Kritischer Diskurs über Positionierung des KBV-Vorstandes in Coronakrise

Berlin – Im Rahmen der heutigen digitalen Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ging Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV, noch einmal auf das viel diskutierte Positionspapier zur Bewältigung der SARS-CoV-2-Pandemie ein, das die KBV gemeinsam mit weiteren Experten im Oktober vorgelegt hatte.
„Es ging nie darum, irgendetwas zu verharmlosen oder gar zu negieren. Wir wollten damit eine Diskussion anstoßen, die aus unserer Sicht zu kurz kommt“, so Gassen. Um den „Tunnelblick“ zu erweitern, gelte es, praktische Erfahrungen aus der Versorgung zu nutzen, um im weiteren Verlauf besser mit der Coronapandemie umgehen zu können.
Gassen betonte ausdrücklich, es sei richtig, die Infektionszahlen einzudämmen. Für die schwer Erkrankten könne es lebensgefährlich werden und bei sehr hohen Infiziertenzahlen bedeute auch die vergleichsweise niedrige Prozentzahl von 1,5 Prozent Intensivpflichtigen absolut gesehen dann doch „sehr viele Betroffene“.

Zugleich wiederholte Gassen die Forderung nach einen Strategiewechsel. Das heiße unter anderem den Schutz der vulnerablen Bevölkerungsgruppen gezielter und besser zu gestalten.
Gelinge es, diese zielgerichtet zu schützen, wäre auch die Gefahr einer Überlastung der Krankenhäuser „sehr viel geringer“. Der derzeitige Lockdown sei dagegen „weitgehend wirkungslos“ und löse massive wirtschaftliche und soziale Schäden aus.
Ein langfristiges Konzept, wie man als Gesellschaft möglichst gut mit der Situation leben könne, forderte auch Stephan Hofmeister, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der KBV. Es gehe dabei um eine realistische, medizinisch begründete Einschätzung von Chancen und Risiken – und um daraus abgeleitete Schritte.

KBV-Chef Gassen dankte allen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und Berufsverbänden für das „offene kollegiale Feedback“ zur Positionierung der KBV. Er hoffe, dass die damit begonnene Diskussion zielorientiert und unaufgeregt weiterzuführen sei.
„Wir möchten ausdrücklich alle ärztlichen und auch psychotherapeutischen Kolleginnen und Kollegen weiter ermutigen, sich einzubringen. Wir brauchen diesen innerärztlichen Dialog und wir brauchen ärztliche Stimmen in der politischen und gesellschaftlichen Debatte.“
In der an die Reden der KBV-Vorstände anschließenden Aussprache wurden erneut durchaus kritische Töne an der Positionierung der KBV laut. So erklärte die Vorsitzende der KV Thüringen, Annette Rommel, dass sie mit der Positionierung von KBV-Chef Gassen nicht einverstanden sei. „Es gibt unter den Vertragsärzten viele, die anders denken und das täglich anders erleben. Wir müssen für Vertrauen bei den Menschen werben.“
Auch VV-Mitglied Werner Baumgärtner warnte im Zusammenhang von COVID-19 vor Relativierungen. „Ich stehe jeden Tag in der Praxis und bekomme die Sorgen der Patientinnen und Patienten mit.“ Ärztliche Standesvertreter müssten in ihrer Position auch die, möglicherweise unerwünschte, Außenwirkung ihrer Kritik an den getroffenen Eindämmungsmaßnahmen mitdenken.
Ähnlich auch Burkhard John, der als Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen-Anhalt an seiner letzten KBV-VV teilnahm: „Das Papier ist nicht die Meinung der Vertragsärzte. Vieles in der Versorgung ist gut geregelt. Was nicht geregelt ist, wie es in den Heimen derzeit läuft.“
Peter Heinz von der KV Rheinland-Pfalz erklärte, Ärztevertreter in der Öffentlichkeit müssten sich „überlegen, was kommunizierbar ist aus unserer besonderen Position heraus“. Er betonte aber, dass es gut sei, in der öffentlichen KBV-VV hier in „verhaltener“ Wortwahl zu diskutieren.
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