nahe: Unter den Bedingungen von Isolation, Monotonie und Hypoxie kommt es zu einem vorübergehenden Rückgang der grauen Substanz in mehreren Hirnregionen – insbesondere im Hippocampus, im Thalamus sowie in den Temporal- und Parietallappen.
5 Monate nach der Rückkehr hatten sich die Volumenverluste größtenteils zurückgebildet – mit einer auffälligen Ausnahme: Der Thalamus blieb auch langfristig in seiner Größe reduziert. Parallel nahm das Volumen der Hirnventrikel während der Antarktismission zu und blieb auch nach der Rückkehr teilweise erhöht.
Die weißen Hirnareale waren ebenfalls vorübergehend betroffen – da sich die Messungen der aktuellen Studie aber auf die graue Hirnsubstanz fokussierten, seien diese Beobachtungen vorläufig, schränken die Autorinnen und Autoren selbst ein, obschon frühere Arbeiten ähnliche Ergebnisse erbracht hätten.
Chronischer Stress und Einsamkeit als Auslöser?
Die Concordia-Station gilt als Modellumgebung für sogenannte ICE-Bedingungen (Isolated, Confined, Extreme), wie sie auch auf Raumfahrtmissionen oder in U-Booten herrschen. Sie befindet sich an einem der entlegensten Orte der Erde: auf dem Eisdom Dome Charlie im Wilkesland der Ostantarktis, etwa 3.200 Meter über dem Meeresspiegel. In dieser Höhe ist die Luft sehr dünn und ihr Sauerstoffgehalt geringer.
Der Zugang zur Station ist nur während des antarktischen Sommers von November bis Februar möglich, im antarktischen Winter können die Temperaturen auf -80 °C fallen. Zudem gibt es während dieser Jahreszeit 4 Monate lang kein Tageslicht.
All jene extremen Bedingungen scheinen sich der aktuellen Studie zufolge auf das Gehirn auszuwirken. Neben physikalischen Stressoren wie Kälte und Hypoxie gelten soziale Isolation, fehlende Rückzugsmöglichkeiten, gestörter Tag-Nacht-Rhythmus und eingeschränkte Reize als Belastungsfaktoren.
Die beobachteten Veränderungen im Gehirn passen zu früheren Studien, die zeigen, dass chronischer Stress und Einsamkeit mit Hirnstrukturveränderungen einhergehen können – insbesondere in Arealen, die für Gedächtnis, Sinnesverarbeitung und emotionale Regulation verantwortlich sind.
Schlafqualität als möglicher Schutzfaktor
Dabei zeigte die Studie auch: Crewmitglieder, die während der Überwinterung besser schliefen, wiesen geringere Volumenverluste auf – insbesondere im Hippocampus, einer Region, die für Gedächtnisbildung und Stressverarbeitung wichtig ist.
„Wenn sich diese Ergebnisse in zukünftigen Studien bestätigen, unterstreichen sie die Bedeutung von ausreichend Schlaf für das Gehirn in Umgebungen, die das Gehirn auf andere Weise belasten (zum Beispiel Isolation, Eingeschränktheit, Lebensgefahr, Hypoxie)“, heißt es in der Studie dazu.
Die Beobachtung, dass Astronauten der Internationalen Raumstation ISS regelmäßig weniger als die empfohlenen 7-8 Stunden pro Tag schliefen, gebe angesichts dieser Ergebnisse Anlass zur Sorge.
Auch die Nutzung des Fitnessraums korrelierte mit stabileren Hirnstrukturen, während leichte oder moderate Alltagsaktivität keinen messbaren Einfluss hatte.
Die kognitiven Leistungen litten hingegen kaum – im Gegenteil: In einigen Tests schnitten Personen mit größerem Volumenrückgang sogar besser ab. „Wir vermuten, dass die Schonung neuronaler Ressourcen durch eine Verringerung des Gehirnvolumens eine adaptive Maßnahme ist, um während längerer Stressphasen ein optimales Leistungsniveau aufrechtzuerhalten“, mutmaßen die Forschenden dazu. Zur Bestätigung und Interpretation dieser Hypothese seien indes weitere Untersuchungen erforderlich.
