Neue Konzepte gegen Spendermangel bei Hornhäuten

Berlin – In Deutschland haben Ende 2020 etwa 4.600 Patienten auf eine Hornhautspende gewartet. Das zeigen Daten der Sektion Kornea der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG). Damit herrsche hierzulande und auch in Europa nur ein „relativer“ Spendermangel, erklärte Claus Cursiefen, Direktor des Zentrums für Augenheilkunde vom Universitätsklinikum Köln, heute bei einer Pressekonferenz anlässlich des Kongresses der DOG in Berlin.
Deutlich schlechter steht es um die Hornhauttransplantation in sich entwickelnden Länder: Hier herrsche ein Spendermangel mit dramatischen Ausmaßen, sagte der DOG-Generalsekretär Cursiefen. Auf einen Spender kämen etwa 70 potentielle Empfänger. Mindestens 55,3 % der Weltbevölkerung hätten keinen Zugang zu Hornhauttransplantaten (2016; DOI: doi: 10.1001/jamaophthalmol.2015.4776; 2022; DOI: 10.2147/OPTH.S289359) (weitere Informationen siehe Kasten).
Möglichkeiten gegen Spendermangel oder zur Spendergewebsnutzungsoptimierung gibt es verschiedene: Zum Beispiel das Split-Cornea-Konzept, bei dem man ähnlich wie in der Lebertransplantationschirurgie eine Spenderhornhaut für zwei oder mehr Empfänger verwendet. „Dies kann zu einer Verdopplung der Nutzung des Spendergewebes führen“, sagte Cursiefen.
Die Split-Cornea-Technik ist heute ein etabliertes Verfahren und erlaubt es, eine Spenderhornhaut für zwei Empfänger zu verwenden. Dies gelingt durch die Kombination von anterioren und posterioren lamellären Transplantationen (DALK und DMEK).
Für einige spezielle chirurgische Eingriffe, darunter die Blockexzision mit tektonischer Hornhauttransplantation, sei sogar die Versorgung von drei Empfängern möglich, berichtete Cursiefen (2022; DOI: 10.1007/s00417-021-05482-9).
Auch mittels zelltherapeutischer Verfahren könne aus einer Spenderhornhaut Gewebe für deutlich mehr Empfänger verwendet werden. Erste Ansätze kämen aus Asien für die Transplantation von Endothelzellen bei Patienten mit Erkrankung der hinteren Hornhautschicht.
Als 3. Möglichkeit erwähnte Cursiefen die Verwendung künstlicher Hornhäute: „Hier kommt vor allem die Boston-Keratoprothese zum Einsatz wie bei Patienten mit schwersten Erkrankungen des Auges, bei denen das normale Hornhauttransplantationsverfahren nicht mehr erfolgversprechend ist. “ Allerdings würden Komplikationen den Einsatz limitieren.
Fischschuppen als Hornhautersatz – erste Versuche beim Menschen
Zuletzt verwies der DOG-Experte auf die Biocornea. Hier werde biologisch abbaubares Gewebe verwendet, das der Empfänger peu à peu übernimmt. Ein Beispiel ist die Fischschuppentechnik.
Bereits 2015 berichteten die Medien über eine Übersichtsarbeit im Ophthalmogen (2014; DOI: 10.1007/s00347-013-3011-y). Hier hatte das Team um Cursiefen erste Analysen mit der dezellularisierten Kollagenmatrix aus der Schuppe des Tilapia-Fisches als Hornhautersatz („BioCornea“) vorgestellt und als vielversprechend eingeordnet.
Inzwischen hat das Kölner Team eine weitere prospektive, multizentrische Studie zur Verwendung dieses Gewebes bei 10 Patienten mit akuter Perforation des Auges durchgeführt. „Obwohl es sich um eine Xenotransplantation handelt haben die Patienten das Gewebe gut vertragen und innerhalb von 3 Tagen nicht abgestoßen“, fasste Cursiefen das Ergebnis zusammen. Die Daten wurden bereits eingereicht und befinden sich zurzeit in Revision.
