Ausland

Krieg gegen die Ukraine: Hilfsorganisationen beschreiben die medizinische Lage vor Ort

  • Freitag, 4. März 2022
Eine Krankenschwester deckt medizinische Geräte zum Schutz vor Angriffen im Krankenhaus der Stadt Kramatorsk ab./picture alliance, SOPA Images via ZUMA Press Wire, Andriy Andriyenko
Eine Krankenschwester deckt medizinische Geräte zum Schutz vor Angriffen im Krankenhaus der Stadt Kramatorsk ab./picture alliance, SOPA Images via ZUMA Press Wire, Andriy Andriyenko

München/Kaufering/Berlin/Kaufbeuren – Um den vom Krieg gegen die Ukraine betroffenen Menschen zu helfen, organisieren deutsche Organisationen Hilfslieferungen und koordinieren die Unterstützung vor Ort – darunter auch Ärztinnen und Ärzte.

Eine von ihnen ist Gunver Werringloer, Fachärztin für Allgemeinmedizin aus Tübingen, die mit der Hilfsorganisation LandsAid an die polnisch-ukrainische Grenze gereist ist. „In Radymno, der grenznahen Stadt, in der wir uns momentan befinden, kommen täglich zwischen 1.000 und 3.000 Menschen an“, berichtet sie dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Die polnischen Freiwilligen sind unglaublich engagiert und haben in der kurzen Zeit schon viele gute Strukturen geschaffen.“

Die Arbeit sei durch die enorme, gemeinsame Kraftanstrengung der Gemeinden sehr effektiv, aber auch sehr kraftraubend, sodass eine Unterstützung von außen dringend erforderlich sei. „Die polnischen Menschen, die wir vor Ort getroffen und gesprochen haben, sind emotional stark vom Krieg in ihrem Nachbarstaat aufgewühlt und stecken viel Kraft und Energie in die Gemeinden, um eine bestmögliche Versorgung der Flüchtenden zu gewährleisten. Hier können und müssen wir die Menschen vor Ort unterstützen.“

„Was genau in der Ukraine und insbesondere in den umkämpften Gebieten geschieht, kann ich von der polnischen Grenze aus nicht beurteilen“, sagt Werringloer. „Es ist jedoch klar, dass die Lage sehr dynamisch ist und vermutlich auch noch lange bleiben wird.“ An der polnischen Grenze sei es militärisch bisher ruhig. „Momentan sehen wir hier Patienten mit typischen allgemeinmedizinischen Problematiken, wie beispielsweise Atemwegsinfekten, gastrointestinalen Erkrankungen, Kopfschmerzen, wundge­laufenen Füßen, Stressreaktionen und teilweise auch Erfrierungen, die durch die lange Wartezeit an der Grenze zustande kommen“, sagt Werringloer. „Die Wetterbedingungen tragen hier maßgeblich zu dieser Art der Beschwerden bei.“

Massiver Fachkräftemangel

Die Hilfsorganisation Ärzte der Welt ist seit dem Beginn der Konflikte in den ostukrainischen Oblasten Donezk und Luhansk in der Region aktiv. „Die Bevölkerung in dieser Region lebt bereits seit fast acht Jahren in einer humanitären Krisensituation, mit massiven Auswirkungen auf den physischen und psychischen Gesundheitszustand der Menschen“, sagt Stephanie Kirchner von Ärzte der Welt dem DÄ. „Sollte sich der Konflikt weiter verschärfen, droht ein Kollaps der medizinischen Versorgung.“

Rund die Hälfte der Gesundheitseinrichtungen im Osten der Ukraine seien schon jetzt als Folge der bewaffneten Auseinandersetzung beschädigt oder nicht voll betriebsfähig. Wegen des massiven Fachkräftemangels sei das verbliebene Gesundheitspersonal stark überlastet. „Die Coronapandemie hat die Lage zusätzlich verschlechtert“, so Kirchner. „Die Krankenhäuser sind ungenügend ausgestattet, unter anderem fehlen Sauerstoffgeräte.

Die zu einem Großteil ältere Bevölkerung, darunter viele chronisch Kranke, hat Probleme, an nötige Medikamente zu kommen – zum Beispiel, weil die Patienten sich diese nicht leisten können oder weil es nicht genügend Apotheken in erreichbarer Nähe gibt.“ Die Probleme bei der Versorgung spiegelten sich auch in der niedrigen Impfquote wider: Nur 14 Prozent der Bevölkerung in der Oblast Donezk und zwölf Prozent in der Oblast Luhansk seien gegen COVID-19 geimpft. In der gesamten Ukraine liege die Impfquote bei 30 Prozent.

Online-Konsultationen durch Psychologen

Mobile Teams von Ärzte der Welt haben bis vor kurzem in unterversorgten Gebieten eine Basisgesundheitsversorgung angeboten. Außerdem haben die Teams medizinische Materialien zur Verfügung gestellt und Fortbildungen für medizinisches Personal durchgeführt.

„Aufgrund der Eskalation des Konflikts haben wir zunächst unsere regulären Aktivitäten pausiert, um unsere rund 100 Mitarbeitenden in der Ukraine in Sicherheit zu bringen, darunter Ärztinnen und Ärzte, Hebammen, Psychologen und Pflegende“, erklärt Kirchner. „Trotz der schwierigen und belastenden Situation arbeiten die Mitarbeitenden weiter, so gut sie können. So bieten zum Beispiel Hebammen Online-Konsultationen zu Gesundheit rund um Sexualität, Schwangerschaft und Geburt an. Auch Psychologinnen und Psychologen führen Online-Konsultationen durch.“

Ein Koordinationsteam, das vor einigen Tagen Verstärkung von einem Notfallkoordinator und einem Logistiker bekommen hat, plane währenddessen in einem Nachbarland das weitere Vorgehen. Vorgesehen seien unter anderem Aktivitäten zur Unterstützung der Menschen auf der Flucht. „Bedarf besteht aktuell unter anderem an chirurgischem Equipment und Material zur Behandlung von Verletzungen“, sagt Kirchner. „Wir haben Krankenhäusern auf Anfrage in den vergangenen Tagen aus unseren Beständen solche Materialien zur Verfügung gestellt.“

Solidarität in der Bevölkerung

Das Ukrainische Rote Kreuz ist als lokale Rotkreuzgesellschaft vor Ort mit 3.000 Ehrenamtlichen und 550 Mitarbeitenden im Land aktiv. „Das Ukrainische Rote Kreuz leistet mit diesen Kräften trotz der Kampf­handlungen tagtäglich humanitäre Hilfe, evakuiert Menschen, trainiert die Bevölkerung in erster Hilfe und verteilt Hilfsgüter“, erklärt Christoph Johnen, Leiter des Teams „Internationale Zusammenarbeit“ beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) dem . „Die Solidarität in der Bevölkerung ist hoch, das Rote Kreuz vor Ort erlebt derzeit täglichen einen Zustrom an neuen Freiwilligen, allein 1.000 in den letzten Tagen seit Beginn des bewaffneten Konflikts.“

„Die aktuellen Kampfhandlungen, die zunehmend in den urbanen Räumen stattfinden, beeinträchtigen die zivile Infrastruktur immer mehr“, sagt Johnen. „Bereits jetzt fallen vielerorts Strom und Trinkwasserversorgungen aus. Auch das Gesundheitswesen wird zunehmend beeinträchtigt. Medizinische Artikel werden in großem Umfang Mangelware.“

Erste-Hilfe-Kits und Medikamente

Die Hilfsorganisation Humedica arbeitet in der Ukraine mit ihren Partnerorganisationen „Children´s Mission Ukraine“ und der Kirchengemeinde „Novo Chas“ zusammen. „Aktuell beliefern wir beide mit Hilfsgütern, vornehmlich medizinischer Art“, sagt Sebastian Zausch von Humedica dem DÄ. „Unsere Partner wiederum leiten die Hilfsgüter an örtliche Krankenhäuser und andere soziale Einrichtungen weiter.“ Zwei Einsatzteams seien derzeit im Grenzgebiet auf polnischer beziehungsweise moldawischer Seite unterwegs, um gemeinsam mit den Behörden und örtlichen Partnern weitere Hilfe zu koordinieren.

„Über die medizinische Versorgung in der Ukraine hört man sehr unterschiedliche Informationen“, sagt Zausch. „Hier kommt es sicherlich auch darauf an, von welcher Region die Rede ist. Die Einfuhr von Medikamenten ist unseren Informationen nach möglich. Benötigt werden unseren Partner zufolge Erste-Hilfe-Kits, Einweg-OP-Kits, alles für die Wundversorgung, Kompressen für Verbrennungen, OP- und Untersuchungshandschuhe sowie Medikamente jeglicher Art.“

Gunver Werringloer von LandsAid ist derzeit vor allem damit beschäftigt, die vielen Anfragen aus der Ukraine zu sichten, die vor allem von Krankenhäusern, aber auch vom Militär gestellt werden. „Die größte Nachfrage besteht zum Beispiel bei Medikamenten wie Antibiotika und Schmerzmitteln, Verbandsmaterial und Rettungsdecken“, sagt sie. „Wir wollen Bedarfe sowohl im medizinischen als auch im Bereich der Sachspenden ermitteln, um die Situation dann durch zielgerichtete Maßnahmen zu verbessern. Zum Beispiel sind wir gerade dabei, eine Übergangsunterkunft für die Flüchtenden so herzurichten und auszustatten, dass eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung möglich ist.

Langfristige Versorgungslinie

Derweil organisieren die Organisationen Hilfstransporte. „Das DRK hat am 1. März seinen ersten großen Hilfstransport nach Polen zur Versorgung geflüchteter Menschen und zur Unterstützung der Bevölkerung in der Ukraine geschickt“, berichtet Johnen. „Wir streben den Aufbau einer langfristigen Versorgungslinie nach Polen und in die Ukraine hinein an, um den täglich größer werdenden humanitären Bedarfen gerecht werden zu können.“

Auch Humedica plant weitere Hilfstransporte in die Ukraine mit den benötigten Medizinprodukten. „Die Verteilungen werden dann wieder die örtlichen Partner übernehmen“, erklärt Zausch. „Inwiefern wir ein Ärzteteam in das Land schicken werden, ist noch nicht entschieden.“

Was können deutsche Ärztinnen und Ärzte tun, um die medizinische Versorgung zu unterstützen.?„Die beste Möglichkeit ist aus meiner Sicht eine Geldspende“, sagt Werringloer von LandsAid. „So kann eine Organisation flexibel auf bestehende und neu entstehende Bedarfe reagieren. Sachspenden sollten bitte immer nur bei konkreter Anfrage und nach Absprache mit einer Hilfsorganisation gemacht werden.“

Zausch von Humedica ergänzt: „Deutsche Ärztinnen und Ärzte können aus unserer Sicht auch ihre Arbeitgeber, zum Beispiel Krankenhäuser, dazu motivieren, die in der Ukraine fehlenden Medizinprodukte kostenlos zur Verfügung zu stellen, sowie an die Hilfsorganisationen spenden, damit diese sie dann ins Krisengebiet bringen können.“

fos

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