Ärzteschaft

Deutscher Ärztetag ruft nach umfassenden Reformen

  • Dienstag, 27. Mai 2025
/Maybaum
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Leipzig – Der 129. Deutsche Ärztetag hat heute zu mutigen Reformen in allen Versorgungsbereichen aufgerufen. Dies sei notwendig, da die Gesundheitsversorgung in Deutschland angesichts der demografischen Entwicklung, des zunehmenden Fachkräftemangels, der finanziellen Lage der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie von globalen Bedrohungen vor massiven Herausforderungen stehe.

In dem mit großer Mehrheit angenommenen Leitantrag heißt es unter anderem, die neue Bundesregierung solle Krankheitsprävention und Gesundheitskompetenz ressortübergreifend fördern. Deutschland brauche eine nationale Public-Health-Strategie. Diese müsse klare Strukturen und Verfahren zur Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen, Ärzteschaft und weiteren relevanten gesellschaftlichen Akteuren beinhalten.

Im Zuge einer solchen Public-Health-Strategie müssten Kinder durch gezielte Werbeverbote vor dem übermäßigen Konsum zucker- und fetthaltiger Lebensmittel geschützt werden. Für Einweg-E-Zigaretten und Aromastoffe in E-Zigaretten soll es ein Verbot geben. Die Bundesärztekammer (BÄK) müsse sich dieses Themas annehmen, mahnte Birgit Wulff von der Ärztekammer Hamburg bei der Aussprache zum Leitantrag: „Wenn wir das nicht machen, wird es uns irgendwann auf die Füße fallen.“

Zweckgebundene Abgaben auf beispielsweise Zucker, Alkohol und Tabak seien der Gesundheitsversorgung zuzuführen, heißt es im Antragstext. Bekräftigt wurde zudem die Forderung nach der Einbettung von Themen wie gesunder Lebensführung und gesundheitsförderlichen Kompetenzen in Kindertageseinrichtungen und Schulen.

Die Delegierten des Ärztetags begrüßten ausdrücklich, dass die neue Bundesregierung Impulse aus der Ärzteschaft für mehr Steuerung in der Patientenversorgung in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen hat.

Nach „vier Jahren Arroganz à la Jens Spahn und drei Jahren Ignoranz à la Karl Lauterbach“ freue er sich nun über die zur Schau gestellte Bereitschaft der neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU), erklärte Steffen König von der Ärztekammer Baden-Württemberg. Ihm sei bewusst, dass nun noch Taten folgen müssten, aber: „Wichtig ist, dass sich der Ton ändert.“

Grundlegend für den Erfolg einer Reform zu besserer Patientensteuerung sei die frühzeitige Einbeziehung aller betroffenen Akteure, heißt es auch im Leitantrag. Der Vorschlag: Ein sogenannter „Runder Tisch Versorgungssteuerung“ soll die Maßnahmen vorbereiten und die Umsetzung begleiten.

Krankenhausreform weiterentwickeln

Auch die Bereitschaft der neuen Bundesregierung, Krankenhäuser finanziell zu stabilisieren, bis das Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) umfänglich greift, wurde positiv aufgenommen. Richtig seien auch die angekündigten erweiterten Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Krankenhäusern sowie mehr Praktikabilität bei den bisher gesetzten Personal- und Strukturvorgaben für die Leistungsgruppen.

Als „unbedingt erforderlich“ wird eine „angemessene Berücksichtigung“ der ärztlichen Weiterbildung bei der Krankenhausreform hervorgehoben. Dies könne beispielsweise über eine Stärkung von Verbundstrukturen sowie des Abbaus von Hürden bei der Arbeitnehmerüberlassung erreicht werden.

Im Rahmen der Krankenhausreform müsse außerdem das ärztliche Personalbemessungssystem (ÄPS-BÄK) verankert werden. Andernfalls würden Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, die einen großen Anteil an der ärztlichen Personalbesetzung in Kliniken haben, nicht abgebildet.

Die im Koalitionsvertrag angekündigte Verlängerung der Konvergenzphase hin zu einer neuen Vergütungssystematik wird vom Ärztetag unterstützt. Die bisher beschlossene Systematik drohe einen massiven Bürokratieaufwand zu verursachen, ohne die bestehenden Fehlanreize der Vergütung nach Fallpauschalen zu korrigieren. Die entsprechenden Überarbeitungen sollten nicht, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, erst im Jahr 2027 beginnen, sondern sofort.

Hier drängte Eleonore Zergiebel von der Ärztekammer Nordrhein auf eine schnelle und grundlegende Rückabwicklung der Kommerzialisierung im stationären Sektor. „Wir Ärzte im Krankenhaus sind mittlerweile nur noch Nummern und auf Zahlenerbringerniveau reduziert“, beklagte sie.

