Kritik an Stellungnahme: Kein Beweis für Unbedenklichkeit voller Opernhäuser

Berlin – Eine Stellungnahme aus dem Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Berliner Charité sorgt für Überraschung: Darin heißt es, dass Opern und Konzerte trotz Corona unter Einhaltung bestimmter Hygienebedingungen wieder in vollbesetzten Häusern gespielt werden könnten. Doch das eigene Haus distanzierte sich prompt von diesem Papier.
Auf Twitter erklärt der Vorstand der Charité, dass das Papier zur Wiederaufnahme des Oper- und Konzertbetriebs unter Coronabedingungen nicht abgestimmt sei und nicht die Position des Vorstands wiedergebe.
Der Entwurf berücksichtige nicht die aktuelle Dynamik des Infektionsgeschehens und der damit verbundenen Risiken. Das Papier sei daher nicht als Handlungsvorschlag, sondern als Grundlage einer weiteren kritischen Diskussion im Rahmen der Berliner Teststrategie zu betrachten.
Die Sozialmediziner um Institutsdirektor Stefan N. Willich gehen davon aus, dass sich „das Publikum von Klassikveranstaltungen durch ein aufgeklärtes Verständnis der gesundheitlichen Zusammenhänge, eine disziplinierte Verhaltensweise sowie die sorgfältige Einhaltung von Vorgaben“ auszeichne.
Darüber hinaus seien die Risiken für eine SARS-CoV-2-Infektion durch Kontakte mit kontaminierten Flächen nach neuesten Erkenntnissen als geringer einzustufen, als ursprünglich angenommen, heißt es in dem Papier. Die größere Gefahr gehe von Tröpfchen und Aerosolen aus, die beim Sprechen, Singen, Husten und Niesen ausgestoßen werden. Eine Infektionsgefahr bestehe vor allem in geschlossenen Räumen mit wenig Luftzirkulation.
Vorstellbar sei ein normaler Oper- und Konzertbetrieb, wenn das Publikum sowohl in den Sälen als auch beim Einlass und beim Verlassen des Gebäudes ständig einen medizinischen Mund-Nasen-Schutz trage. In Foyers, an den Kassen, Garderoben und im Sanitärbereich sollten die Abstandsregeln eingehalten werden, heißt es weiter. Durch Wegeführung müsse zudem die Laufrichtung des Publikums gewährleistet werden.
Gespräche würden während der Klassik-Veranstaltungen ohnehin nicht geführt, meinen die Autoren des Papiers, und Bewegungsströme sowie Gedränge seien in der Regel gut zu steuern.
Der wissenschaftliche Beweis fehlt
Der Stellungnahme der vier Wissenschaftler um Willich liegen keine eigenen Untersuchungen zugrunde. Dass volle Konzertsäle unter Einhaltung bestimmter Hygienemaßnahmen vertretbar wären, dafür gibt es bislang kaum wissenschaftliche Evidenz. Ein Konzertexperiment mit Sänger Tim Bendzko am kommenden Samstag in Leipzig soll neue Erkenntnisse liefern.
Trotz unterschiedlicher Regelungen in den Bundesländern seit Juni hat sich der Konzert- und Opernbetrieb bislang nicht nennenswert normalisiert. Für die meisten Institutionen ist ein Betrieb unter diesen Bedingungen unwirtschaftlich.
So rechnen zum Beispiel die Berliner Philharmoniker angesichts der Coronaeinschränkungen in diesem Jahr mit einem hohen Defizit von zehn Millionen Euro, hoffen aber auf Hilfen der Politik - und neue Erkenntnisse der Berliner Charité über kleinere Abstände bei Musikern und Publikum.
Weitere Stellungnahme: Geringere Abstände im Orchester möglich
In einer weiteren Stellungnahme der Sozialmediziner der Charité im Auftrag der Berliner Orchester heißt es, dass die Musiker den bisher erlaubten Abstand bei Proben und Aufführungen verringern könnten.
Die Autoren um Willich empfehlen einen Abstand zwischen den Streichern von einem Meter (aktuell 1,5 Meter) sowie von 1,5 Meter zwischen den Bläsern (aktuell zwei Meter). Eine Trennung durch Plexiglas könne bei den Bläsern entfallen.
Zu der am Montag aktualisierten Stellungnahme – sie ist in einer ersten Version bereits im Mai erschienen – hat sich der Vorstand der Charité bislang nicht geäußert.
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