Ärzteschaft

KBV-Vize Hofmeister plädiert für neue Prioritätensetzung in Gesundheitspolitik

  • Freitag, 4. März 2022
KBV-Vize Stephan Hofmeister /Screenshot DÄ
KBV-Vize Stephan Hofmeister /Screenshot DÄ

Berlin – Die Ereignisse in der Ukraine zeigten, wie wichtig es sei, endlich aus dem „Corona-Tunnel“ rauszukommen, betonte heute Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), im Rahmen der digitalen KBV-Vertreterversammlung.

„Seit zwei Jahren beschäftigen wir uns tagein, tagaus mit diesem Virus, wir debattieren immer noch über Dinge wie Genesenenstatus und Schnelltests, während eine europäische Hauptstadt unter Raketenbeschuss liegt und die Menschen fliehen – auch zu uns nach Deutschland“, sagte Hofmeister. „Ich frage mich, ob wir hierzulande noch die richtigen Prioritäten setzen bei dem, womit wir uns beschäftigen.“

„Natürlich müssen wir, die wir uns um die Versorgung in Deutschland zu kümmern haben, uns auch weiter mit dem Thema Corona befassen und tun das auch“, so der KBV-Vize. Im Hinblick auf COVID-19 heiße das: Impfen, vor allem die vulnerablen Bevölkerungsgruppen, Produktions- und Lieferkapazitäten an Impfstoffen und Medikamenten sichern und dafür sorgen, dass die Praxen den „hervorragenden Job“, den sie bislang gemacht haben, weitermachen können – aber mit „mehr Verlässlichkeit und Berechenbarkeit und mit weniger Improvisation“ als bisher.

Viele Ärzte sowie Psychotherapeuten würden vor allem die sich „immer wieder ändernden komplexen und inkonsistenten Regelwerke“ kritisieren, die dann auch noch inkonsequent umgesetzt würden und dadurch willkürlich erschienen.

„Diejenigen, die das an vorderster Stelle ausbaden müssen, sind die Medizinischen Fachangestellten in den Praxen“, kritisierte Hofmeister. Er bekräftigte die Forderung nach einem staatlichen Bonus für die Medizinischen Fachangestellten (MFA). Der sogenannte Pflegebonus, der nun kommen soll, sei in seiner Komplexität „schwer verdaulich“ und für die MFA „geradezu ein Hohn“. Ohne die von den MFA geleistete Arbeit wäre der „Corona-Impfturbo“ unmöglich gewesen, so der KBV-Vorstand.

Jenseits des „Corona-Tunnels“ gebe es zudem eine Reihe wichtiger Versorgungsthemen, um welche sich die Gesundheitspolitik kümmern müsse. Dazu gehöre die immer noch schwelende Reform der Notfallversorgung, die Zusammenarbeit von ambulantem und stationärem Bereich sowie die Zusammenarbeit mit nichtärztlichen Gesundheitsfachberufen. „Hier sind wir offen für konstruktive Vorschläge und bringen eigene Vorschläge ein.“

Ein Thema, mit dem alle konfrontiert würden, sei der steigende Kostendruck im Gesundheitswesen. „Man muss kein Prophet sein, um vorherzusagen, dass Kostendämpfungsmaßnahmen in den nächsten Jahren die politische Agenda bestimmen werden“, prognostizierte der KBV-Vorstandsvize. Zwar liege der Fokus hierbei bislang vor allem auf dem Krankenhaus- und dem Arzneimittelbereich – gleichwohl werde darauf zu achten sein, dass die ambulante Versorgung nicht unter die Räder komme.

Die Krankenkassen würden bereits nach Möglichkeiten suchen, die „Löcher zu stopfen“. „Ein beliebtes Mittel hierfür: Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Regressforderungen. Neben ungerechtfertigten Maximalforderungen geht es auch um Prüfanträge über Klein- und Kleinstbeträge, mit denen die Kassen manche KV überschwemmen.“ Dabei lägen die Kosten der Prüfverfahren regelhaft deutlich höher als die infrage stehenden Regressbeträge.

In einem Brief an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe die KBV daher Vorschläge für eine Neuordnung der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung gemacht, erklärte Hofmeister. Unter anderem soll es die Einführung einer Bagatellgrenze von 200 Euro pro Kasse, Quartal und Praxis geben. Um Mehraufwände zu vermeiden, soll zudem jede Kasse nur noch einmal pro Quartal und Praxis Prüfanträge stellen können. Darüber hinaus soll der Grundsatz „Beratung vor Regress“ auch bei Einzelfallprüfungen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfungen gelten.

Kritik an Substitution

Eine klare Absage erteilte Hofmeister dem Vorhaben, Lücken in der Versorgung, die etwa durch ärztlichen Nachwuchsmangel entstünden, durch andere Gesundheitsfachberufe schließen zu wollen – erst recht, wenn diese Kräfte dann wieder an anderer Stelle fehlen würden. Hofmeister: „Wenn die Decke zu kurz ist, ist sie zu kurz, egal an welchem Ende man zieht.“ Ganz absurd werde es, wenn Ärzte sogar dann ersetzt werden sollten, wenn es gar keine Mangelsituation gebe.

Als Beispiel führte der KBV-Vize das Impfen in Apotheken an. Die geringen Zahlen von Impfungen in Apotheken bestätigten, dass hier mitnichten Bedarf bestünde. Hofmeister nannte es „ohnehin erstaunlich, dass die Apotheker immer neue und zusätzliche Aufgaben, gerade in der Pandemie, übernehmen wollen, gleichzeitig aber die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände selbst erst kürzlich die stetig sinkende Zahl der Apotheken beklagt und warnt, dass damit ,das Fundament des Arzneimittelversorgungssystems zu erodierenʻ drohe.“

Wenn dem so sei, wäre das Dispensierrecht für Ärzte im Not- und Bereitschaftsdienst ein erster Schritt, um die Versorgung zu sichern, schlug Hofmeister vor. Kein Patient verstehe, wieso ein Bereitschaftsarzt des Nachts ihm nur ein Rezept in die Hand drücken könne, mit dem er dann zur Notapotheke laufen dürfe.

„Die Möglichkeit für Ärzte, in solchen Fällen selbst das Medikament ausgeben zu können, wäre eine Maßnahme, deren unmittelbarer Nutzen für die Patienten deutlich höher wäre, als die Tatsache, dass ein paar hundert Apotheken im Land zusätzlich impfen“, sagte Hofmeister.

aha

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