Zahlen würden zunehmend die ärztliche Entscheidungsfindung beeinflussen „Unsere Geschäftsführungen wünschen sich von uns Fälle, Fälle, Fälle – und vor allem lukrative Fälle.“ Maßgeblich dürfe aber ausschließlich das Wohl der Patientinnen und Patienten sein. „Lassen Sie sich nicht von wirtschaftlichen, ideologischen oder politischen Interessen beeinflussen. Bedienen Sie keine Stakeholder-Interessen“, appellierte sie an ihre Kolleginnen und Kollegen.

Entbudgetierung aller Facharztgruppen

Der Entbudgetierung hausärztlicher und pädiatrischer Leistungen müsse der Einstieg in die Entbudgetierung aller fachärztlichen Leistungen folgen, lautet eine weitere im Leitantrag festgehaltene Forderung.

Bei der im Koalitionsvertrag angekündigten Prüfung einer Entbudgetierung von Fachärztinnen und Fachärzten in unterversorgten Gebieten dürfe es nicht allein um die Frage gehen, welche Kosten dadurch verursacht würden, sondern vor allem auch um die Frage, welche Verbesserungen in der Patientenversorgung damit erreicht werden könnten.

In einem nächsten Schritt müsse die Entbudgetierung von Leistungen für Patientinnen und Patienten folgen, die den Fachärzten im Rahmen der geplanten hausärztlichen Primärversorgung zugewiesen werden.

Zudem appellierten die Delegierten an die neue Bundesregierung, den angekündigten Entbürokratisierungsmaßnahmen jetzt konkrete Taten folgen zu lassen. Zur Vorbereitung des vorgesehenen Entbürokratisierungsgesetzes sei eine Bürokratie-Task-Force aus Politik und Selbstverwaltung einzurichten, die die zahlreichen Einzelvorschläge auswertet. Es sei bereits viel über das Thema gesprochen worden – nun müsse endlich auch gehandelt werden, mahnte Juraj Bena von der Ärztekammer Hessen.

Unterstützung erhielten deshalb auch die Ankündigungen der neuen Bundesregierung, eine Bagatellgrenze für Krankenkassenprüfungen im ambulanten Bereich einzuführen. Im stationären Bereich wiederum müsse insbesondere das KHVVG von unnötiger Bürokratie entschlackt werden.

MVZ vor dem Einfluss von Investoren schützen

Medizinische Versorgungszentren (MVZ) müssten vor Fehlentwicklungen durch den Einfluss von Finanzinvestoren geschützt werden, heißt es weiter im Leitantrag. Ärztinnen und Ärzte müssten ihre Entscheidungen in Diagnostik und Therapie an medizinischen Kriterien und nicht an ökonomischen Maßgaben ausrichten. Sie müssten Rahmenbedingungen vorfinden, die ihnen das ermöglichen.

Vittoria Braun aus Berlin wies eindringlich daraufhin, was es bedeute, wenn berufsfremde Investoren Praxen und MVZ kaufen, um hohe Renditen zu erwirtschaften: „Das fühlt bei nicht wenigen zum Sinnverlust ihres ärztlichen Tuns und zu moralischer Deprivation.“

Fremdinvestoren müssten deshalb außen vorgehalten oder streng beschränkt werden. „Es geht um die Zukunft der sauberen Medizin“, mahnte sie.

Der Ärztetag unterstützte deshalb die von der neuen Bundesregierung angekündigte gesetzliche Regulierung von investorenbetriebenen MVZ, für die die BÄK bereits konkrete gesetzliche Regelungsvorschläge ausgearbeitet hat. Dazu gehört unter anderem ein Verbot von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen oder die Gewährleistung des örtlichen und fachlichen Bezugs eines Gründungskrankenhauses zum MVZ.

Um junge Ärztinnen und Ärzte für die unmittelbare Patientenversorgung zu gewinnen, müsse die lange angekündigte Reform der ärztlichen Approbationsordnung (ÄApprO) endlich umgesetzt werden. Dabei seien die Zulassungsvoraussetzungen für das Medizinstudium so weiterzuentwickeln, dass zukünftig mehr Schulabsolventinnen und -absolventen auch ohne Einser-Abitur ein Medizinstudium in Deutschland beginnen könnten, statt dafür ins Ausland abwandern zu müssen.

Auch die ärztliche Weiterbildung in der Verantwortung der Landesärztekammern und der BÄK durch eine ausreichende Finanzierung zu stärken, würde zur Nachwuchsförderung beitragen. Dabei sei auch der strukturelle und personelle Aufwand, der mit der Weiterbildung verbunden sei, zu berücksichtigen. Das könne etwa in Gestalt einer Weiterbildungspauschale geschehen.

Zeitgemäße Arbeitsbedingungen schaffen

Die Politik müsse auch attraktive und familienfreundliche Rahmenbedingungen schaffen, um Ärztinnen und Ärzte dauerhaft in der Patientenversorgung zu halten. So brauche es flächendeckend ausreichend und an die ärztlichen Dienstzeiten angepasste Kinderbetreuungseinrichtungen.

Arbeitgeber müssten eine familienfreundliche Arbeitskultur schaffen, die es Vätern wie Müttern gleichermaßen ermöglicht, Elternzeit ohne negative Folgen für die berufliche Entwicklung in Anspruch zu nehmen.

Die Konnotation der Teilzeit als Leistungsminderung sei Teil des Nachwuchsproblems, kritisierte Nina Hector von der Ärztekammer Hamburg. Sie plädierte für eine „lebensphasenadaptierte Arbeitszeit“ und dafür, die Verteilung von Verfügbarkeiten besser zu planen. „Damit würden wir eine Kultur schaffen, in der Vollzeit nicht mehr gegen Teilzeit ausgespielt wird“, sagte sie.

Für eine erfolgreiche Teamarbeit und enge Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen müssten die verschiedenen Qualifikationen, Aufgaben und Verantwortlichkeiten klar festgelegt werden, forderte der Deutsche Ärztetag. Dabei müssten aber stets Vorbehaltsaufgaben und ärztliche Kernkompetenzen berücksichtigt werden.

Zudem müsse Fachkräftesicherung auch diejenigen in den Blick nehmen, die am Ende ihres Berufslebens stehen. Viele Ärztinnen und Ärzte im Ruhestandsalter seien bereit, sich weiterhin in die Patientenversorgung einzubringen, sofern die Rahmenbedingungen stimmen. Entsprechende Anreize bilden könnten erweiterte Steuerfreibeträge auf Gehälter, wie im Koalitionsvertrag von Union und SPD angekündigt, sowie Freistellungen von der Sozialversicherungspflicht.

Verantwortungsvoller Umgang mit Künstlicher Intelligenz

Großes Potenzial sprachen die Delegierten Künstlicher Intelligenz (KI) zu. Dabei sei aber eine sorgfältige Abwägung in Bezug auf Datenschutz, Sicherheit, Verantwortlichkeiten und Auswirkungen auf ein vertrauensvolles Patienten-Arzt-Verhältnis unerlässlich.

Die Implementierung von KI in der Medizin erfordere klare ethische Leitlinien, verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen und eine kontinuierliche kritische Reflexion über Möglichkeiten und Grenzen dieser Technologie. Die Ärzteschaft werde darauf hinwirken, dass diese neuen Technologien nutzenbringend eingesetzt werden.

Den im Jahr 2020 geschlossenen Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst müsse die Bundesregierung über das Jahr 2026 hinaus fortführen. Es müsse sichergestellt werden, dass die Gesundheitsämter in Deutschland immer von Ärztinnen und Ärzten mit ihrer spezifischen medizinischen Expertise geleitet werden. Nur so könne man die Qualität der Entscheidungsprozesse in Bereichen wie Infektionsschutz, Kinder- und Jugendgesundheitsdienst, Prävention und Gesundheitsförderung gewährleisten.

Eine grundlegende Anstrengung erfordere zudem die Krisenresilienz des Gesundheitswesens angesichts wachsender globaler Bedrohungen wie dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine, grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren und den Folgen des Klimawandels. Dafür seien eine gute Vorbereitung, ausreichende Vorhaltung von Arzneimitteln und Medizinprodukten, klar geregelte Zuständigkeiten und trainierte Abläufe grundlegend, heißt es im Leitantrag.

Auch die internationale Koordination zur Bewältigung grenzüberschreitender Gesundheitsgefahren müsse verbessert werden. In nahezu allen diesen Bereichen herrsche in Deutschland erheblicher Nachholbedarf.

Deshalb seien Bund und Länder gefordert, gemeinsam mit der Ärzteschaft und weiteren relevanten Akteuren eine umfassende Resilienzstrategie für das Gesundheitswesen zu entwickeln. Diese müsse die erforderlichen Umsetzungsschritte mit klaren Fristen unterlegen, die jeweiligen Zuständigkeiten zuweisen und die Finanzierung sichern, betonten die Delegierten.

lau/aha

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