Vermischtes

Junge Erwachsene mit Sozialleben unzufrieden

  • Mittwoch, 29. Mai 2024
/motortion, stock.adobe.com
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Wiesbaden – Junge Erwachsene leiden weiterhin unter Einsamkeit. Trotz eines leichten Abfalls im Winter 2022/2023 ist das Gefühl der Einsamkeit weiterhin verbreitet und befindet sich deutlich über dem Niveau vor der Pandemie. Dies zeigen Ergebnisse einer Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), die heute in Wiesbaden vorgestellt wurde.

Mit Beginn der Coronapandemie war der Anteil der Einsamen im jungen und mittleren Erwachsenenalter abrupt auf rund 41 Prozent angestiegen, 2021 lag er bei fast 47 Prozent. Vor der Pandemie hatte der Wert über Jahre hinweg stabil zwischen 14 und 17 Prozent gelegen.

„Spätestens seit der Coronapandemie ist sichtbar geworden, dass auch viele jüngere Menschen unter Einsam­keit leiden, selbst wenn sie nicht allein leben“, sagte Sabine Diabaté, Soziologin am BiB und Mitautorin der Analyse.

Im vergangenen Winter war es zu einem leichten Absinken des Wertes auf 36 Prozent gekommen. Damit fühlte sich jeder Dritte zwischen 18 und 53 Jahren teilweise oder vollkommen einsam.

Obwohl Kontaktbeschränkungen der Vergangenheit angehörten, seien bis Anfang 2023 nur wenig soziale Nachholeffekte zu beobachten gewesen, so Diabaté. „In der postpandemischen Phase besteht die Einsamkeit auf hohem Niveau fort – es zeigt sich eine Tendenz zur Chronifizierung“, sagte sie.

Besonders unzufrieden mit ihrem Sozialleben zeigten sich in der Untersuchung die jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren. Sie schätzten sich zugleich häufiger einsamkeitsbetroffen ein als mittelalte Erwachsene zwischen 30 und 53 Jahren.

Gerade jüngere Menschen hätten in einer wichtigen Lebensphase gelernt, sich zurückzuziehen, erklärte Martin Bujard, stellvertretender Direktor des BiB. Dies habe ihr Verhalten möglicherweise dauerhaft verändert. Menschen, die während der Pandemie 30, 40 oder 50 Jahre alt gewesen seien, seien danach zu ihren üblichen Mustern der Kontaktpflege zurückgekehrt, „während es bei den Jüngeren diesen Standard noch nicht gab“, sagte er.

Bujard verwies auch auf Studien, denen zufolge Depressionen und Angststörungen während der Pandemie unter jüngeren Menschen zugenommen, körperliche Aktivität dagegen abgenommen hätten. Es gelte, diese Entwicklungen weiter zu beobachten und auch zu prüfen, welche Maßnahmen hilfreich beim Gegensteuern seien.

Niedriger sozioökonomischer Status als Risikofaktor

In der Untersuchung des BiB zeigte sich zudem, dass Personen mit niedrigem sozioökonomischem Status und Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit häufiger einsam sind. Auch Allein- bzw. Getrennterziehende, Erwerbslose und Personen mit länger anhaltenden gesundheitlichen Problemen sind demnach häufiger von Einsamkeit betroffen. Wenn mehrere dieser Faktoren vorliegen, ist das Risiko der Studie zufolge besonders hoch.

Unterschieden wurde in der Untersuchung auch zwischen sozialer und emotionaler Einsamkeit. Soziale Einsamkeit meint die Unzufriedenheit mit dem weiteren sozialen Umfeld, bei emotionaler Einsamkeit fehlt den Personen die Nähe und das Vertrauen zu engen Bezugspersonen vor.

Mit rund 39 Prozent kommt die soziale Einsamkeit etwas häufiger vor als die emotionale Einsamkeit mit 29 Prozent. „Vor allem Frauen beklagen eher eine emotionale Einsamkeit, während Männer häufiger sozial ein­sam sind“, berichtete Diabaté.

Nach Aussagen der Forscher sind die Folgen einer chronischen Einsamkeit in vielerlei Hinsicht problematisch. Vor allem über einen längeren Zeitraum bedeute Einsamkeit erheblichen sozialen Stress. Darüber hinaus gehe sie mit zahlreichen gesundheitlichen Risiken einher. So hätten Einsame häufiger Schlafprobleme, ein höheres Risiko für koronare Herzerkrankungen oder Schlaganfälle und eine reduzierte Immunabwehr.

Sie seien auch anfälliger für Suchterkrankungen. Ferner hätten einsame Menschen ein höheres Risiko, sich zu isolieren und möglicherweise politisch oder religiös zu radikalisieren. „Damit kann eine zunehmende Einsam­keit in der Bevölkerung auch ein Risiko für die Demokratie bedeuten, weil sie den inneren, sozialen Zusammen­halt gefährden kann“, sagte Bujard.

In der Politik wurde das Problem bereits erkannt. Im Rahmen der Einsamkeitsstrategie der Bundesregierung soll ein Maßnahmenkatalog in den nächsten Jahren bei der Einsamkeitsbekämpfung helfen. Zudem wurde ein Kompetenznetzwerk Einsamkeit (KNE) gegründet. Im KNE soll das bestehende Wissen zum Thema Einsamkeit gebündelt, Wissenslücken geschlossen und dafür gesorgt werden, dass gewonnene Erkenntnisse in die politische und gesellschaftliche Praxis einfließen.

Morgen will Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) das sogenannte Einsamkeitsbarometer des KNE vorstellen. Dieses soll die Langzeitentwicklung der Einsamkeits- und Isolationsbelastungen innerhalb der deutschen Bevölkerung für Personen ab 18 Jahren darstellen und eine Grundlage für politische und fachliche Entscheidungen zur Vorbeugung und Bekämpfung von Einsamkeit und sozialer Isolation bilden.

Hausarztpraxen als Vermittler für soziale Kontakte

„Es braucht mehr Bewusstsein für die hohe Verbreitung und den Leidensdruck von Einsamkeit, im Alltag mehr Achtsamkeit gegenüber den Mitmenschen“, betonte Bujard. Vor allem die Förderung der gesellschaftlichen Teilhabe sei deshalb wesentlich. Auch niedrigschwellige Angebote in Ausbildungsstätten, Vereinen, von Ärzten oder Behörden sind der Untersuchung zufolge denkbar.

„So ließen sich über Hausarztpraxen Besuchsdienste oder Nachbarschaftsprojekte vermitteln, um chronisch Kranke sozial besser einzubinden“, sagte Bujard. Um soziale Begegnungen zu fördern, seien Freizeitangebote in den Bereichen Sport, Kultur und Ehrenamt wichtig.

Damit die Politik evidenzbasiert beraten werden kann, wäre aus wissenschaftlicher Sicht ein dauerhaftes Monitoring von Einsamkeit in allen Gesellschafts- und Altersgruppen nützlich.

Die Untersuchung des BiB basiert auf den Datensätzen GGS, FReDA und SOEP und analysiert für die Zeit­spanne von 2005 bis 2022 die Entwicklung von Einsamkeit, nennt Ursachen und zeigt Ansatzpunkte auf, um der Herausforderung zu begegnen.

nfs/dpa/kna

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