Long COVID: Mehr Therapieforschung und Unterstützung gefordert

Berlin – Für Betroffene von Langzeitfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion sind im Bundestag mehr Forschung, eine bessere Versorgung und gezieltere Unterstützung gefordert worden. Von anhaltenden Schwierigkeiten berichteten Vertreter von Betroffenenorganisationen und Sozialverbänden heute in einer Anhörung der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronapandemie.
Die Charité-Expertin für postinfektiöse Erkrankungen, Carmen Scheibenbogen, sprach als einzige aus der Medizin geladene externe Sachverständige von einer bis heute leider schlechten Versorgungslage für Betroffene von Long COVID, ME/CFS und Post-Vac.“ Bei ME/CFS handelt es sich um Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom.
Diese Krankheitsbilder würden bis heute im Studium und in der Ausbildung kaum gelehrt, es gebe speziell dafür auch keine ärztliche Fachgesellschaft. „Das hat zur Folge, dass auch wenige Ärzte Expertise haben“, sagte die Leiterin des Arbeitsbereichs Immundefekte und Postinfektiöse Erkrankungen des Universitätsklinikums in Berlin.
„Wirksame Medikamente fehlen ganz.“ Damit gingen oft fehlende Anerkennung und das Konzept einer ausreichenden Behandelbarkeit durch Psychotherapie oder Rehabilitation einher, so Scheibenbogen.
Die vermutlich verschiedenen Krankheitsmechanismen seien inzwischen relativ gut verstanden, sagte die Medizinerin. Sie bezog sich auch auf eigene Erkenntnisse zu Autoantikörpern, die für einen relevanten Teil der Betroffenen krankheitsauslösend seien. Hierzu seien dringend Therapiestudien nötig. Medikamente deutscher Unternehmen könnten bis zur Zulassung gebracht werden, hier lasse sich ein großer Markt erschließen, stellte Scheibenbogen in Aussicht.
Mehrere der weiteren Sachverständigen forderten eine Fortsetzung und Intensivierung der staatlichen Forschungsförderung. Scheibenbogen bekräftigte, dass es den Staat brauche, da es bei dem Thema an Unterstützung aus der Pharmaindustrie mangele.
„Gelder müssen jetzt freigesetzt werden“, appellierte Elena Lierck, Gründerin des Vereins Nicht Genesen Kids. „Wir brauchen eine verstetigte Forschung.“ Laufenden Projekte sei noch unter Ex-Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angestoßen worden. Es komme wenig Neues nach.
Ricarda Piepenhagen, Gründerin der Organisation Nicht Genesen, die sich für Betroffene von Long COVID-, ME/CFS und Post-Vac einsetzt, erklärte, dass viele Betroffene Hoffnung in die CDU/CSU-Fraktion gesetzt hätten. Diese werde bisher jedoch enttäuscht. Noch aus der Oppositionsrolle in der vergangenen Legislatur heraus sei etwa eine Forschungsdekade zu Long COVID gefordert worden. An dieses Versprechen gelte es anzuknüpfen.
„Wir würden uns wünschen, dass die Politik der Wissenschaft zuhört“, sagte Piepenhagen. Auch die Betroffenen müssten ernst genommen werden. Es handle sich um eine laufende Gesundheitskrise, nicht um eine abgeschlossene. Noch immer erkrankten Menschen. Sie rief dazu auf, diese Nachwirkungen der Pandemie in den Griff zu bekommen.
Ein „Wieder-Fit-Machen“, eine klassische Reha, funktioniere nicht, wenn Menschen an einer Belastungsintoleranz litten, betonte Scheibenbogen. Man habe häufig erlebt, dass Betroffene kränker als zuvor aus einer Reha zurückkommen würden.
Die Entscheidung über die oftmals noch geforderte Reha vor einer Rente in schweren Fällen müsse in Zukunft sehr kritisch getroffen werden, appellierte Scheibenbogen. Aus ihrer Sicht müsse der Weg ein anderer sein: mit ambulanter, hausärztlicher und wohnortnaher Versorgung. „Die Hauptlösung wird sein, dass wir wirksame Medikamente haben.“
Es brauche dringend eine Aufklärungskampagne über die Erkrankung – und das Thema müsse in die Curricula von Berufsgruppen aufgenommen werden, die mit Betroffenen zu tun haben, von der Ärzteschaft bis hin zu Beschäftigten in Jugend- und Sozialämtern, betonte Lierck, die Mutter einer von ME/CFS betroffenen Tochter ist. Es brauche auch mehr Ärztinnen und Ärzte, die sich mit dem Thema beschäftigten.
Für Betroffene brauche es klare bundesweite Versorgungspfade, Lotsenstellen bei Krankenkassen oder Kommunen und eine verlässliche soziale Absicherung, betonte Holger Lange, Abteilungsleiter der Bundesrechtsabteilung des Sozialverbands VdK Deutschland.
„Für Long COVID und Post-Vac braucht es angepasste sozialrechtliche Bewertungsmaßstäbe. Sonst folgt aus medizinischer Unsicherheit auch soziale Unsicherheit", betonte Lange.
Für den Caritasverband betonte Präsidentin Eva-Maria Welskop-Deffaa, dass der Begriff Vulnerabilität in der Pandemie vor allem medizinisch ausgelegt worden sei, so dass ein Fokus auf Älteren als Risikogruppe gelegen habe. Andere vulnerable Gruppen seien dadurch zu wenig im Blick gewesen. Dies gelte es in künftigen Krisen besser zu lösen.
Aus der AfD-Fraktion kamen mehrere Fragen zur Abgrenzung von Impffolgen und Spätfolgen der Infektion. Scheibenbogen sagte dazu, dass es Long COVID und ME/CFS schon vor Beginn der Coronaimpfkampagne gegeben habe. 2021 hätten die Infektionen in der Bevölkerung stark zugenommen und ME/CFS sei im Zuge dessen bekannter geworden.
Den Nutzen der Coronaimpfung hob Scheibenbogen sowohl in Hinblick auf die abgemilderte Krankheitsschwere als auch in Bezug auf ein reduziertes Long-COVID-Risiko hervor. Dieser Benefit sei um ein Vielfaches größer als das Risiko, eine Impfreaktion mit anhaltenden Symptomen zu entwickeln.
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