Krankenhäuser bereiten sich auf Omikron-Welle vor

München, Weilheim, Berlin, Frankfurt am Main, Erfurt – Deutschlandweit bereiten sich die Krankenhäuser derzeit auf die Auswirkungen der Omikron-Welle vor. Dabei sind viele optimistisch, aufgrund der Erfahrungen mit der COVID-19-Pandemie auch einen eventuellen neuerlichen Anstieg von Hospitalisierungen meistern zu können. Zu Problemen könnten allerdings Ausfälle des Personals aufgrund eigener Erkrankungen führen.
„Seit dieser Woche spüren wir wieder eine Zunahme von Hospitalisierungen auf der Normalstation inklusive erster Fälle von COVID-19-assoziierter Pneumonie durch Omikron“, sagt der Pandemiebeauftragte des Klinikums rechts der Isar in München, Christoph Spinner, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ).
Trotz sehr hoher Inzidenzwerte in München gebe es in der Klinik jedoch insgesamt eine stabile Zahl an COVID-19-Patienten, wobei auf den Intensivstationen noch mehrheitlich Delta-Patienten behandelt würden. Aktuell werden am Klinikum rechts der Isar 41 COVID-19-Patienten behandelt, darunter elf auf der Intensivstation (Stand: 19. Januar).
Gefahr eines relevanten Patientenanstiegs
„Aufgrund der Berichte aus Großbritannien, Südafrika und England erwarten wir zwar deutlich steigende Infektionszahlen, aber zumindest bei Genesenen und Geimpften einen eher milderen Verlauf ohne Notwendigkeit der Hospitalisierung“, sagt Spinner. Aufgrund der nach wie vor ausbaufähigen Impfquote bestehe bei hohen Infektionszahlen dennoch die Gefahr eines relevanten Patientenanstiegs.
„Außerdem gibt es in der Allgemeinbevölkerung einen relevanten Anteil an Menschen mit chronischen Erkrankungen mit Auswirkungen auf das Immunsystem, die durch Impfungen nicht ausreichend geschützt werden können und häufig gleichzeitig Risikofaktoren für schwere COVID-19-Infektionen aufweisen“, betont der Infektiologe.
„Wir beobachten die klinische Situation sowie Berichte aus allen Regionen der Welt kontinuierlich und repriorisieren die zur Verfügung stehenden Ressourcen“, erklärt Spinner. „Sollte Omikron wirklich zu spürbar weniger Klinikaufnahmen führen, müssen bei hohen Infektionszahlen dennoch viele Patienten mit der Nebendiagnose ‚SARS-CoV-2 Virus nachgewiesen‘ unter Beachtung entsprechender Hygienemaßnahmen behandelt werden. Unabhängig davon sind wir trotz breiter Boosterkampagne auf vermehrte Personalausfälle durch Durchbruchsinfektionen eingerichtet. Daher halten wir im Notfallzentrum, den Normalstationen und Intensivbereichen weiter COVID-19-Bereiche vor.“
Viel Erfahrung mit COVID-19
Auch der Ärztliche Direktor der Krankenhaus GmbH Landkreis Weilheim-Schongau, Reinhold Lang, sieht sein Krankenhaus gut auf die Omikron-Welle vorbereitet. „Wir haben mittlerweile viel Erfahrung im Umgang mit der COVID-19-Pandemie“, sagt er dem DÄ. „Unsere Mitarbeitenden wissen, was zu tun ist. Und wir können auch sehr schnell unsere Kapazitäten für die Behandlung von COVID-19-Patienten ausbauen.“
Die Krankenhaus GmbH Landkreis Weilheim-Schongau besteht aus zwei Kliniken der Grund- und Regelversorgung im Landkreis Weilheim-Schongau, der südwestlich von München liegt. Beide Krankenhäuser verfügen über eine Intensivstation mit acht beziehungsweise zehn Intensivbetten.
