Medizin

Multiresistente Tuberkulose in Europa: Kurzzeittherapie nur selten erfolgreich

  • Donnerstag, 6. Oktober 2016

Borstel – Die Behandlung der immer weiter verbreiteten multiresistenten Tuberkulose ist nebenwirkungsreich, teuer und vor allem langwierig. Seit Mai 2016 empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Kurzzeittherapie für betroffene Patienten, wenn die Bakterien gegen alle eingesetzten Medikamente auch empfindlich sind. Eine Studie aus dem American Journal of Respiratory and Critical Care Medicine (DOI:10.1164/rccm.201606-1097LE) zeigt, dass eine solche Kurzzeittherapie in Europa nur in wenigen Fällen erfolgreich einsetzbar ist, warnen Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) in Borstel.

Die WHO hat bisher empfohlen, dass Patienten mit einer MDR-TB mit mindestens vier verschiedenen Medikamenten über mindestens 20 Monate täglich behandelt werden. In Studien aus Bangladesch, Niger und Kamerun konnte aber jüngst gezeigt werden, dass mit einer bestimmten Kombinationstherapie von Tuberkulosemedi­kamenten (anfänglich sieben verschiedene Präparate in Kombination) nur neun bis zwölf Monate einer Behandlung ausreichen, um mehr als 80 % aller betroffenen Patienten zu heilen. Die WHO empfiehlt daher seit Mai 2016 eine Kurzzeittherapie für die betroffenen Patienten in allen Ländern, wenn die Bakterien gegen alle Medikamente der Behandlung auch empfindlich sind.

Tuberkulosebakterien in Europa besonders resistent
Diese Empfehlung lässt sich jedoch nicht auf Europa übertragen. DZIF- Wissenschaftler vom Forschungszentrum Borstel haben in den letzten Jahren die Ausbreitung multiresistenter Stämme der Tuberkulosebakterien in Europa untersucht und festgestellt, dass die Bakterien, die sich in Europa verbreiten, gegen besonders viele Antibiotika resistent sind. Sie verglichen nun das Niveau der Antibiotikaresistenz von Tuberkulosebakterien bei mehr als 1000 MDR-TB-Patienten aus Europa.

Die Ergebnisse zeigen, dass mehr als 92 % aller betroffenen Patienten in Europa nicht für die Kurzzeittherapie in Frage kommen, da die Bakterien gegen mindestens eines der Medikamente bereits resistent sind. „Ohne detaillierte Kenntnisse der Antibiotika­resistenz der Tuberkulosebakterien sollte kein Patient in Europa eine Kurzzeittherapie erhalten“, empfiehlt daher Christoph Lange, Leiter der Studie am Forschungszentrum Borstel. „Wenn einzelne Medikamente in einer Therapie nicht wirksam sind, führt das zu einer weiteren Entwicklung von Antibiotikaresistenzen. Statt einer einheitlichen Behandlung führen individuelle Therapien zu besseren Behandlungsergebnissen“, betont Lange.

Mit Unterstützung des DZIF arbeiten die Borsteler Wissenschaftler an maßge­schneiderten Therapien und entwickeln Biomarker, um die Dauer der Behandlung, die für eine Heilung notwendig ist, individuell festzulegen.

EB/gie

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung