Ärzteschaft

Marburger Bund: Ärzteschaft muss Einführung der Künstlichen Intelligenz aktiv gestalten

  • Sonntag, 25. Mai 2025
/peshkova, stock.adobe.com
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Leipzig – Der Marburger Bund (MB) hat angeregt, dass die Bundesärztekammer (BÄK) ein interdisziplinäres Expertengremium zur Künstlichen Intelligenz (KI) einrichtet. Dieses Gremium soll sich aus Fachleuten aus Medizin, Informatik, Recht und Ethik sowie angrenzenden Disziplinen zusammensetzen und Entwicklungen im Bereich KI gestalten und bewerten.

Es soll unter anderem medizinische und ethische Leitlinien für den Einsatz von KI in der Praxis formulieren und die BÄK strategisch und fachlich beraten, damit diese öffentlich sichtbar Positionen zur KI beziehen und die Perspektive der Ärzteschaft gegenüber Politik und Gesellschaft vertreten kann.  

„Die rasante Entwicklung Künstlicher Intelligenz wird die ärztliche Tätigkeit und die medizinische Versorgung in den nächsten Jahren grundlegend verändern“, heißt es zur Begründung in dem Beschluss der Delegierten der 145. Hauptversammlung. „Um diesen Wandel im Sinne von Patientensicherheit, ärztlicher Verantwortung und ethischen Standards aktiv mitzugestalten, braucht es eine starke Stimme der Ärzteschaft.“

Aktuell sei nicht absehbar, wie tiefgreifend KI die Medizin und die ärztliche Tätigkeit weiter verändern werde, heißt es in einem weiteren Beschluss. Es bestehe dabei jedoch auch ein hohes Potenzial: „Prädiktive Modelle werden Krankheiten früher erkennen können als je zuvor, individualisierte Therapien werden noch gezielter und effizienter eingesetzt werden können und automatisierte Systeme werden Routineaufgaben übernehmen, um Ärztinnen und Ärzte zu entlasten“, betonten die Delegierten.

„Diese Entwicklung ist absehbar und schneller realisierbar, als es noch vor Jahren möglich erschien.“ Gerade aus diesem Grund sei eine bewusste und verantwortungsvolle Steuerung dieser Transformation durch die ärztliche Profession unabdingbar.

In diesem Zusammenhang forderten die Delegierten unter anderem die Entwicklung klarer Richtlinien für den Einsatz von KI in der Medizin sowie eine eigenständige Förderung von KI in Europa, um eine starke, unabhängige europäische KI zukünftig in der Medizin zu gewährleisten.

Zudem solle das Wissen um die Funktionsweise der KI in die medizinische Aus-, Fort- und Weiterbildung integriert werden. „KI wird die Medizin verändern – es liegt in der Hand der Ärztinnen und Ärzte, diese Veränderung zum Wohle aller zu nutzen“, betonten die Delegierten. „Dies ist die ärztliche Aufgabe der Gegenwart.“

„Künstliche Intelligenz hat ohne Zweifel das Potenzial, das Gesundheitswesen zu revolutionieren“, sagte die 1. Vorsitzende des MB, Susanne Johna, gestern in ihrem Bericht. Auch sie betonte die Chancen, die KI für die medizinische Versorgung biete. „Gleichzeitig muss klar sein: KI ist kein Ersatz für ärztliche Verantwortung und Urteilskraft“, sagte Johna. „Medizin ist kein Algorithmus – sie ist Menschlichkeit. Und die kann kein Code ersetzen.“

Gerade in Grenzsituationen brauche es Empathie, Kontextwissen, ethische Abwägung im Einzelfall. Eine KI könne Risiken kalkulieren, aber nicht Trost spenden. „Deshalb müssen wir die Integration von KI in die Versorgung mit klaren ethischen Leitplanken begleiten“, betonte Johna.

Die Delegierten des MB forderten zudem die Medizinischen Fakultäten und die zuständigen Landesministerien dazu auf, Konzepte zur Kompetenzvermittlung im Umgang mit Künstlicher Intelligenz für Medizinstudierende zu entwickeln und entsprechende Unterrichtsveranstaltungen anzubieten.

„Medizinstudierende werden in ihrer zukünftigen ärztlichen Tätigkeit voraussichtlich viele auf KI basierende Tools für Diagnostik oder Therapieplanung bei der Versorgung ihrer Patientinnen und Patienten einsetzen“, heißt es zur Begründung.