Studiendesign: MRT, Verhaltenserfassung, Kontrollgruppe
Die Teilnehmenden wurden jeweils vor dem Aufenthalt in der Antarktis, unmittelbar nach der Rückkehr sowie rund 5 Monate später per hochauflösender Magnetresonanztomografie untersucht. Parallel dazu erfasste das Team objektive Schlaf- und Bewegungsdaten durch am Handgelenk getragene Aktivitätsmesser, die Aufenthaltsdauer im Fitnessraum sowie kognitive Leistungen in standardisierten Tests.
Ein Kontrollkollektiv wurde im gleichen Zeitraum ohne Antarktisaufenthalt untersucht, um natürliche altersbedingte Veränderungen auszuschließen.
Kleine Stichprobe, eingeschränkte Übertragbarkeit
Wie viele Studien unter extremen Bedingungen ist auch diese durch ihre geringe Stichprobengröße limitiert – und durch die Tatsache, dass es sich um eine hochselektierte Gruppe gesunder, leistungsfähiger Freiwilliger handelte.
Kausale Aussagen lassen sich aus den explorativen Korrelationen nicht ableiten. Zudem fehlen Daten zu Ernährung, Hydratation und hormonellen Stressmarkern. Nicht zuletzt wurden die MRT-Scans aus logistischen Gründen an verschiedenen Standorten durchgeführt – trotz Harmonisierung bleibt so ein gewisses Maß an methodischer Unsicherheit.
Mögliche Relevanz für eine einsamer werdende Gesellschaft
Die Ergebnisse sind nicht nur für künftige Langzeitmissionen im All relevant, bei denen Crewmitglieder Monate oder Jahre unter extremen Bedingungen leben müssen. Sie werfen auch ein Schlaglicht auf die Folgen von sozialer Isolation in der Gesellschaft – ein Thema, das angesichts einer wachsenden Zahl älterer und alleinlebender Menschen sowie Erfahrungen aus der COVID-19-Pandemie zunehmende Bedeutung gewinnt.
„Darüber hinaus hat die Relevanz der aktuellen Ergebnisse mit der zunehmenden Isolation der Bevölkerung insgesamt zugenommen“, wird dazu in der Studie bilanziert. Die Ergebnisse könnten entsprechend für die breite Öffentlichkeit von Interesse sein, da viele Menschen in den vergangenen Jahren unter chronischem Stress gelitten hätten.
Einen derartigen Zusammenhang hatte auch ein „Umbrella Review“ mit Daten aus der Zeit vor der Coronapandemie belegt: Die in BMJ Open veröffentlichte Arbeit (2021; DOI: 10.1136/bmjopen-2020-042335) von Psychologinnen und Psychologen der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster zeigte, dass einsame Menschen häufiger unter chronischen körperlichen Beschwerden, Gebrechlichkeit, Herzerkrankungen, Schlaganfällen oder Unterernährung litten. Darüber hinaus hätten sie häufiger psychische Beschwerden und kognitive Beeinträchtigungen.
Tatsächlich zeigte das 2024 erstmals veröffentlichte Einsamkeitsbarometer, dass sich Einsamkeit auch hierzulande durch die gesamte Gesellschaft zieht – mit negativen Folgen für die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen.
Eine kürzlich vom Deutschen Zentrum für Altersfragen (DZA) veröffentlichte Studie (2025; DOI: 10.60922/e2ef-ct55) warf zudem einen genaueren Blick auf die 2. Lebenshälfte (ab 43 Jahren) und ergab hier höhere Einsamkeitswerte im mittleren als im hohen Erwachsenenalter (ab 76 Jahren). Männer und armutsgefährdete Menschen waren außerdem stärker betroffen. Allerdings scheinen die Werte in Deutschland insgesamt deutlich geringer als in den USA, wo schon von einer „Einsamkeitsepidemie“ die Rede ist.
Inwiefern sich nun die Ergebnisse der aktuellen Studie auf andere Bevölkerungsgruppen übertragen lassen, die etwa stark von Einsamkeit betroffen sind, aber nicht unter antarktischen Extrembedingungen leben, muss in weiteren Forschungsarbeiten untersucht werden.
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