„Zurzeit haben wir an beiden Standorten drei Normalstationen, in denen wir bis zu 40 COVID-19-Patienten behandeln können“, sagt Lang. „Zurzeit spüren wir die Omikron-Welle noch nicht bei uns – weder auf den Intensiv- noch auf den Normalstationen. Sollten die Zahlen ansteigen, können wir innerhalb von zwei Tagen weitere Stationen in COVID-19-Stationen umwandeln.“
Infizierte vor der Notaufnahme identifizieren
Heute werden am Standort Schongau vier Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion behandelt, einer davon auf der Intensivstation. Am Standort Weilheim sind es vier Patienten, darunter zwei, die auf der Intensivstation liegen. Etwa 75 Prozent der Intensivpatienten sind dabei ungeimpft, die übrigen sind nicht oder spät geboosterte Patienten über 60 Jahre.
„Die Zahlen aus England lassen hoffen, dass die Krankenhäuser in der Omikron-Welle nicht so zulaufen wie in der letzten Delta-Welle“, sagt Lang. „Einen großen Fokus legen wir derzeit darauf, in unseren Notaufnahmen die infizierten von den nichtinfizierten Patienten zu trennen. Dafür machen wir Abstriche und isolieren die Notfallpatienten, bis das Ergebnis vorliegt.“
Kapazitäten kurzfristig aufstockbar
Der Medizinische Geschäftsführer von Helios Deutschland, Andreas Meier-Hellmann, will derzeit keine Prognose zum Verlauf der Omikron-Welle abgeben. „Aussagen zu möglichen künftigen Auswirkungen der Omikron-Variante wären spekulativ“, sagt er dem DÄ. Helios beobachte die Coronaentwicklung, insbesondere die Omikron-Variante, sehr genau in seinem Coronastab und könne so kurzfristig noch Kapazitäten aufstocken.
„In der Gesamtschau benötigen wir derzeit aber nicht mehr Intensivbetten als zum Beispiel im Jahr 2019“, sagt Meier-Hellmann. Zurzeit liegen in den deutschen Helioskliniken etwa 1.400 Patienten auf den Intensivstationen, 12,8 Prozent davon mit einer Coronainfektion (Stand: 19. Januar).
„Durch die Erfahrungen der vorangegangenen Wellen sind wir routiniert, um schnell die verfügbaren personellen und strukturellen Ressourcen bündeln zu können“, sagt auch Meier-Hellmann. „Um weitere Kapazitäten zu schaffen, nutzen wir unsere Spielräume, indem wir zum Beispiel planbare Operationen verschieben. Eingriffe, die aus medizinischer Sicht keinen Aufschub erlauben, nehmen wir jedoch weiterhin in allen Kliniken vor.“ Die Notfall- und Krisenversorgung werde uneingeschränkt sichergestellt.
„Wir setzen weiterhin auf strenge Hygiene- und Sicherheitsmaßnahmen wie regelmäßiges Testen, Abstand halten etc.“, erklärt der Helios-Geschäftsführer. „Wegen Omikron raten wir unter anderem in unseren Kliniken und Einrichtungen wieder bei allen Tätigkeiten am Patienten beziehungsweise im Patientenzimmer zum Tragen von FFP2-Masken.“
Engpässe bei Pflegekräften ist das Hauptproblem
Die Hessische Krankenhausgesellschaft (HKG) fürchtet, dass die Omikron-Welle die bestehenden Engpässe bei den Pflegekräften verstärken könnte. „Wenn sich, wie von Experten erwartet, in den nächsten Wochen viele Menschen mit der Coronavariante infizieren, würden auch Schwestern und Pfleger ausfallen, weil sie erkranken oder in Quarantäne müssen“, sagte der Geschäftsführende Direktor der HKG, Steffen Gramminger, der Deutschen Presse-Agentur (dpa). „Das kann in den nächsten Wochen unser Hauptproblem werden.“
„Nach zwei Jahren Pandemie spüren wir die Dauerbelastung der Pflege“, sagte Gramminger. „Es ist schon jetzt alles auf Kante genäht.“ Mitarbeiter hätten gekündigt, ihre Arbeitszeit reduziert oder sich versetzen lassen. Das Problem betreffe vor allem Intensivstationen.
Konkrete Zahlen für das ganze Land gibt es laut HKG nicht. „Die Rückmeldungen aus den Kliniken sind aber eindeutig“, so Gramminger. Wenn bei dieser Ausgangslage noch ein massiver Ausfall wegen Omikron dazu komme, könne man schnell in eine Notfallsituation kommen.
