Menschen mit Migrationshintergrund nutzen Palliativmedizin kaum
Bonn – Krebskranke Menschen mit Migrationshintergrund haben in der letzten Phase ihres Lebens in Deutschland einen schlechteren Zugang zur palliativmedizinischen Versorgung. Das berichten Wissenschaftler der Universitätsmedizin Göttingen im Rahmen eines Forschungsprojektes der Deutschen Krebshilfe.
Ziel der Untersuchung war es, die Bedürfnisse und Wünsche von Migranten zu erfassen, um ihnen zukünftig die bestmögliche Versorgung bieten zu können. „Viele Menschen aus anderen Kulturkreisen haben in Deutschland eine neue Heimat gefunden. Auch sie sollten im Falle einer Krebserkrankung und bei Bedarf Zugang zu einer adäquaten palliativmedizinischen Versorgung erhalten“, sagte Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe.
Beweggründe bisher unerforscht
Laut dem Statistischen Bundesamt leben in Deutschland rund 18,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Das sind 22,5 Prozent der Gesamtbevölkerung. „Oftmals nehmen Menschen aus anderen Kulturkreisen die Angebote der Palliativmedizin nicht wahr – ihre Beweggründe dafür waren bisher noch weitgehend unerforscht“, hieß es aus der Krebshilfe.
Im Rahmen des Forschungsprojektes haben Wissenschaftler um Friedemann Nauck, Direkter der Klinik für Palliativmedizin der Universitätsmedizin Göttingen, ausführliche Interviews mit Betroffenen, deren Angehörigen und den behandelnden Fachkräfte geführt und die Antworten ausgewertet.
„In vielen Fällen erschweren es ihnen die fehlenden Sprachkenntnisse, sich zu informieren oder entsprechende Hilfe anzunehmen. Sie sind auf die Hilfe etwa von mehrsprachigen Angehörigen, Übersetzern oder dem Engagement von Versorgern angewiesen“, erläuterte Nauck einen Aspekt der Problematik.
Hinzu komme, dass viele Patienten ihre Erkrankung als einen Statusverlust erlebten. Schon die Migration hätten viele als Bruch in der Biografie erlebt, da sie ihre Position aus früheren beruflichen und sozialen Strukturen aufgeben mussten. „Eine schwere Krebserkrankung verursacht zusätzlich Angst und Schamgefühle, den Angehörigen oder dem Gesundheitssystem zur Last zu fallen“, so der Göttinger Palliativmediziner.
Missverständnisse durch kulturelle Unterschiede
Auch das medizinische Personal und die Pflegekräfte stelle die komplexe Pflegesituation oftmals vor Hindernisse. „Insbesondere wenn diese Probleme der Patienten und ihrer Angehöriger vom medizinischen Personal als Ausdruck von kulturellen Unterschieden verstanden werden, entstehen Missverständnisse, die eine angemessene Betreuung erschweren“, so Nauck.
Das Fazit der Wissenschaftler: Die palliativmedizinische Versorgung von Menschen mit Migrationshintergrund ist oftmals besonders herausfordernd für alle Beteiligten. Von zentraler Bedeutung sei, sehr genau auf die vielfältigen biografischen Umstände der Betroffenen einzugehen.
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