Künftige Präsidentin: Leopoldina soll stärkere Stimme in Gesellschaft sein

Berlin – Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina will künftig mehr Menschen mit evidenzbasierten Inhalten erreichen, etwa über soziale Medien. Das kündigte die künftige Präsidentin der Gelehrtengesellschaft, die Kölner Wirtschaftswissenschaftlerin Bettina Rockenbach, heute in Berlin an. Sie wolle unter anderem darauf hinwirken, dass die Leopoldina „eine stärkere Stimme“ in der Gesellschaft sei.
Die 61-Jährige übernimmt das Amt in wenigen Tagen in Halle (Saale) von dem Klimaforscher Gerald Haug, der nach einer Amtszeit ausscheidet. Seine wichtige Arbeit wolle sie fortsetzen und weiterentwickeln, sagte sie. Rockenbachs Amtszeit beginnt am 1. März, Amtssitz ist Halle.
Sie ist dann die erste Frau und die erste Wirtschaftswissenschaftlerin an der Spitze der 1652 gegründeten Leopoldina. „Meine Vorgänger waren alle aus dem naturwissenschaftlich-medizinischen Bereich, wo die Leopoldina auch ihren Ursprung genommen hat“, sagte Rockenbach.
Die Organisation habe sich vor Jahren richtigerweise geöffnet, da heutige Problemlagen auch aus gesellschafts- und sozialwissenschaftlicher Perspektive adressiert werden müssten. Rockenbach hob zudem Kooperationen auch auf internationaler Ebene hervor. Viele Themen beträfen nicht nur Deutschland, sondern seien von globaler Natur.
Rockenbach hat unter anderem zum Design von Mechanismen zur Beförderung von lokaler und globaler Kooperation und der Gestaltung von Rahmenbedingungen für sozial verantwortliches wirtschaftliches Handeln geforscht. Sie hatte in ihrer Laufbahn mehrere Positionen im Wissenschaftsmanagement inne, etwa als Prorektorin für Forschung und Innovation der Universität zu Köln. Leopoldina-Mitglied ist sie seit 2013.
Forschung als Motor der Wirtschaft
Rockenbach hob zudem die Bedeutung von Wissenschaft und Innovation für die deutsche Wirtschaft hervor. Um mit den Herausforderungen der Zukunft wie Kosten durch die alternde Gesellschaft und den Klimawandel zurechtzukommen, brauche es eine starke und wettbewerbsfähige Wirtschaft.
Die Forschung müsse gestärkt werden – Innovationen kämen „nicht nur aus den Universitäten oder den Forschungsinstituten, sondern auch aus der Industrie. Und das ist etwas, was wir sehr stark fördern müssen“. Sie plädierte dafür, künftig Innovations- und Forschungspolitik in einem Bundesministerium zu bündeln, um die tatsächliche Umsetzung von Innovationen zu fördern.
Die Diskussion um mögliche Formen der wissenschaftlichen Politikberatung in Deutschland begrüßte Rockenbach. Dies zeige, dass eine Notwendigkeit für mehr wissenschaftliche Beratung in der Politik gesehen werde. Die Entscheidung liege aber bei der Politik.
Sollte möglicherweise eine Person oder ein Gremium für wissenschaftliche Beratung herangezogen werden, könne dies die Leopoldina mit ihrem 1.700 Mitgliedern aber keinesfalls ersetzen, sagte Rockenbach. Aus ihrer Sicht müssten ohnehin zunächst Fragen der Umsetzung geklärt werden.
Krisen und Chancen der Zukunft antizipieren
Vorbereitungen der Gesellschaft auf die Zukunft – „was man Neudeutsch als Crisis Preparedness bezeichnet“ - seien ebenfalls ein wichtiger Punkt in der künftigen Arbeit der Leopoldina, sagte die künftige Präsidentin. Es gelte zu versuchen, Themen von morgen und übermorgen zu antizipieren, um wissenschaftliche sowie praktische Empfehlungen geben zu können.
Dies betreffe nicht nur für den Umgang mit möglichen kommenden Krisen, sondern auch bei sich abzeichnenden Chancen. Zwar habe die Leopoldina bereits spezielle Fokusgruppen eingerichtet, aber es sei wichtig, noch weitere Themen zu identifizieren, die momentan noch niemand auf dem Zettel habe.
Bisherige Fokusgruppen widmen sich den Themenkomplexen Biodiversität – Landnutzung – Klima, Klima und Energie sowie Medizin und Digitalisierung.
Neue Formate für Öffentlichkeitsarbeit geplant
Um die Leopoldina stärker ins öffentliche Bewusstsein zu rücken, brauche es neue und kürzere Formate zum Darstellen komplexer Zusammenhänge, beispielsweise für die sozialen Medien, sagte Rockenbach. Als mögliche Beispiele nannte sie Faktenblätter zu wichtigen Themen, die etwa auch in Schulen verwendet werden könnten, kürzere Videos und Podcasts. Die wissenschaftliche Seriosität dürfe dabei aber nicht verloren gehen.
Als mögliche Zielgruppen nannte die künftige Präsidentin Politikerinnen und Politiker, Schülerinnen und Schüler aber auch allgemein Bürgerinnen und Bürger. Zusätzliche Mittel für eine Stärkung sozialer Medien bekomme die Leopoldina aber nicht, hieß es. Ob die Leopoldina künftig etwa die insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen verbreitete App TikTok nutzen will, ist noch nicht geklärt, wie es hieß.
Bisher ist die Gelehrtengesellschaft unter anderem noch auf der umstrittenen Plattform X des Tech-Milliardärs Elon Musk aktiv. Man versuche, in dem Umfeld noch eine Stimme der Wissenschaft zu sein, auch weil sich dort nach wie vor Politikerinnen und Politiker äußerten, sagte Rockenbach. Aber es sei offen, ob man dort bleibe und beobachte die Entwicklung eng. Unter anderem zahlreiche Universitäten hatten die Plattform zuletzt aus Protest verlassen.
Angesichts von mangelndem Vertrauen in die Wissenschaft und dem Leugnen von Fakten in Teilen der Gesellschaft ist es aus Rockenbachs Sicht wichtig, Themen und die Art und Weise, wie Wissenschaft gemacht wird, verständlich zu vermitteln – einschließlich der Unsicherheiten, etwa wenn es um auf die Zukunft bezogene Annahmen geht.
Aus ihrer Sicht müsse man klar machen: „Dadurch, dass man wissenschaftliche Fakten leugnet oder Prozesse leugnet, gehen die nicht weg. Die Natur lässt sich von uns nicht beeinflussen, wenn wir Dinge ignorieren. Es wird im Zweifel nur schlimmer.“ Generell herrsche in Deutschland aber immer noch ein recht großes Vertrauen in die Wissenschaft. „Es ist nicht so schlecht wie man denkt“, sagte sie mit Blick auf Umfrageergebnisse.
Angesprochen auf die derzeitigen Angriffe auf die Wissenschaft in den USA betonte Rockenbach, dass man sich hierzulande nicht darauf ausruhen dürfe, dass die Wissenschaftsfreiheit im Grundgesetz verankert sei. Es sei für alle Wissenschaftsorgansationen wichtig, die Entwicklung zu beobachten und möglichen künftigen Angriffen vereint entgegenzutreten.
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