Ärzteschaft

Never Events sollten besser nutzbar gemacht werden

  • Freitag, 20. Dezember 2024
Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung /Screenshot, DÄ
Stefan Schwartze, Patientenbeauftragter der Bundesregierung /Screenshot, DÄ

Berlin – In Deutschland sollten sogenannte Never Events, also Behandlungsfälle, die nie hätten passieren dürfen, besser ausgewertet und genutzt werden. Dafür hat sich der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze (SPD), in einem Podcast zum Thema Patientensicherheit und Gendersensibilität der Bundes­ärzte­kammer (BÄK) ausgesprochen.

„Wenn wir die Never Events gezielt aufarbeiten und für das gesamte Gesundheitssystem nutzbar machen würden, bin ich der Überzeugung, wir könnten aus diesen großen Fehlern so viel für die Strukturen lernen, dass wir auch viele kleine Fehler vermeiden könnten“, sagte Schwartze.

Er halte es für „ganz wichtig“, dass man mit Fehlern offen umgehe. „Auch für diejenigen, die selber einen Fehler gemacht haben“, sagte der Patientenbeauftragte. Das derzeitige Patientensicherheitssystem bezeichnete er als „anständig“. „Ich würde aber gerne dahinkommen, wo wir alle sagen, das System ist sehr gut“, erklärte er.

Schwartze betonte, dass etwa fehlendes Personal oder auch eine Überbelastung in Krankenhäusern nicht dazu führe, dass die Zahl der Fehler weniger werden könne. „Das ist eine Drucksituation, die haben wir im ganzen Gesundheitssystem. Eine Überlastungssituation oder eine fehlerhafte Organisation können dann auch immer zu Fehlern führen.“

BÄK-Präsident Klaus Reinhardt betonte, es gehöre „zu den Grundelementen des ärztlichen Berufsverständnisses, den Aspekt der Patientensicherheit im Rahmen von Behandlungen immer auch im Sinne der Sorgfaltspflicht im Auge zu haben“.

Bei der Patientensicherheit in Deutschland sprach er von einem „ganz guten Level“, das aber auch Verbesse­rungs­potenzial habe. Es gebe Bemühungen, die Patientensicherheitskultur zunehmend zu verbessern. Diese träfen aber zugleich auf eine „immer komplexer werdende Medizin“. Das Ergebnis sei in Summe so, dass man noch weitere Fortschritte erzielen könne, so Reinhardt.

Er wies darauf hin, dass die Ärztekammern viel leisteten, um die Patientensicherheit in Deutschland zu verbessern. „Das fängt schon damit an, dass wir uns um das Thema Weiterbildung kümmern und dafür Sorge tragen, dass die Weiterbildungsinhalte der unterschiedlichen Fächer dem modernen Stand der Medizin entsprechen“, sagte er.

So könnten etwa auch die genderspezifische Medizin ihren Eingang in die Aus- und Weiterbildung finden. Darü­ber hinaus widmeten sich die Kammern im Rahmen von Fortbildungsmaßnahmen Fragestellungen, die sich um das Thema Patientensicherheit rankten.

Ein Beispiel sei CIRS (Critical Incident Reporting Systemen), das man sich aus der Luft­fahrt abgeschaut habe, wo man eine Sicherheitskultur habe, die schon sehr lange sehr erfolgreich sei.

Das Bewusstsein für Patientensicherheit anders zu implementieren, sei in den vergangenen Jahren „zunehmend gewachsen“, sagte die Neurologin Judith Hass, ehemalige Chefärztin am Jüdischen Krankenhaus und Vorsitzende des Bundesverbandes der Multiplen Sklerosegesellschaft.

Es gebe überall Beauftragte für Patientensicherheit. Es gehe nicht nur darum, keine Fehldiagnosen zu erstellen, sondern Risiken im Verlauf einer Behandlung rechtzeitig zu erkennen. Probleme sieht sie in der Ökonomisierung der Medizin. Sie nehme zurzeit von Kollegen in Kliniken wahr, dass der ökonomische Druck die Patientensicher­heit gefährde. Das betreffe sowohl die Diagnostik als auch nicht nötige Operationen oder Eingriffe, sagte sie.

Sabine Oertelt-Prigione, unter anderem Professorin für geschlechtersensible Medizin an der Universität Bielefeld, sieht einen „gewissen Nachholbedarf“ bei der Patientinnensicherheit und dem Thema Gendermedizin. Aber es gebe auch zunehmend mehr Aufmerksamkeit für das Thema.

„In den letzten fünf Jahren hat sich wirklich sehr sehr viel getan“, sagte sie. Das habe mit verschiedenen Faktoren zu tun. Es gebe zum einen strukturelle Änderungen. So würden etwa die forschungsfördernden Organisationen sehr häufig verlangen, dass das Geschlecht berücksichtigt werde.

„Auf der einen Seite wird das als eine Zumutung von manchen immer noch erlebt. Aber auf der anderen Seite hat uns das auch sehr viel mehr Daten beschert“, erläuterte sie. Es gebe damit sehr viel mehr Informationen zu po­ten­ziellen Geschlechterunterschieden beziehungsweise zu der Frage, wann deren Berücksichtigung notwendig sei.

„Da hat sich sehr, sehr viel getan und hat zum Teil auch zum Umdenken geführt“, so Oertelt-Prigione. Wenn man in den eigenen Daten sehe, ein Unterschied sei relevant, dann sei das der beste Überzeugungseffekt. Auch da­durch, dass die Medien viel Geschlechterunterschiede bei COVID-19 berichtet hätten, sei es ein gesellschaft­liches Thema geworden.

may

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