Ketamin: „Partydroge“ hilft gegen schwerste Depressionen

Oxford – Intravenöse Infusionen des Allgemeinanästhetikums Ketamin, das wegen seiner dissoziativen Wirkung als Partydroge missbraucht und in England deshalb als Betäubungsmittel auf dem Index steht, können eine schwere Depression durchbrechen. Britische Psychiater berichten im Journal of Psychopharmacology (2014, doi: 10.1177/0269881114527361) über ihre positiven Erfahrungen.
Psychiater am Warneford Hospital, einer psychiatrischen Klinik in Oxford, betrachten Ketamin als Alternative zur Elektrokrampftherapie, die dort bei therapierefraktären schweren Depressionen eingesetzt wird. Statt der unbeliebten und wegen der negativen Auswirkungen auf das Gedächtnis auch bei Psychiatern umstrittenen Stromstöße erhalten die Patienten dort seit einiger Zeit intravenöse Infusionen mit Ketamin in der Dosierung von 0,5 mg/kg über 40 Minuten.
Die Wirkung bei den ersten 28 Patienten beschreibt der Oxford-Psychiater Rupert McShane als „bemerkenswert“ und emotional „bewegend“ für die Ärzte. Die Droge erzielte nicht bei allen Patienten, die in den Jahren erfolglos mit Medikamenten und Psychotherapien behandelt wurden, eine Wirkung. Nur acht Patienten (29 Prozent) sprachen auf die Therapie an und nur bei drei von ihnen trat die Wirkung innerhalb von sechs Stunden ein, wie dies zuvor in ersten experimentellen Studien beobachtet wurde.
Die anderen benötigten eine zweite Infusion, nach der sich die Stimmung der Patienten aber deutlich aufhellte und die Bewertung in einem Depressions-Score sich halbierte. Vier der acht Patienten seien durch die Behandlung völlig ohne Symptome einer Depression, berichtet McShane.
Behandlung mit Ketamin muss regelmäßig erfolgen
Ein Nachteil von Ketamin ist die kurze Halbwertzeit. Die Behandlung muss deshalb regelmäßig wiederholt werden. In Oxford erhielten die Patienten zunächst nur maximal sechs Infusionen. Die Wirkdauer war danach unterschiedlich. Die Bandbreite reichte von 25 Tagen bis 8 Monaten (median 2,3 Monate), was die Therapie nach Einschätzung von McShane für Patienten mit schwersten Depressionen durchaus praktikabel macht.
Auch die Verträglichkeit war gut. Kognitive Defekte oder das bei Drogenkonsumenten in England aufgetretene „Ketamine Bladder Syndrome“ wurden nicht beobachtet. Während der Infusion könne es aber zu Angstzuständen oder Ohnmachtsanfällen kommen, berichtet McShane, von denen sich die Patienten jedoch rasch erholen würden. Möglich sei auch eine leichte dissoziative Wirkung, bei der die Wahrnehmung gestört und die Patienten sich von ihrem Körper losgelöst fühlen. Dieser Effekt wird offenbar von den Drogenkonsumenten gesucht, die Ketamin allerdings in einer wesentlich höheren Dosis missbrauchen.
Die Oxforder Psychiater haben inzwischen 45 Patienten behandelt. Bei 9 dieser Patienten wurde wegen einer guten Wirkung eine intermittierende Dauertherapie begonnen: Vier Patienten brachen diese später nach einem Wirkungsverlust ab, ein weiterer Patient hat wegen einer Remission der Depression auf weitere Infusionen verzichtet. Die übrigen vier Patienten erhalten regelmäßig Ketamin-Infusionen.
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