Freitesten kann zu Entlastungen führen
Auch der Vorsitzende der Thüringer Krankenhausgesellschaft, Rainer Poniewaß, nannte gegenüber dpa insbesondere das Pflegepersonal in den Krankenhäusern als „Engpassfaktor“ in der Omikron-Welle. Durch Quarantäne seien hier weitere Engpässe zu befürchten. Die Kliniken versuchten, durch entsprechend abgestimmte Personalkonzepte gegenzuhalten.
Daher begrüße die Landeskrankenhausgesellschaft die Anpassung der Quarantänevorschriften durch die Bundesregierung. Danach könnten sich Mitarbeiter aus der Quarantäne freitesten und damit „risikominimiert“ für die Versorgung der Patienten zur Verfügung stehen. Dadurch erfolge eine zusätzliche Entlastung.
In Thüringen können sich Beschäftigte in Kliniken oder Pflegeheimen mit einer Coronainfektion oder einem entsprechenden Verdacht nach sieben Tagen aus der häuslichen Isolation freitesten. Voraussetzung sind ein negatives PCR-Testergebnis und 48 Stunden ohne Symptome.
Bewegung bei der Digitalisierung
Im Hinblick auf die Lehren aus der Coronapandemie sagt Spinner vom Klinikum rechts der Isar in München: „Flexible und rationale Ausweisung von isolationspflichtigen und nichtisolationspflichtigen Patienten haben während der letzten vier Wellen eine rationale Umwidmung der knappen medizinischen Ressourcen erlaubt.“ Screeningprogramme, Behandlungsstandards und regelmäßige Informationen, Schulungen und Trainings seien dabei essenziell.
Als besonders kräftezehrend benannte Spinner „die zuletzt weiter zunehmenden, teils manuellen Meldungen für Intensivregister, Leitstellensysteme und andere im Zusammenhang mit der Pandemie.
„Die Missstände der Datenstruktur und Organisation wurden schonungslos offengelegt: Deutschland muss sich mit Blick auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen dringend bewegen“, forderte Spinner. „Dafür muss alles auf den Prüfstand: Strukturen, Prozesse, Datenmodelle und die Ziele. Schließlich soll die Digitalisierung mehr und nicht weniger Zeit für die Patienten mit sich bringen.“
Stärkerer Fokus auf die Hygiene
Als Lehre aus der Pandemie nennt Lang von der Krankenhaus GmbH Landkreis Weilheim-Schongau vor allem, einen noch stärkeren Fokus auf die Hygiene im Krankenhaus zu legen. „Zum Beispiel sollte in diesem Zusammenhang kein Mitarbeiter aus falsch verstandenem Verantwortungsgefühl krank zur Arbeit kommen“, betont Lang. Zudem habe sein Krankenhaus gelernt, schnell in den Krisenmodus umzuschalten. „Heute weiß jeder bei uns, was dabei zu tun ist“, sagt Lang. „Früher war das ein längerer Prozess.“
Sorgen macht sich Lang vor allem um Notfallpatienten, die aus Angst vor einer Ansteckung nicht ins Krankenhaus kommen. „Wir hatten auch bei uns Patienten, die bei Herzbeschwerden und sogar bei einem Herzinfarkt zu spät gekommen sind und deshalb größere Schäden am Herzen zurückbehalten haben“, so der Ärztliche Direktor. Eine Erhöhung der Morbidität und eine Verschlechterung des Outcomes durch die Pandemie gebe es zudem vor allem bei Tumorpatienten.
„Wenn die Omikronwelle abgeflaut sein wird, erwarte ich einen Nachholeffekt bei anderen Erkrankungen, neben kardiologischen und onkologischen Erkrankungen zum Beispiel auch bei Leistenoperationen“, erklärt Lang. Für diese Zeit erwartet er zudem, dass sich der Fachkräftemangel insbesondere in der Intensivpflege weiter verstärken wird.
„Ich glaube, dass viele Intensivpflegende noch bis zum Ende der Pandemie durchhalten, dann aber in Teilzeit gehen oder den Beruf ganz verlassen werden“, meint Lang. Um diese Entwicklung abzuschwächen, müssten die Intensivpflegenden besser vergütet werden. „Die Arbeit von Intensivpflegenden ist höchst verantwortungsvoll“, betont er.
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