Fischschuppen seien als Überbrückung gut geeignet und könnten potenziell ein weltweit nutzbarer Ansatz zur Hornhauttransplantation sein – gerade in sich entwickelnden Ländern. Denn sie sind ubiquitär verfügbar. Der Austausch ganzer Hornhäute sei aktuell aber noch Zukunftsmusik, ergänzte Cursiefen.
Jährlich werden 9.000 Hornhäute und etwa 2.500 Amnionmembrantranen transplantiert
Die Hornhauttransplantation ist die häufigste Transplantation im Bereich der Medizin. In Deutschland werden jährlich mehr als 9.000 Hornhauttransplantationen mit Spenderhornhäuten durchgeführt, europaweit sind es etwa 40.000. „Hinzu kommen in Deutschland pro Jahr ein Dutzend künstliche Hornhäute im Humaneinsatz und etwa 2.500 Amnionmembrantransplantationen“, schätzt Cursiefen.
Das Amnion schüttet Wachstumsfaktoren aus und wirkt wundheilungsfördernd. „Aufgrund dieser Eigenschaften kann man die Amnionmembrantransplantation als eine Mischung aus Regenration und Transplantation sehen, erklärte der Ophthalmologe. Sie sei ein wichtiger Baustein, der schon seit Jahrzehnten etabliert sei.
Während die Hornhauttransplantation bei einer Keratitis mit Vernarbung der Hornhaut helfen kann wieder Sehen zu ermöglichen, bietet die Transplantation von kryokonservierter Amnionmembran (AMT) eine Option für nicht heilende Verletzungen der Augenoberfläche und ist oft selbst in desolaten Fällen eine erfolgreiche Technik. Wenn Epitheldefekte der Hornhaut nicht abheilen, können Ulzerationen und Perforation entstehen.
Eine AMT kann die Hornhauttransplantation nur teilweise ersetzen. Die Wiederherstellung der Transparenz und damit der Sehschärfe sei nicht durch eine AMT ersetzbar, so der DOG-Experte. Hingegen könne bei Verwendung eines (Teil)transplantats zur Defektdeckung in einigen Fällen alternativ die AMT verwendet werden.
Künftig könnten die Zellen der Placenta auch beim Verschluss von Makulalöchern in der Netzhaut etwa bei starker Kurzsichtigkeit eine Rolle spielen, wie auf der jüngsten Leopoldina-Tagung in Homburg/Saar berichtet wurde. Auch das Deutsche Ärzteblatt wird darüber im Oktober berichten.
Die Regeneration als Königsweg – noch nicht im Einsatz
Das Ziel sei aber, die Transplantation zu ersetzen: „Der Königsweg ist die Regeneration der Hornhaut“, ist Cursiefen überzeugt. Gerd Geerling, Präsident der DOG stellte eine Reihe potenzieller Verfahren vor: zellfreie Schweinehornhaut, rekombinante humane Nervenwachstumsfaktors (rhNGF), zellfreies Ersatzgewebe auf Kollagen-Basis, kultivierten Limbusepithelzellen.
Im Routineeinsatz befindet sich jedoch keiner dieser Ansätze. Zellfreie Schweinehornhaut und zellfreies Ersatzgewebe auf Kollagen-Basis werden in Studien erprobt. Für kultivierte Limbusepithelzellen gebe es ein zugelassenes Präparat Holoclar, das aber aktuell in Deutschland nicht zugelassen sei, sagte Cursiefen.
Trotz der hohen Behandlungskosten von mehr als 100.000 Euro empfehle zum Beispiel das britische „National Institute for Health and Care Excellence“ (NICE) die Anwendung dieses Produkts.
Ein Präparat auf der Basis eines rhNGF ist seit einigen Jahren in Europa zugelassen. Damit können Defekte des Hornhautepithels behandelt werden und bei 72 Prozent der Patienten ein kompletten Epithelschluss
erreichen. Die Kontrollgruppe erreichte in der Zulassungsstudie nur 33 Prozent.
Das Problem sei jedoch, dass das Präparat nur aus dem europäischen Ausland für einen hohen fünfstelligen Betrag bezogen werden könne, erläuterte Geerling. Er hofft auf laufende Phase-III-Studien zu neuen neuromimetischen Molekülen, die die Behandlungsmöglichkeiten für die neurotrophe Keratopathie erweitern werden.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: