Medizin

„Lupus-Gen“ schützt vor COVID-19, Variante auf X-Chromosom erhöht Risiko

  • Freitag, 4. November 2022
/BillionPhotos.com, stock.adobe.com
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Montreal und London – Ob Menschen nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 schwer an COVID-19 erkranken, wird von Genen beeinflusst, die an der Sofortabwehr von Viren durch das angeborene Immunsystem beteiligt sind.

Eine Exom-weite Assoziationsstudie ermittelt in PLoS Genetics (2022; DOI: 10.1371/journal.pgen.1010367) einen der bisher stärksten genetischen Risikofaktoren. Eine weitere Studie in PLoS Genetics (2022; DOI: 10.1371/journal.pgen.1010253) zeigt, dass eine Wechselwirkung mit Autoimmunerkrankungen besteht.

Die „COVID-19 Host Genetics Initiative“, zu der sich Forscher aus Nordamerika, Europa, Ostasien und Arabien zusammengeschlossen haben, hat in früheren Untersuchungen bereits 23 Gene gefunden, die das Erkrankungsrisiko im Fall einer Infektion mit SARS-CoV-2 beeinflussen.

In den Studien wird das Erbgut an Stellen verglichen, an denen an ehesten mit Abweichungen, sogenannten Einzelnukleotid-Polymorphismen (SNP), zu rechnen ist. Die Chancen auf einen Fund steigen dabei mit der Zahl der untersuchten Patienten und Kontrollen. Die dabei entdeckten SNP sind oft sehr selten. Sie können aber auf Gene hinweisen, die an der Pathogenese beteiligt sind. Dies gilt vor allem dann, wenn die SNP das Erkrankungsrisiko deutlich steigern.

Für die aktuelle Analyse wurden die Exomdaten – der Anteil des Erbguts, der die Baupläne für die etwa 20.000 Proteine enthält – von 5.085 Patienten mit schwerem COVID-19 und 571.737 Kontrollen verglichen. Dabei wurde ein SNP auf dem Gen TLR7 entdeckt, der mit einem 5,3-fach erhöhten Risiko auf einen schweren Verlauf von COVID-19 verbunden war (95-%-Konfidenzintervall 2,75 bis 10,05).

Das Gen TLR7 kodiert den „Toll-like Rezeptor 7“, mit dem Zellen erkennen können, ob sie mit RNA-Viren, zu denen auch SARS-CoV-2 gehört, infiziert sind. Sie aktivieren dann eine Interferon-Antwort zur Abwehr der Viren.

Das Team um Brent Richards von der McGill Universität in Montreal vermutet, dass die Genvariante zu einer Schwächung oder sogar zum Ausfall von TLR7 führt, was den Viren die Chance für eine ungehinderte Replikation gibt. Wenn die adaptive Immunabwehr mit Antikörpern oder T-Zellen anspringt, ist es dann vielleicht schon zu spät.

Interessanterweise befindet sich das Gen TLR7 auf dem X-Chromosom. Dies könnte im Prinzip erklären, warum Männer (die nur ein X-Chromosom haben) häufiger schwer an COVID-19 erkranken als Frauen (die zwei X-Chromosomen haben, was die Chance auf ein intaktes Allel erhöht).

Die Forscher konnten diese Annahme allerdings nicht bestätigen. Frauen mit dem SNP hatten ein ebenso hohes Risiko wie Männer. Richards vermutet, dass die Bedeutung von TLR7 für die Virenabwehr so groß ist, dass auch der Ausfall eines Allels ausreicht, um die Anfälligkeit für Virusinfektionen zu erhöhen.

Die angeborene Immunabwehr hat sich in der Evolution bewährt. Eine zu heftige Reaktion kann dem Körper jedoch schweren Schaden zufügen. Wenn die Virusabwehr immer wieder ohne Grund aktiviert wird, kann dies beispielsweise die Entwicklung von Autoimmunerkrankungen fördern.

Einige der bekannten Risiko-Allele für den systemischen Lupus erythematodes (SLE), eine der schwersten Autoimmunerkrankungen, befinden sich auf den Genen für die intrazelluläre Virenabwehr (darunter auch TLR7) und die Interferon-Antwort.

Ein Team um David Morris vom King’s College London hat den Zusammenhang zwischen Virusabwehr und Autoimmunerkrankung jetzt für ein weiteres Gen untersucht, das an der Interferon-Antwort beteiligt ist. Es handelt sich um das Gen TYK2, das die Information für die Tyrosinkinase 2 enthält.

Das Enzym ist in den Immunzellen an der Signalverarbeitung beteiligt. Eine Aktivierung führt zur vermehrten Interferon-Produktion. Dies hat im Fall einer Infektion mit SARS-CoV-2 eine schnelle Abwehr zur Folge, eine zu starke Aktivität könnte aber bei Patienten mit SLE die Autoimmunreaktion anfeuern.

Die Forscher können zeigen, dass neben TYK2 noch andere Immun-Gene in ähnlicher Weise ein doppeltes Gesicht zeigen. Einerseits verstärken sie den Schutz vor Infektionen, andererseits können sie das Risiko von Autoimmunerkrankungen erhöhen.

In den USA ist im September mit Deucravacitinib der erste TYK2-Inhibitor zur Behandlung der Psoriasis eingeführt worden, einer Autoimmunerkrankung der Haut. Zu den Nebenwirkungen gehören Infektionen der oberen Atemwege, die in der Zulassungsstudie bei fast jedem 5. Patienten aufgetreten waren.

rme

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