Koalition bei Fernverordnungs- und Versandverbot für Medizinalcannabis uneinig

Berlin – Zwischen Union und SPD gibt es beim geplante Fernverordnungs- und Versandverbot für Medizinalcannabis offenbar Unstimmigkeiten. Aus der SPD-Bundestagsfraktion gibt es Stimmen, die die bislang geplanten Regelungen aufweichen wollen.
Mit einem Änderungsgesetz will die Bundesregierung der massiven Zunahme des Bezugs von Medizinalcannabis zu reinen Konsumzwecken entgegenwirken. Ziel sei es, das derzeit geltende Gesetz „auf seinen Kerngedanken zurückzuführen“, erklärte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) gestern Abend bei der ersten Lesung zum Gesetz zur Änderung des Medizinal-Cannabisgesetzes im Bundestag.
Sofort nach der Teillegalisierung von Cannabis im April 2024 sei der Import von Medizinalcannabis sprunghaft angestiegen, von 32 Tonnen im Jahr 2023 auf 192 Tonnen im Jahr 2025. Allein im ersten Halbjahr 2025 hätten die Importe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 400 Prozent zugenommen.
„Ich glaube, es kann hier niemand ernsthaft der Auffassung sein, wir hätten innerhalb eines Jahres 400 Prozent mehr Schmerzpatienten“, sagte sie. Vielmehr hätten sich Modelle etabliert, bei denen Medizinalcannabis ohne vorherigen Arztkontakt versandt werde.
Deshalb wolle sie den Missbrauch der Regelungen bekämpfen und die Zahl der nicht medizinische notwendigen Verschreibungen reduzieren. Dazu sieht der Gesetzentwurf vor, dass Medizinalcannabis künftig ausschließlich nach persönlichem Kontakt zwischen Patient und Arzt in der Praxis oder bei einem Hausbesuch verschrieben werden kann.
Dabei solle in der Regel eine sorgfältige Anamnese und körperliche Untersuchung durchgeführt werden, um Gesundheitszustand, individuelle Erkrankungen und weitere anzuwendende Arzneimittel zu berücksichtigen.
Auch bei Folgeverordnungen soll künftig eine persönliche Konsultation pro vier Quartalen vorgeschrieben sein. Zudem soll der Versand von Medizinalcannabis verboten werden. Umfassende Aufklärungs- und Beratungspflichten sollen im Rahmen einer persönlichen Beratung in der Apotheke erfolgen müssen.
Der Koalitionspartner unterstützt das Vorhaben, zumindest prinzipiell. „Es ist falsch, dass man ein Rezept für Cannabis holen kann, ohne eine Ärztin gesehen zu haben. Es ist genauso falsch, dass man sich mit einem Fake-Namen ein Rezept holt und Cannabis an eine Bushaltestelle liefern lässt“, sagte Matthias Mieves (SPD). „Das ist keine Grauzone, sondern nur eines: ganz klarer Missbrauch.“
Es brauche eine Lösung, die auf der einen Seite die Versorgung sicherstelle, aber gleichzeitig Missbrauch verhindere. So sei ein ärztlicher Kontakt zwar notwendig. „Aber der kann im Jahr 2025 genauso gut im Videocall stattfinden, denn eine telemedizinische Versorgung gehört zu einer zeitgemäßen Gesundheitsversorgung selbstverständlich dazu.“
Viele Menschen würden in ländlichen Regionen leben, wo es keine entsprechende Infrastruktur für die Versorgung mit medizinischem Cannabis gebe. Diese seien auf Telemedizin und den Versand angewiesen. „Diese beiden Elemente brauchen wir, um eine Versorgung für Patientinnen und Patienten sicherzustellen.“
Kritik aus der Opposition
Grundlegendere Kritik kam aus der Opposition. Der Entwurf sei unausgegoren, stigmatisiere Cannabispatienten und verschlechtere deren Versorgung, betonte Linda Heitmann (Grüne).
„Für mich steht fest, Sie stellen mit diesem Gesetz Menschen, die bei der Verschreibung von medizinischem Cannabis auf die Online-Verschreibung setzen, unter einen Generalverdacht, das eigentlich gar nicht zu brauchen oder zu Genusszwecken verwenden zu wollen – was im Übrigen in Deutschland mittlerweile auch erlaubt ist“, sagte sie.
Man müsse sich fragen, ob es überhaupt rechts- und europarechtskonform sei, einseitig für medizinisches Cannabis Verschreibungs- und Versandregeln zu verschärfen und für kein anderes Medikament. „Ich glaube, das müssen wir uns ernsthaft fragen, wenn wir das Gesetz weiter beraten.“
Auch sie sei dafür, dass bei der Verschreibung von Medikamenten ein Arztkontakt vorgeschrieben ist. Aber der könne auch telemedizinisch erfolgen. Die Bundesregierung sollte dann aber das gesamte Fernverschreibungswesen reformieren und nicht nur einseitig bei Cannabis tätig werden.
Zudem gehe die Initiative an den eigentlichen Problemen vorbei. „Wir haben in Deutschland ein echtes Problem mit Medikamentenabhängigkeit“, betonte sie. Schmerzmittel und andere abhängig machende Medikamente seien in vielen Fällen ein deutlich größeres Problem als Cannabis.
Das unterstrich auch Ateş Gürpınar von den Linken. Knapp drei Millionen Menschen in Deutschland hätten einen problematischen Medikamentenkonsum. „Die Zahl der Toten durch Medikamentenmissbrauch ist jedes Jahr fünfstellig. An Cannabis sterben jedes Jahr: null Menschen. Und ausgerechnet da fangen Sie an? Das ist lächerlich, Frau Warken.“
Die Bundesregierung werde mit dem Gesetz den Schwarzmarkt in Deutschland stärken, weil sie die Regeln ausgerechnet dort verschärfe, wo heute Menschen legal versorgt werden könnten. Wenn es darum ginge, dass medizinisches Cannabis ausschließlich zu therapeutischen Zwecken genutzt würde, hätte man vielmehr die legalen Bezugsmöglichkeiten für Genusskonsumenten erweitern müssen, betonte er.
„Stattdessen treiben Sie die Menschen zurück in die Illegalität und nennen das dann Gesundheitsschutz“, sagte Gürpınar. „Wenn Sie ein ernsthaftes Interesse hätten, gesundheitsgefährdende Medikamente mit Suchtpotenzial einzuhegen, würden Sie nicht bei Cannabis anfangen.“
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