Politik

Knappe Kindermedikamente: Krankenkassen setzen Festbeträge aus

  • Dienstag, 10. Januar 2023
/picture alliance, Jörg Carstensen
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Berlin – Die Krankenkassen haben Maßnahmen beschlossen, um die angespannte Lage bei Kindermedika­menten wie Fiebersaft oder Zäpfchen zu entschärfen. Die Festbeträge für bestimmte Medika­men­te mit den Wirkstoffen Ibuprofen und Paracetamol sowie für Antibiotika sollen ab dem 1. Februar 2023 für drei Monate ausgesetzt werden, wie heute der GKV-Spitzenverband mitteilte.

Zuvor hatte das ARD-Hauptstadtstudio darüber berichtet. Die Maßnahme betrifft demnach 180 Fertigarznei­mittel, darunter Ibuprofensäfte, Paracetamolzäpfchen und Antibiotikasuspensionen. Die datentechnische Um­setzung in den Apotheken konnte laut GKV-Spitzenverband in Kooperation mit den entsprechenden Daten­stellen abgestimmt werden – trotz der kurz bemessenen Zeitspanne sei deshalb eine reibungslose Umsetzung möglich.

Laut Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist der Festbetrag eines Arzneimittels der maximale Betrag, den die Krankenkassen dafür bezahlen. „Ist sein Verkaufspreis höher als der Festbetrag, tragen Patienten in der Regel die Differenz zum Festbetrag entweder selbst oder erhalten ein anderes – therapeutisch gleichwertiges – Arzneimittel ohne Aufzahlung.“

Im Falle der Kindermedikamente müssen Eltern den Angaben zufolge aber keine Zusatzkosten befürchten, auch wenn den Kassen dafür nun höhere Kosten entstehen.

Im Dezember hatte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) als Maßnahme gegen die Knappheit ange­kün­digt, dass die Krankenkassen für bestimmte Medikamente künftig mehr Geld bezahlen sollen, damit sich Lieferungen nach Deutschland für Pharmafirmen mehr lohnen.

Von den Krankenkassen hieß es nun, die geplante Maßnahme schaffe die Voraussetzung, dass einer weiteren Verschärfung der angespannten Versorgungslage mit Kinderarzneimitteln kurzfristig entgegengewirkt werden könne. Die Pharmaindustrie erhalte durch die Aussetzung Zeit, die bestehenden Produktions- und Lieferprob­leme in den Griff zu bekommen.

Der GKV-Spitzenverband betonte aber auch, die Aussetzung der Festbeträge stelle keinen „Freifahrtschein für Gewinnmaximierung“ dar: „Wir werden hier genau hinschauen, wie die Aussetzung der Festbeträge wirkt.“

Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie reagierte zurückhaltend. Ob die Aussetzung der Festbe­träge kurzfristig tatsächlich zu einer besseren Verfügbarkeit von Produkten auf dem deutschen Markt führe, bleibe abzuwarten, sagte der Verbandsvorsitzende Hans-Georg Feldmeier.

Systeme, die über lange Zeit kaputtgespart worden seien, könnten nicht per Schnellschuss geheilt werden. Der Verband verwies auf Kostendruck und forderte Erleichterungen im Festbetragssystem nicht nur bei Kindermedikamenten.

Auch der Geschäftsführer des Pharmaverbands Pro Generika, Bork Bretthauer, zeigte sich skeptisch: Die Aus­setzung der Festbeträge sei eine Geste, werde aber das Problem der Engpässe kurzfristig nicht lösen, sagte er dem Handelsblatt. „Woher sollen die Fiebersäfte plötzlich kommen?“. Die Unternehmen produzierten rund um die Uhr. Es gebe keine Ware, die kurzfristig auf den Markt kommen könne, nur weil sich der Preis für drei Monate erhöhe.

Nach Angaben der Apotheken ist die Lage aktuell immer noch angespannt. „Die Lieferengpässe bei Kinderfie­bersäften, Antibiotika und anderen Arzneimitteln halten leider weiterhin an“, sagte die Präsidentin der Bun­desvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA), Gabriele Regina Overwiening.

Ob sich die Liefersituation durch die geplante Preislockerung spürbar entspanne, sei fraglich, da es oft nur wenige Hersteller gebe und somit das Angebot dieser Arzneimittel insgesamt begrenzt sei. Sie forderte kurz­fristig mehr Entscheidungsspielräume für die Apotheken etwa bei der eigenen Herstellung von Medikamen­ten.

EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides sagte, sie beobachte die Berichte über fehlende Medikamente genau. „Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass dies ein globales Problem ist, nicht nur ein europäisches“, sagte sie. Patienten müssten jederzeit zu bezahlbaren Preisen Zugang zu Medikamenten haben. Man arbeite eng mit der Industrie zusammen, um die Produktionskapazität schnell auszubauen und Engpässe zu vermei­den.

dpa/aha

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