Nach Stempelurteil: Verfassungsbeschwerde angekündigt, Regresse in Millionenhöhe

Berlin – Eine persönliche Unterschrift ist eine zwingende Voraussetzung für eine rechtsgültige Verordnung. Das hat gestern das Bundessozialgericht (BSG) klargestellt (Az.: B 6 KA 9/24 R). Der Unterschriftenstempel, den ein Kardiologe bei seinen Sprechstundenbedarfsverordnungen eingesetzt hatte, kann diesen jetzt 1,245 Millionen Euro kosten.
In einem ersten Urteil des 6. Senats des BSG wurde gestern entschieden, dass ein Regress über die Höhe von 487.000 Euro rechtskräftig ist. Behandelt wurden die Quartale 1/2015 bis 2/2018, in denen der Arzt die Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht persönlich unterzeichnet hatte.
Wie Rechtsanwalt Jens Prütting von der Kanzlei Medlegal dem Deutschen Ärzteblatt auf Nachfrage mitteilte, sind aber weitere Verfahren und Regressforderungen gegen seinen Mandanten anhängig, die spätere Quartale und weitere Krankenkassen betreffen. Ausstehend sind demnach noch weitere etwa 758.000 Euro an Regressforderungen an den Kardiologen. Dabei habe der Mediziner das Geld nie selbst erhalten.
„Es handelt sich nicht um Honorare für die Verordnung“, stellte Prütting klar. Vielmehr gehe es um Verordnungen, die in der Apotheke eingelöst und von den Krankenkassen an die Apotheken erstattet worden seien. Die korrekte Indikationsstellung sei nicht bezweifelt worden. Der Kardiologe zahlt nun die Verordnungen aus eigener Tasche und damit Geld an die Krankenkassen, dass diese bei einer korrekten persönlichen Unterschrift hätten ohnehin bezahlen müssen.
Der Kardiologe und sein Rechtsbeistand Prütting hatten mit einer Sprungrevision die Verletzung von Verfassungs- und Bundesrecht gerügt. Für sie fehlt etwa die gesetzliche Grundlage, die die Zuständigkeit der Prüfgremien für die Feststellung eines sonstigen Schadens regelt oder sie zum Erlass von belastenden Verwaltungsakten berechtigt. Letztlich seien auch die Tatbestandvoraussetzungen für die Feststellung eines sonstigen Schadens nicht erfüllt.
Den Argumenten folgte das Bundessozialgericht gestern nicht. Dem Arzt bleibt nun nur noch der Weg über eine Verfassungsbeschwerde. „Diese befindet sich in Vorbereitung“, sagte Prütting dem Deutschen Ärzteblatt. Diese muss einen Monat nach Vorlage der schriftlichen Urteilsbegründung eingereicht werden.
Er regt eine Gesetzesänderung an. „Es kann nicht sein, dass allein aus formalen Gründen hohe Regressforderungen festgesetzt werden, die die Existenz von Leistungserbringern bedrohen, obwohl die erbrachte Leistung selbst nicht zu beanstanden ist“, schreibt Prütting auf seinem LinkedIn-Profil. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hatte gestern ein Eingreifen der Politik verlangt.
Ob die weiteren Verfahren von den Krankenkassen vorangetrieben werden – oder der Rechtsweg durch das Urteil des obersten Bundessozialgerichts ein Ende findet, da es maßgeblich zu keiner neuen Entscheidung in anderen Fällen kommen wird, ist derzeit noch offen. Der Kardiologe hat mit den Krankenkassen inzwischen eine monatliche Ratenzahlung vereinbart.
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