„Für eine sichere und verantwortungsvolle Nutzung von KI-Anwendungen im ärztlichen Alltag ist es unabdingbar, dass zukünftige Ärztinnen und Ärzte bereits frühzeitig ein grundlegendes Verständnis für KI-gestützte Systeme entwickeln.“

KI könnte ärztliche Arbeit ersetzen

Peter Bobbert aus dem Vorstand des Marburger Bundes warnte davor, dass Künstliche Intelligenz ärztliche Arbeit ersetzen könnte. Zwar sei Empathie eine zutiefst menschliche Eigenschaft, sagte er. Es bestehe aber die Möglichkeit, dass Künstliche Intelligenz Empathie simuliere.

Bei einem ärztlichen Fachkräftemangel im Gesundheitswesen werde nach Ersatz gesucht. Und es seien Avatare vorstellbar, die visuell wie Ärztinnen und Ärzte aussehen, die immer für den Patienten da sein könnten und die etwas hätten, was Ärzte oftmals nicht hätten: Zeit.

„Wir als Ärzte sind nicht alternativlos“, betonte Bobbert. Er berichtete von einer Gesetzesinitiative aus den USA, die anregt, dass eine KI im Gesundheitswesen künftig als aktive Person angesehen wird, die eigenständig Arzneimittel verschreiben kann. „Das ist nicht besser“, betonte Bobbert. „Das ist aber eine Alternative.“ Vor diesem Hintergrund sei es so wichtig, die Implementierung der KI in das Gesundheitswesen als Ärzteschaft zu gestalten.

Alexander Meyer, Professor für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Charité, betonte die Vorteile der KI für den medizinischen Alltag. Es bestehe die Hoffnung, dass sogenannte „Ambient Scribes“, die automatisch Arzt-Patient-Gespräche transkribieren und in strukturierte Texte wie Arztbriefe überführen, den ärztlichen Dokumentationsaufwand deutlich reduzierten.

Zudem könne KI gut Vitalparameter wie Blutdruck oder die Sauerstoffsättigung ableiten. Sobald die elektronische Patientenakte einmal gefüllt sei, könne KI Ärztinnen und Ärzten bei einer schnellen Erfassung des gesundheitlichen Zustands der Patienten helfen.

Es sei auch möglich, Gangmuster abzuleiten. Das verbessere die Prävention neurologischer Erkrankungen. Die KI werde vor diesem Hintergrund die Medizin in Richtung Prävention und Personalisierung verändern. „Wir kommen weg vom Episodischen, hin zu einer kontinuierlichen Gesundheitsüberwachung“, sagte Meyer.

Meyer betonte, wie schnell sich die KI derzeit weiterentwickle. „Was aktuell passiert, haut mich um“, sagte er. „Ich bin seit 20 Jahren in der Forschung von KI aktiv. Alleine in den letzten fünf Monaten ist so viel passiert, dass ich nicht mehr hinterherkomme. Und ich bin da nicht der Einzige.“

Deshalb sei es wichtig, dass sich die Ärzteschaft aktiv in die Gestaltung der Rahmenbedingungen der Nutzung der KI in der Medizin einbringe. Zum Beispiel solle die Ärzteschaft Einfluss darauf nehmen, wie Sprachmodelle im ärztlichen Bereich eingesetzt werden. „Das müssen wir gestalten“, betonte Meyer.

Johna erinnerte in ihrer Rede daran, dass die Nutzung von KI auch einen Einfluss auf den Klimawandel hat. „Auch, wenn manche politischen Äußerungen den Eindruck hinterlassen, das Problem des Klimawandels habe nicht mehr eine so hohe Bedeutung. Wir wissen, dass das nicht stimmt“, betonte sie.

„Wir wissen, dass wir in Deutschland gesetzte Klimaziele verfehlen, dass der Klimawandel erheblichen Einfluss auf die Gesundheit, ja das gesamte Leben der Menschheit hat. Deswegen müssen wir sicherstellen, dass der medizinische Fortschritt nicht zum ökologischen Rückschritt wird.“ Nachhaltigkeit und Innovation dürften keine Gegensätze sein.

Auch Meyer betonte, dass es notwendig sei, die ökologische Komponente der KI zu berücksichtigen. Denn der Energiebedarf der KI-Rechenzentren sei enorm.

fos

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