Vermischtes

„Meilenstein“ in der Suizidprävention erwartet

  • Freitag, 11. Oktober 2024
/peopleimages.com, stock.adobe.com
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Berlin/München – Mit Spannung wird der Entwurf für ein Suizidpräventionsgesetz erwartet, das die Bundes­regie­rung entsprechend des nahezu einstimmigen Beschlusses des Parlaments vom vergangenen Sommer vorlegen soll. Die Ampelkoalition rechnet mit einer Umsetzung in Kürze.

„Ich gehe davon aus, dass das Suizidpräventionsgesetz noch dieses Jahr beschlossen wird“, erklärte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) anlässlich des Auftakts der Jahrestagung für Suizidprävention, die heute und morgen in München stattfindet.

Noch befinde sich der Entwurf in der Ressortabstimmung, so Kappert-Gonther weiter. Seine Verabschiedung werde aber ein „Meilenstein“ in der Suizidprävention sein.

Konkret sieht das Gesetz die verbindliche Umsetzung zahlreicher suizidpräventiver Maßnahmen vor, wie die Einrichtung einer deutschlandweiten Krisenhotline, die 24 Stunden am Tag und sieben Tage die Woche erreich­bar sein soll, sowie bauliche Maßnahmen an exponierten Stellen und weitere Schulungen für Fachkräfte in Gesundheitswesen und Pflege.

Zwar habe Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Mai 2024 seine Pläne für eine Nationale Suizidpräventionsstrategie vorgestellt, sagte Ute Lewitzka, Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizid­prävention, zum Auftakt der Jahrestagung vor der Presse. „Damit ist bereits ein Meilenstein erreicht.“

Dennoch sei eine gesetzliche Regelung für eine gelingende Suizidprävention unabdingbar. Die Weltgesund­heits­organisation wolle die weltweiten Selbsttötungen bis 2030 um 30 Prozent senken, erläuterte die Ärztin. „Das ist eine hohe Zahl. Aber ich finde, wir könnten uns das in Deutschland auch auf die Fahne schreiben."

Das geplante Suizidpräventionsgesetz könnte nach Ansicht von Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums Region München, künftig 30 Prozent der Selbsttötungen in Deutschland verhindern. „Wir brauchen dringend mehr niedrigschwellige Angebote zur Suizidprävention, wie sie unter anderem das Gesetz vorsieht“, forderte auch er.

Die Palliativmedizinerin Claudia Bausewein betonte, dass Suizidwünsche oft Ausdruck von Not, Angst oder dem Wunsch seien, nicht in einer bestimmten Situation zu leben. „Es ist wichtig, diesen Wünschen offen gegenüber­zu­stehen“, sagte die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Dazu brauche es Erfahrung und auch Angebote und Alternativen im Hospiz- und Palliativbereich.

„Wir haben als Palliativmediziner viel Erfahrung mit Sterbewünschen“, sagte sie. Ärztinnen und Ärzte in der Akutversorgung seien sich hingegen oftmals unsicher, wie mit Sterbewünschen umzugehen sei. „Hier braucht es dringend Schulung.“

Bausewein befürchtet auch, dass künftig abnehmende Suizidzahlen von steigenden Zahlen beim assistierten Suizid konterkariert werden könnten. „Auch ein assistierter Suizid ist ein Suizid", betonte sie. Hier müsse auch künftig das Augenmerk liegen.

Neues Forschungsnetzwerk zur Suizidassistenz

Mit Fragen rund um die Sterbehilfe will sich in den nächsten Jahren auch ein von der Deutschen Forschungsge­meinschaft gefördertes Netzwerk beschäftigen, dem auch Bausewein angehört. Gestern nahm das Netzwerk unter Federführung der Universitätsmedizin Halle seine Arbeit auf.

„Bislang fehlt es weitgehend an wissenschaftlich gestützten Verfahren, wie Mitarbeiter im Gesundheitswesen mit Anfragen nach Suizidassistenz umgehen können“, erläuterte der Sprecher des Forschungsnetzwerks, Jan Schildmann, vor der Presse die Intention.

Der Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universitätsmedizin Halle verwies dabei auf den häufig herausgestellten Gegensatz von Suizidprävention und Suizidassistenz. „Dieser verhindert eine konstruktive Diskussion über einen verantwortbaren Umgang mit den vielschichtigen Anfragen nach Suizidas­sistenz. Im Ringen um eine angemessene Praxis ist es wichtig, dass wir Menschen aus unterschiedlichen Beru­fen und mit verschiedenen Perspektiven und Positionen zusammenbringen“, so Schildmann.

Das Forschungsnetzwerk zur Suizidassistenz will unter anderem ein Instrument zur Beurteilung der Selbst­bestimmungsfähigkeit bei Anfragen nach assistierter Selbsttötung entwickeln und Qualitätskriterien für die Dokumentation und Bewertung von Aufklärungs- und Beratungsgesprächen konsentieren.

Dies halten die Beteiligten für dringend geboten, da das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 zur Verfassungswidrigkeit des Verbotes der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung klargestellt hatte, dass Menschen in Deutschland rechtlich die Möglichkeit haben, Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen.

Für eine verantwortbare Gestaltung der moralisch kontrovers bewerteten assistierten Selbsttötung und eines verantwortbaren Umgangs mit entsprechenden Anfragen müssten jedoch Anforderungen definiert und wissen­schaftlich fundierte Verfahren zur Gestaltung und Beurteilung der Handlungspraxis aufgezeigt werden, bestä­tigten Claudia Bozzaro vom Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der Universität Münster und Jakov Gather von der Ruhr-Universität Bochum als weitere koordinierende Mitglieder des Forschungsnetzwerks Suizidassistenz. Die Ergebnisse sollen 2027 der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800/1110111 und das Info-Telefon Depression 0800/3344 533. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.

ER

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