Ärzteschaft

„Meine ärztlichen Kollegen sagen durchweg: Endlich macht mal jemand den Mund auf“

  • Donnerstag, 29. Mai 2025

Leipzig – Bürokratische Prozesse, politische Vorgaben und ökonomischer Druck können die eigentliche ärztliche Tätigkeit ausbremsen und zu Frustration führen. Laura Dalhaus, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Allgemeinchirurgie, spricht offen über viele dieser Probleme – unter anderem auf Instagram. Dort folgen ihr fast 58.000 Menschen. Beim Deutschen Ärztetag in Leipzig ist sie als Delegierte der Ärztekammer Westfalen-Lippe dabei. Das Deutsche Ärzteblatt sprach mit ihr über ihre Motivation und für sie wichtige Themen.

Laura Dalhaus /Jacobs
Laura Dalhaus /Jacobs

Fünf Fragen an Laura Dalhaus, Fachärztin für Allgemeinmedizin und Allgemeinchirurgie und Delegierte beim 129. Deutschen Ärztetag in Leipzig

Sie sind in den sozialen Medien sehr aktiv und setzen sich kritisch mit Themen im Gesundheitsbereich auseinander. Welche Reaktionen erhalten Sie von Ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen und von Ihren Patientinnen und Patienten?
Meine ärztlichen Kollegen sagen durchweg: Endlich macht mal jemand den Mund auf. Darauf haben wir gewartet, das hätte eigentlich viel früher passieren müssen. Die Medizin ist ein sehr hierarchisch geprägtes System und die Angst vor negativen Konsequenzen ist sehr groß. Als Selbstständige habe ich natürlich eine größere Freiheit als jemand, der im Angestelltenverhältnis arbeitet.

Von der Patientenseite bekomme ich auch sehr positives Feedback. Es kommt jedoch immer schnell die Frage auf, ob ich der Praxis erhalten bleibe. Da kann ich beruhigen – denn Follower versorgen keine Patienten. Ich weiß sehr genau, welcher Job der wichtigere ist und was weiteres Engagement bedeutet. Das Ganze ist damals aus purer Verzweiflung entstanden.

Wie suchen Sie die Themen für Ihre Kanäle aus?
Ich habe dafür drei Quellen. Zum einen sind das meine Patienten, beziehungsweise Dinge, die ihnen im Gesundheitsbereich widerfahren. Bevor ich über meine Patienten spreche, frage ich sie natürlich um Erlaubnis und verfremde Alter und Geschlecht.

Die wesentlichen medizinischen Fakten bleiben jedoch gleich. Quelle Nummer zwei ist das, was mich bürokratisch in der Praxis umtreibt. Und die dritte Inspirationsquelle sind Themen, die in unserer Medizinwelt veröffentlicht werden. Wenn darunter brisante Meldungen sind, bei denen ich denke, dass sie an die Öffentlichkeit müssten.

Denn die Empörung und die Reichweite generieren wir nicht über unsere Fachmedien und unseren Medizinerkreis. Ein Beispiel, mit dem ich mich in der letzten Woche beschäftigt habe, sind Tonsillektomien bei Kindern. Darüber wird zwar seit Jahren gesprochen, doch nun gab es eine neue Meldung: Derzeit warten 14.000 Kinder auf die OP. Solche Themen greife ich auf und mache daraus Videos.

Sie sind derzeit als Delegierte der Ärztekammer Westfalen-Lippe beim Deutschen Ärztetag in Leipzig vertreten. Was hatten Sie im Vorfeld der Veranstaltung für Erwartungen?
Meine Motivation ist der Paragraf 218. Deshalb bin ich hier und deshalb habe ich mich auch in der Kammer engagiert und darum gebeten, als Abgeordnete zu fungieren. Das ist für mich ein sehr entscheidendes Thema. Etwas unfair finde ich, dass die Themen GOÄ und Paragraf 218 an einem Tag diskutiert werden, bei beiden wird es hoch hergehen.

Ein weiteres Thema, das etwas in den Hintergrund gerückt ist, in Zeiten von Künstlicher Intelligenz, einer neuen Gesundheitsministerin und dem neuen Leistungsgruppensystem im Krankenhaus aber wieder aufkommt, ist das Thema ökonomischer Druck. Durch den ökonomischen Druck ist ein Bereich entstanden, der personal- und kostenintensiv ist. Die Krankenkassen und der Medizinische Dienst rüsten auf, das System wird immer komplexer.

Doch es funktioniert nicht, wenn die Medizinwirtschaft abseits der Patientenversorgung immer weiter aufgebaut wird – worauf das Leistungsgruppensystem momentan abzielt. Darauf brauchen wir als Ärzteschaft eine Antwort. Ich finde es wichtig und richtig, dass der Deutsche Ärztetag Raum für Diskussionen gibt, dass die Werte des ärztlichen Handelns eine Bühne und Resonanz bekommen.

Zum Schwerpunktthema des diesjährigen Deutschen Ärztetages: Inwiefern nutzen Sie Digitalisierung und KI in Ihrem ärztlichen Alltag?
Wir waren eine der ersten Praxen, die beim E-Rezept mitgemacht hat. Alles, was bei uns digitalisiert werden kann, wird digitalisiert. Wir sind in engem Austausch mit unserem Softwarehaus – das funktioniert sehr gut, weil es ein kleines Haus ist, das eine gute Betreuung ermöglicht.

Ich habe auch schon von der elektronischen Patientenakte (ePA) profitiert. Als ein Patient seinen Medikationsplan nicht zur Hand hatte, konnte ich über die ePA darauf zugreifen, weil meine Kollegin ihn bereits hochgeladen hatte. Es ist also jetzt schon erlebbar, wie die Versorgung mit digitalen Tools verbessert werden kann.

Wenn wir über KI reden, dann denke ich, dass es wie beim autonomen Fahren ist. Darüber wird seit zehn Jahren geredet, in der Realität wurde aber noch nichts umgesetzt. Das Auto könnte es theoretisch, aber es fehlt entweder das Netz dafür oder der rechtliche Rahmen. Wir werden in der Medizin eine ähnliche Entwicklung durchmachen.

Die Privatwirtschaft wird viel mehr können, der rechtlichen Rahmen kommt nicht hinterher und am Ende scheitert es am Glasfaserausbau. Nichtsdestotrotz bin ich guter Dinge, dass wir Künstliche Intelligenz mit Bedacht einsetzen werden - ich habe wenig Sorgen vor „chinesischen Verhältnissen“. Deutsche Firmen sind in diesem Bereich schon sehr gefragt, wir hinken nur noch bei den praktischen Dingen hinterher.

Was müsste sich Ihrer Meinung nach im Gesundheitswesen am dringendsten ändern?
Das Thema Kostenexplosion in Verbindung mit einer nutzen- und bedarfsorientierten medizinischen Versorgung anstelle einer ökonomisch notwendigen medizinischen Versorgung. Denn die haben wir derzeit.

Medizinische Behandlungen haben einen ökonomischen Wert: Im Bereich Kardiologie, Orthopädie und orthopädischer Chirurgie ist dieser Wert extrem hoch, im Bereich Pädiatrie, Geburtshilfe und Psychiatrie unfassbar niedrig. Das wird uns auf die Füße fallen. Wenn wir dieses Problem nicht lösen, wird die Schere immer weiter auseinandergehen.

nfs

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