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Kampf gegen Neu Delhis Smog: „Green War Room“ gegen „Air-pocalypse“

  • Mittwoch, 8. November 2023
/picture alliance, ZUMAPRESS.com, Kabir Jhangiani
/picture alliance, ZUMAPRESS.com, Kabir Jhangiani

Neu Delhi – Wenn die Behörden von Neu Delhi das Smog-Problem der indischen Hauptstadt beschreiben, greifen sie gerne zu drastischen Begriffen: Als „Air-pocalypse“ bezeichnet der Umweltminister der Megastadt, Gopal Rai, deren Not mit dem giftigen Smog, der das Lebensalter ihrer rund 30 Millionen Einwohner im Durchschnitt um mehr als ein Jahrzehnt verkürzt. Ein „Green War Room“, eine Art Kommandozentrale im Kampf gegen die Luftverschmutzung, soll nun Abhilfe schaffen.

Das Problem ist jetzt schon Jahrzehnte alt: Alljährlich im Herbst hüllt Smog die indische Hauptstadt in einen gelblichen Nebel, der den Menschen den Atem nimmt. In dieser Jahreszeit vermischen sich die kühle Luft, der Rauch der von den Bauern nach der Ernte abgebrannten Felder und die Abgase von Industrie und Verkehr in der Hauptstadtregion zu einem gesundheitsschädlichen Cocktail.

Am vergangenen Wochenende war es wieder soweit: Das Luftqualitäts-Überwachungsun­ternehmen IQAir stufte Neu Delhi als die aktuell am stärksten verschmutzte Stadt der Welt ein. Die Feinstaubwerte überstiegen die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Tageshöchstwerte fast um das 35-Fache.

Um in diesem Jahr besser auf den gar nicht so unsichtbaren Feind vorbereitet zu sein, rief die Stadtregierung vergangenen Monat einen „Green War Room“ ins Leben: In dem High-Tech-Kontrollzentrum überwachen 17 Experten auf Bildschirmen in Echtzeit die Entwicklung der Umweltverschmutzung – anhand von Satelliten­bildern der US-Raumfahrtbehörde Nasa und den stets aktualisierten Messungen des Luftqualitätsindexes.

So können sie die genauen Emissionsorte ermitteln und in Abstimmung mit 28 verschiedenen Abteilungen der Lokalregierung rasche Gegenmaßnahmen ergreifen. „Sobald sich die Luftqualität verschlechtert, alarmie­ren wir unsere Teams vor Ort, die dann sofort handeln“, sagt Umweltingenieur Anurag Pawar vom „War Room“.

Eine Fabrik beispielsweise, die besonders viel Dreck in die Luft schleudert, kann rasch verwarnt, ein Brand auf einer Mülldeponie gelöscht werden. Abgas-intensive Fahrzeuge können gestoppt oder illegale Feuerwerks­körper auf Festivals beschlagnahmt werden. Moderne Wassersprühwagen wiederum lassen sich gegen be­sonders viel Staub in der Luft einsetzen.

Gegen den Hauptgrund für den jeden Herbst wiederkehrenden Smog ist aber auch der „Green War Room“ machtlos, wie in den vergangenen Tagen deutlich zu sehen war: Die Brandrodungen durch die Landwirte rund um Delhi. Die Behörden versuchen zwar, die Stoppeln auf den Reisfeldern mit Hilfe von biochemischen Sprühmitteln schneller zu zersetzen. Doch stoßen sie dabei auf Widerstand.

Mehr als zwei Drittel des Smogs, der Neu Delhi plagt, entstehen laut Umweltminister Rai jenseits der Stadtgrenzen – etwa durch Brandrodungen. An diesen Grenzen aber enden die Befugnisse der Stadt, klagt Rai: „Wir haben Elektrobusse eingeführt, aber in den angrenzenden Bundesstaaten fahren die Busse immer noch mit Diesel“, sagt er.

Und dort sitzen andere Parteien als Rais AAP am Hebel, die Neu Delhi regiert – allen voran die hindu-natio­nalistische BJP von Indiens Regierungschef Narendra Modi. „Ganz offensichtlich hat die Politik einen Einfluss“, sagt Rai. „Sie schafft Hürden, wenn es um die Umsetzung von Maßnahmen geht.“

Die Bauern beispielsweise sind eine starke Wählergruppe. Und viele von ihnen argumentieren, dass die Brand­rodungen eine bewährte, einfache und billige Methode sind, der Smog in der Stadt hingegen sie nicht betrifft.

Die WHO bezeichnet die Luftverschmutzung als eines der größten Risiken für die Gesundheit, die auf die Um­welt zurückzuführen seien. Sie verursache Schlaganfälle, Herz- und Atemwegerkrankungen sowie Lungen­krebs. Laut einer Studie der britischen Fachzeitschrift The Lancet aus dem Jahr 2020 war der giftige Nebel in Neu Delhi im Jahr davor für fast 17.500 vorzeitige Tode verantwortlich.

Die WHO verweist gerne darauf, dass viele Ursachen für den Smog auch für Treibhausgas­emissionen verant­wortlich seien. Maßnahmen gegen Luftverschmutzung helfen nicht nur der Gesundheit, sondern auch dem Klima, versichert sie.

Nach Auffassung des Experten Sunil Dahiya vom Centre for Research on Energy and Clean Air reichen die derzeitigen Maßnahmen Neu Delhis im Kampf gegen Treibhausgase allerdings nicht aus, selbst wenn sie alle konsequent umgesetzt würden.

Die Strategien des „Green War Room“ könnten den Smog tatsächlich „für einige Zeit eindämmen“, sagt Dahiya. Für saubere Luft und eine bessere Klimabilanz aber wären „drastischere Veränderungen“ nötig – etwa ein Ausstieg aus der allgegenwärtigen Stromerzeugung durch Kohle.

afp

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