Jugendliche zeigen sich zukunftsoptimistisch, aber trotzdem besorgt

Berlin – Jugendliche in Deutschland blicken trotz multipler Krisen optimistisch in die Zukunft. Gleichzeitig sorgen sie sich um Umwelt und Klimawandel sowie die Zunahme von Rassismus und Diskriminierung in der Gesellschaft. Eine gute Gesundheit ist Jugendlichen in Deutschland seit der Coronapandemie wichtiger geworden. Dies geht aus den Ergebnissen der SINUS-Jugendstudie 2024 hervor, die gestern in Berlin vorgestellt wurde.
„Diese Generation hat nur Krisen erlebt“, sagte Thomas Krüger, Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). „Deshalb ist es für mich ein interessanter Befund, dass das nicht zu Pessimismus führt, sondern ein hoher Grad an Selbstmanagement und Bewältigungsstrategien freigesetzt wird“. Andererseits hätten sie es auch nicht anders kennengelernt.
Marc Calmbach, Geschäftsführer des SINUS Instituts ergänzte: „Die Krisen stapeln sich und die Jugendlichen bewahren sich den Bewältigungsoptimismus“. Politische Krisen wie Kriege, Energieknappheit und Inflation würden zwar registriert, viele versuchten jedoch, solche Probleme zu verdrängen oder entwickelten „Coping-Strategien“, auch, weil sie sich kognitiv oder emotional überfordert fühlten.
Eine Ausnahme stellen den Ergebnissen zufolge Themen wie der Klimawandel und Diskriminierung dar. In dieser Hinsicht zeigten sich die befragten Teenager sensibilisiert und ernster und besorgter als zuvor. Insbesondere Diskriminierung gehört für viele zum Alltag, vor allem in der Schule. Viele blicken verunsichert auf die schwer einzuschätzende Migrationsdynamik und die Zunahme von Rassismus. Warum Menschen aufgrund von Andersartigkeit diskriminiert oder ausgeschlossen werden, ist für die meisten unbegreiflich.
Toleranz für Diversität ist den befragten Jugendlichen generell sehr wichtig. Neben der Akzeptanz pluralisierter Lebensformen und Rollenbilder ist die Generation besonders für Gendergerechtigkeit sensibilisiert. „Die Jugendlichen zeigen eine demonstrative Offenheit dafür, wenn insbesondere junge Menschen ihr Geschlecht als non-binär definieren“, berichtete Tim Gensheimer vom SINUS Institut und Mitautor der Studie.
Dass die Krisen und Umbrüche in der Gesellschaft nicht spurlos an den Jugendlichen vorbeigehen, zeigt sich an der berichteten Sehnsucht nach Zugehörigkeit, Halt und Geborgenheit in Familie, Freundeskreis und Gesellschaft. Diese Werte scheinen vielen Jugendlichen wichtiger zu sein als ein Ausbrechen aus dem Elternhaus und Experimentieren.
Der früher in der Jugend verbreitete Hedonismus sei deutlich zurückgegangen, betonte Gensheimer. Vielmehr strebten die Teenager nach einer Normalbiografie mit fester Partnerschaft, Kindern und einem guten Job.
Mentale Gesundheit und Sport
Die Sozialen Medien sind für die meisten Jugendlichen ein fester Bestandteil des Alltags. Trotz alledem sind ihnen die Auswirkungen des Social-Media-Konsums auf das eigene Befinden und die (psychische) Gesundheit durchaus bewusst. In der Studie zeigten viele ein wachsendes Unbehagen.
Die befragten Teenager berichteten unter anderem von „verplemperter Lebenszeit“, Reizüberflutung, Suchtverhalten und Stress, weil sie sich mit geschönten Darstellungen vergleichen würden. Um dem entgegenzuwirken, schalten demnach viele (v.a. bildungsnahe) Jugendliche ihr Smartphone aus, löschen Apps oder sprechen mit Familie und Freunden über ihre Probleme, heißt es in der Studie.
Andererseits hätten die Sozialen Medien auch für das Thema mentale Gesundheit sensibilisiert. „Jugendliche erkennen, dass Social Media sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die psychische Gesundheit haben kann“, betont die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz (afj), die die SINUS-Jugendstudie mit in Auftrag gegeben hat. „Positive Aspekte sind die Enttabuisierung von Mental-Health-Problemen und die Bereitstellung von Hilfsangeboten. Negative Aspekte sind Mobbing, Vergleichsstandards, Reizüberflutung und Zeitverschwendung“.
Um Alltagsstress abzubauen und Probleme zu vergessen, machen viele Jugendliche Sport. Unabhängig von Geschlecht, Lebenswelt und Bildung sprachen die meisten von einem „guten Gefühl“, das sich nach dem Sport einstelle. Zudem empfanden sie die Sportstätten als wichtige Orte der Begegnung und des Zusammenkommens, an denen Freundschaften geschlossen und geprägt werden.
„Bewegung und Sport sind nicht nur essenziell für die körperliche Gesundheit, sondern auch für die seelische Ausgeglichenheit“, betonte auch Franziska Fey, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Fußballliga (DFL), die die Studie ebenfalls mit beauftragt hatte. „Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass Jugendliche vielfältige und qualitativ hochwertige Bewegungsorte in ihrem Sozialraum vorfinden“.
Viele Teenager hatten beklagt, dass es insbesondere im ländlichen Raum an Sportplätzen, Fitnessstudios und Schwimmbädern fehle und in der Stadt zu wenig Grünflächen zur Verfügung stünden, die zur Bewegung einladen.
Auch eine gute Gesundheit ist vielen Jugendlichen zu einem wichtigen Anliegen geworden. „Viele erachten sie inzwischen als Leitwert – die Pandemie war der Auslöser dafür“, berichtete der Geschäftsführer des SINUS Instituts auf Nachfrage abschließend.
Die SINUS Jugendstudie erfasst alle vier Jahre die soziokulturelle Verfassung sowie die Alltags- und Lebenswirklichkeit von 14-17-Jährigen. Es handelt sich um eine qualitativ-empirische Untersuchung, die sich aus explorativen Interviews, O-Tönen und einer Vielzahl persönlicher Zeugnisse (Skizzen, Collagen, Fotos der Jugendzimmer u.Ä.) der Jugendlichen zusammensetzt. Für die diesjährige Studie wurden 72 Jugendliche in 26 deutschen Regionen aller Lebenswelten befragt.
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