Politik

Klinikträger engagieren sich stärker in der ambulanten Versorgung

  • Mittwoch, 19. September 2018
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Biersdorf – Die meisten der zehn größten deutschen Klinikkonzerne haben in den letzten fünf bis zehn Jahren erfolgreich eine Marktstrategie verfolgt, um ihr Leistungsangebot durch semistationäre und ambulante Versorgungskapazitäten und -strukturen zu erweitern.

Nach Einschätzung von Christian Wallwiener, Geschäftsführer der WMC Healthcare GmbH, München, hat sich der Wettbewerb um die Eroberung von Marktanteilen so zugespitzt, dass heute der Einzelpraxiskauf und die Neugründung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) durch Krankenhäuser weitgehend substituiert oder ergänzt wird durch die Strategie eines „big deals“ zwischen ambulantem und stationärem Sektor, um die Klinikkonzerne als einen marktbeherrschenden Gesundheitsgesamt­versorger zu etablieren. Dadurch würden die Akteure vor allem im klinischen Sektor vor neue Herausforderungen infolge des ständigen Marktumbruchs gestellt werden, so Wallwiener bei den Biersdorfer Krankenhausgesprächen vor 200 Klinikmanagern Mitte September in Biersdorf/Bitburg (Eifel).

Klinikbetreiber haben sich in der ambulanten Versorgung festgesetzt

Die überregional agierenden Klinikkonzerne, insbesondere große private Konzerne, hätten sich mit der Gründung von MVZ und durch den Kauf und Weiterbetrieb von Universitätskliniken (zum Beispiel Marburg/Gießen durch die Rhön AG) im ambulanten Versorgungssektor festgesetzt und mit ihrer zumeist beherrschenden Marktstellung und ihrer Verhandlungsmacht gegenüber den Kostenträgern trotz des wachsenden Widerstandes niedergelassener Fachärzte durch eine erweiterte ambulanzzentrierte Versorgung gezeigt, wie Patientenströme kontrolliert und die Marktmacht ausgespielt werden können. Dabei hätten die Kostenträger (vor allem GKV) den steigenden Ambulantisierungsdruck genutzt, um die eingezügelte Übernahme der ambulanten Versorgung durch Kliniken unter der Devise einer notwendig zunehmenden Verzahnung zu verstärken (Paragraf 116 b SGB V).

Andererseits habe die fortschreitende Konsolidierung auf dem Kliniksektor und die Bildung von ambulant/stationären Verbundbetrieben dazu geführt, dass sich viele Klinikkonzerne und MVZ durch die Besetzung relevanter Geschäftsfelder/Profitpools zulasten des bisher für die ambulanten tätigen Ärzte reservierten Sektors ausdehnen konnten. Die Strategie des Krankenhausmanagements: Durch Ambulantisierung und durch den Abschluss von Selektivverträgen sollten die Umsatzsicherung und die Profitabilität erhöht und durch die Übernahme von frei werdenden Praxissitzen vorgeblich Versorgungslücken geschlossen und Geschäftsfelder erweitert werden.

Nach Einschätzung der Unternehmensberatung WMC Healthcare GmbH sind vier Ambulantisierungswellen exemplarisch für den Trend zur klinisch-ambulanten Versorgung und zur Konsolidierung im spezialfachärztlichen Sektor: Der Eintritt von Pharma- und Medicalproduktherstellern und Klinikkonzernen im Geschäftsbereich von Dialysezentren (zum Beispiel Fresenius, B. Braun AG), auf dem Gebiet der Augenheilkunde durch die Bildung von Zentren und die Eröffnung von Filialpraxen (zum Beispiel Ober Scharrer Gruppe, Firma Artemis und weitere Regionalverbünde) und auf dem Gebiet Radiologie/Strahlentherapie forcierten beispielsweise der capexintensive Bereich die Bildung größerer Radiologiepraxen und Zentren und die Entwicklung einer ambulanten Rundumversorgung durch radiologische Praxen.

