Kinderamut: Politik in Rheinland-Pfalz zum Handeln aufgefordert
Mainz – Experten aus der Sozial- und Familienarbeit haben im rheinland-pfälzischen Landtag unterschiedliche Akzente zur Überwindung der Kinderarmut gesetzt. Die Vorschläge reichen von der Wiedereinführung eines Familiengelds über die Bezahlung von Erziehungsarbeit oder Vergünstigungen beim Fahrkartenkauf bis zu einem neuen System der Grundsicherung für Kinder.
Als Sprecher der Landesarmutskonferenz forderte Pfarrer Albrecht Bähr die Abgeordneten eindringlich zum Handeln auf. Die Situation der betroffenen Familien sei jahrelang analysiert worden, auch gebe es genug Lösungsansätze, sagte der Sprecher der Landesarmutskonferenz heute in Mainz. Jetzt müsse es „endlich zu strategischen Handlungsansätzen“ kommen.
Vor Mitgliedern der beiden Ausschüsse für Soziales und Integration zeigte sich Bähr besorgt über die Kinder in Flüchtlingsfamilien. Wenn diese nicht in den Stand versetzt würden, für ihren Unterhalt selbst aufkommen zu können, werde die Kinder- und Jugendarmut weiter zunehmen. „Es fehlt uns nicht an Wissen, sondern es fehlt uns am Vollzug“, sagte Bähr.
Die Landesvorsitzende des Verbands kinderreicher Familien, Katrin Sarfert, sprach sich dafür aus, die Bedürfnisse von Mehrkindfamilien in allen Lebensbereichen stärker zu berücksichtigen. So sollten diese bei der Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln Vergünstigungen erhalten. Und die Landesbank ISB solle Wohnförderprogramme stärker auf kinderreiche Familien zuschneiden. „Nicht die Armen bekommen Kinder, sondern Kinderreiche werden arm“, sagte Sarfert.
Die Verteilungsforscherin Irene Becker kritisierte, dass das Kindergeld das Existenzminimum nicht abdecke. Nötig sei eine „grundlegende Reform, um Kinderarmut systematisch zu bekämpfen und Familien in prekären Einkommensverhältnissen gezielt zu unterstützen“. Kurzfristig empfiehlt sie ein einkommensabhängiges Kindergeld. Mittel- und langfristig plädiert sie für eine Kindergrundsicherung – als unbürokratisch gestaltete Absicherung des kindlichen Existenzminimums, die mit steigendem Familieneinkommen geringer wird. Eine solche Grundsicherung für Kinder forderte bereits 2006 auch die Liga der Freien Wohlfahrtspflege.
Nach einer Bertelsmann-Studie vom vergangenen Jahr leben in Rheinland-Pfalz 74.395 junge Menschen unter 18 Jahren in Familien, die Hartz-IV-Leistungen beziehen – 3.880 mehr als noch vier Jahre zuvor. Die Regierungsfraktionen SPD, FDP und Grüne sprechen sich wie die CDU in getrennten Anträgen für Maßnahmen gegen Kinderarmut aus.
Während die Regierungsfraktionen vor allem Prävention und Betreuung ausbauen wollen, setzt der Alternativantrag der CDU auf familienpolitische Direktleistungen und regt zum Beispiel an, die Wiedereinführung des Landesfamiliengelds zu prüfen. Das in diese Richtung gehende Betreuungsgeld wurde 2015 vom Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvF 2/13) gekippt.
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