Medizin

COVID-19: Weiteres Risikogen für schwere Verläufe gefunden

  • Dienstag, 16. August 2022

Berlin – Der Transkriptionsfaktor ELF5, der in den Lungenalveolen aber auch im Riechepithel aktiv ist, erhöhte bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 das Risiko auf einen schweren beziehungsweise tödlichen Verlauf, wie neue Forschungsergebnisse in Nature Communications (2022; DOI: 10.1038/s41467-022-31999-6) zeigen.

Auch junge Menschen ohne Grunderkrankungen erkranken gelegentlich schwer an COVID-19. Eine mögliche Erklärung sind genetische Varianten, die SARS-CoV-2 den Eintritt in die Zelle und/oder seine Replikation erleichtern oder die Abwehrreaktionen beinträchtigen.

Es wurden bereits mehrere genetische Risikofaktoren gefunden, darunter Varianten in der AB0-Transferase. Sie erklären, warum Menschen mit der Blutgruppe A häufiger, solche mit der Blutgruppe 0 dagegen seltener erkranken. Wenn diese Personen sich jedoch infizieren, sind sie durch die Varianten im Blutgruppengen nicht vor einem schweren Verlauf geschützt.

Anders ist die Situation bei Genvarianten im Gen ELF5, wie jetzt ein Team um Claudia Langenberg vom Berlin Institute of Health berichtet. Menschen, bei denen das Gen ELF5 besonders stark aktiviert ist, hatten ein fast 5-fach erhöhtes Risiko auf einen schweren Verlauf mit Hospitalisierung oder Tod an COVID-19. Die Odds Ratio von 4,88 war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 2,47-9,63 signifikant.

Die Forscher hatten den Zusammenhang entdeckt, indem sie die Ergebnisse von Genom-weiten Assoziations­studien (GWAS) mit Proteonomicsanalysen in Beziehung setzten. Dadurch lässt sich manchmal ermitteln, wel­chen Proteinen die in den GWAS gefundenen Genvarianten (SNP) zuzuordnen sind. Die SNP befinden sich häu­fig nicht in den Bauplänen der Proteine, sondern in deren Umgebung, was eine Zuordnung erschwert.

Die Forscher fanden 8 Proteine, die das Erkrankungsrisiko beeinflussen. Von diesen hatte ELF5 mit Abstand den größten Einfluss auf den Ausgang einer Erkrankung an COVID-19. ELF5 enthält die Information für einen Transkriptionsfaktor. Das ist ein Protein, dass die Ablesung (Transkription) von anderen Genen beeinflusst. Weitere Untersuchungen ergaben, dass ELF5 vor allem in den Epithelien der Atemwege gebildet wird, die bekanntlich das erste Angriffsziel des Virus sind.

ELF5 wird dort von denselben Zellen aktiviert, die auch ACE2 und TMPRSS2 bilden. ACE2 ist der Rezeptor auf der Zelloberfläche, an dem SARS-CoV-2 ankoppelt. TMPRSS2 ist ein Enzym, das den Viren danach den Eintritt in die Zelle ermöglicht.

In den Alveolen wird ELF5 vor allem von den AT2-Zellen gebildet, deren Zerstörung der Ausgangspunkt der Pneumonie ist. ELF5 wird jedoch auch von den Bowman-Drüsen und den Stützzellen im Riechepithel gebil­det, deren Infektion und Zerstörung für die Geruchsstörungen bei COVID-19 verantwortlich ist.

Eine Beteiligung von ELF5 an der Pathogenese erscheint damit plausibel. Welche Rolle ELF5 genau spielt, ist unklar. Dies lässt sich bei Transkriptionsfaktoren nur schwer ermitteln, da sie in der Regel die Aktivität mehre­rer anderer Gene beeinflussen.

Aus diesem Grund kann die Entdeckung vermutlich nicht für die Entwicklung von neuen Wirkstoffen genutzt werden. Eine Blockade von ELF5 ließe sich heute durch Gene Silencing oder Antisense-Oligonukleotide leicht bewerkstelligen. Wegen der vielfältigen Einflüsse der Transkriptionsfaktoren auf den Zellstoffwechsel wäre dies allerdings riskant.

Unter den 8 Proteinen befand sich aber auch der Granulozyten-Kolonie-stimulierende Faktor (G-CSF). Men­schen, bei denen G-CSF vermehrt gebildet wurde, erkrankten seltener schwer an COVID-19. Eine Behandlung mit G-CSF könnte deshalb das Krankheitsgeschehen günstig beeinflussen.

Da synthetisches G-CSF wie Filgrastim und Lenograstim bereits als Medikament zugelassen sind (zur Behand­lung der Neutropenie nach Chemotherapie), könnte schon jetzt mit klinischen Studien begonnen werden.

Tatsächlich wurden bereits im vergangenen Jahr die Ergebnisse einer randomisierten klinischen Studie vorge­stellt, in der Patienten über 3 Tage mit G-CSF behandelt wurden. Anlass war die Beobachtung, dass viele Pa­tienten mit COVID-19 eine Lymphopenie haben. Nach den in JAMA Internal Medicine (2021; DOI: 10.1001/jamainternmed.2020.5503) publizierten Ergebnissen gelang es, die Lymphozytenzahl zu erhöhen. Ein klinischer Nutzen war jedoch nicht erkennbar. G-CSF gehört derzeit nicht zu den empfohlenen Medikamenten bei COVID-19.

rme

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