Krankenkasse: Bekämpfung chronischer Schmerzen sollte nationales Gesundheitsziel werden

Köln – Die Versorgung von Patientinnen und Patienten mit chronischen Schmerzen muss trotz wichtiger Fortschritte deutlich verbessert werden. Das hat die Barmer GEK heute anlässlich der Vorstellung ihres Arztreports 2016 in Berlin gefordert. „Angesichts von Millionen Betroffenen muss die Bekämpfung des chronischen Schmerzes zu einem nationalen Gesundheitsziel werden“, forderte der Vorstandsvorsitzende der Krankenkasse, Christoph Straub.
Es müsse eine durchgängige Versorgungskette für die betroffenen Patienten geschaffen werden, um durch interdisziplinäre Zusammenarbeit möglichst oft die Chronifizierung von Schmerzen zu verhindern. Dabei solle der Hausarzt eine Lotsenfunktion übernehmen. „Er kann einschätzen, welche Therapieschritte zu welchem Zeitpunkt sinnvoll sind“, sagte Straub. „Zur Interdisziplinarität gehört, dass schnell überwiesen wird, dass Schmerz nicht nur als organisches Symptom verstanden wird und somit ein strukturiertes berufsgruppenübergreifendes Behandlungskonzept verfolgt wird.“
Den Forderungen nach Einführung eines Facharztes für Schmerzmedizin erteilte Straub eine Absage. Eine weitere Subspezialisierung löse die großen Versorgungsprobleme nicht. „Wir brauchen nicht mehr Qualifikation, sondern mehr Koordination und Kommunikation“, so Straub.
3,25 Millionen Betroffene in Deutschland
Dem Arztreport zufolge leiden etwa 3,25 Millionen Menschen in Deutschland an chronischen Schmerzen. Die Erkrankung wird jedoch regional sehr unterschiedlich dokumentiert. Am häufigsten sind mit einem Anteil von 5,79 Prozent Menschen in Brandenburg betroffen. Die geringste Rate weist Bremen mit 2,94 Prozent auf. Seit 2005 nahm die Zahl der Diagnosen dabei stetig zu: 2005 waren 1,59 Prozent der Bevölkerung in Deutschland betroffen, 2014 bereits 4,02 Prozent.
Der Arztreport belegt zudem, dass chronische Schmerzen im Alter häufiger und in allen Altersgruppen deutlich häufiger bei Frauen diagnostiziert werden. In der Gruppe der über 80-Jährigen waren 2014 etwa 13,2 Prozent betroffen, 143.000 Männer (9,3 Prozent) und 444.000 Frauen (15,2 Prozent). Bei den über 90-Jährigen waren etwa zehn Prozent der Männer und knapp 16 Prozent der Frauen betroffen.
Die Daten aus dem Arztreport belegen zudem, dass sich die Zahl der Patienten, die im Krankenhaus mit einer multimodalen Schmerztherapie behandelt wurden, von 2006 bis 2014 mit 61.000 mehr als verdoppelt hat. Das entspricht Barmer GEK-Vorstand Straub zufolge jedoch nur einem Fünftel der Patienten, die potenziell für eine solche Therapie geeignet wären. „Wir unterstützen daher intensiv die Bemühungen seitens der Fachgesellschaften, verbindliche Qualitätskriterien für die multimodale Schmerztherapie im Krankenhaus zu entwickeln“, erklärte Straub.
Das Göttinger AQUA-Institut analysierte im Auftrag der Barmer GEK für den Arztreport die ambulanten Behandlungsdaten von 8,6 Millionen Versicherten der Krankenkasse im Jahr 2014.
Verband: Hausärzte spielen bei der Therapie eine entscheidende Rolle
Der Deutsche Hausärzteverband sieht durch den Arztreport die entscheidende Rolle, die Hausärzte als Ansprechpartner und Koordinatoren bei der Behandlung von Schmerzpatienten spielen, bestätigt. „Hausärztinnen und Hausärzte sind für Millionen Schmerzpatienten, gerade auch in Pflegeheimen, die zentralen Ansprechpartner“, erklärte dessen Bundesvorsitzender Ulrich Weigeldt heute in Berlin. „Sie sind diejenigen, die sich gemeinsam mit den Pflegekräften sowie weiteren fachärztlichen Kollegen tagtäglich um die Patientinnen und Patienten vor Ort kümmern.“
Doch auch Weigeldt räumte ein, dass es trotz Fortschritten in den vergangenen Jahren noch in vielen Bereichen Nachholbedarf gibt. Insbesondere müsse die Kooperation von Hausärzten, Pflegekräften und spezialisierten Fachärzten ausgebaut und die „hausärztliche Zuwendungsmedizin“ gestärkt werden. Wichtig sei in diesem Zusammenhang, dass die Regressgefahr beseitigt werde, gerade im Zusammenhang von kostspieligen, aber notwendigen Behandlungen.
Weigeldt verwies zudem auf die Versorgungslandschaft Schmerz, die der Hausärzteverband gemeinsam mit dem Berufsverband der Ärzte und Psychologischen Psychotherapeuten in der Schmerz- und Palliativmedizin in Deutschland (BVSD) entwickelt hat. Sie ziele auf koordinierte, strukturierte und sektorenübergreifende Behandlungsabläufe für Schmerzpatienten. Darüber hinaus sähen die Hausarztverträge spezielle schmerzmedizinische Fortbildungen vor.
Die aktuellen Daten der Barmer GEK machten den Grad der Unterversorgung in der schmerzmedizinischen Versorgung in Deutschland mehr als deutlich, erklärte der BVSD-Vorsitzende Joachim Nadstawek. Der Verband unterstütze deshalb den Vorschlag der Krankenkasse, die Bekämpfung des chronischen Schmerzes zu einem nationalen Gesundheitsziel zu machen.
„Die schmerzmedizinische Versorgung ist mit einem Wort katastrophal“, sagte Nadstawek. Es gebe zu wenige qualifizierte Schmerzmediziner, schmerzmedizinische Leistungen würden zum großen Teil ungenügend vergütet, und für den Nachwuchs bestehe kein Anreiz, sich schmerzmedizinisch zu engagieren. GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung müssten endlich notwendige Schritte zur Verbesserung der Versorgungssituation einleiten.
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