Weitere Fachrichtungen, die die Etablierung von Zentren und das Eindringen von Klinikgruppen in den ambulanten Sektor forcieren könnten: Kardiologie, Orthopädie, Endoskopie und Urologie. Als exemplarische Fälle einer zunehmenden Integration des ambulanten Sektors in einen Gesundheitsgesamtversorger ambulant/stationär nannte der Berater die Marktstrategie der beiden privaten Klinikkonzerne Asklepios und Helios. So betreibt beispielsweise Asklepios im MVZ Nord zehn Zentren und mehr als 20 Arztpraxen. Helios ist Eigentümer und Betreiber von mehr als 80 Versorgungs­zentren und erwirbt bestehende MVZ und Kassenarztsitze, um den Patientenfluss zu stärken und den Marktanteil zu vergrößern.

Rechtliche Anforderungen des ambulanten Sektors

Klinikinvestoren und das Management müssen bei einer zunehmenden Verzahnung mit dem ambulanten Sektor und der Eroberung zusätzlicher Marktanteile allerdings eine Vielzahl von rechtlichen Auflagen beachten, die im ambulanten Sektor gelten und sich vom Klinikgeschäft wesentlich unterscheiden; so zum Beispiel die im SGB V geregelten Auflagen zur Gestaltung von Integrationsverträgen, zu besonderen ambulanten Versorgungsformen, zur Qualitätssicherung und zur Teilnahme an der vertrags­ärztlichen Versorgung (Bedarfsplanung) sowie die unterschiedlichen Konditionen zur Vermarktung innovativer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB).

Nach Feststellung von WMC Healthcare hat das Eintreten von Kliniken in den ambulanten Markt teilweise zu empfindlichen Fallzahlrückgängen des eigenen Klinikums geführt. So können eine Änderung der Eigentümerstruktur und eine neue Ausrichtung des Unternehmens zu einem Verlust von bisher unbestrittenen und „sicheren“ Patientenströmen zulasten der Profitabilität des Klinikbetreibers führen. Je mehr der Markt in Bewegung gerate und sich die Geschäftsaktivitäten zunehmend auf den ambulanten Sektor konzentrierten, desto mehr müssten konkurrierende Kliniken und Konzerne ein Umsteuern der bisher als sicher geglaubten Patientenströme bewirken.

Adäquate ärztliche Besetzung wichtig

Bei allen Expansionsgelüsten und einer Strategie zur Erweiterung der Klinikaktivitäten Klinik/Praxis müsse auch die Profitabilität beider im Verbund betriebenen Leistungs­erbringer beachtet werden. In jedem Fall müsse bei einem erweiterten Verbundbetrieb auf eine adäquate ärztliche Besetzung, vor allem in den Leitungsfunktionen, geachtet werden. Das bisher erzielte Patientenvolumen müsse auch beim Aufkauf von Einzelpraxen und verstärkten ambulanten Aktivitäten mit geeigneten Stategien unvermindert aufrechterhalten werden.

Festgestellt wurde, dass bei einem vermehrten Aufkauf und einer Integration von ambulanten Praxissitzen in den Klinikbetrieb die Umsätze im ambulanten Sektor um durchschnittlich fünf bis zehn Prozent zurückgehen, vor allem durch einen unvorhersehbaren Arztwechsel. Auch müssten bei der festen Integration in den Klinikbetrieb Gehälter für ambulant tätige Fachärzte gezahlt werden, die gemessen am Gesamtumsatz rund 30 Prozent beanspruchten.

Die Münchner Unternehmensberater haben festgestellt, dass die vermehrten Aktivitäten im ambulanten Sektor und der gezielte Praxisaufkauf die Durchschnitts­übernahmepreise erhöht und ungezügelte stationäre Zuweisungen nicht immer gewährleisten, dass der Gesamtbetrieb des Klinikkonzerns unvermindert profitabel arbeitet.

HC

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