Noch zu wenig Daten rund um die Geburt

Berlin – Deutschland braucht ein Nationales Geburtenregister, um die Qualität der Versorgung von Schwangeren, Gebärenden und Neugeborenen sicherzustellen und international vergleichbar zu sein. Dafür plädierten Fachleute kürzlich bei einer Diskussionsrunde in Berlin.
Auch wenn es eine Reihe von Mutter-Kind-Versorgungsdaten rund um die Geburt gibt, sind diese unvollständig und noch nicht ausreichend miteinander verknüpft, waren sich die Fachleute einig. Ermittelt hatte man dies in einer Arbeitsgruppe im Rahmen des Nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um die Geburt“.
So gebe es zwar eine umfassende Perinatal- und Neonatalerhebung, eine bundesweit einheitliche Dokumentation für die Geburtshilfe im Krankenhaus, Daten zu außerklinischen Geburten, aus der amtlichen Geburtenstatistik und Abrechnungsdaten von gesetzlich Versicherten, erklärte Günther Heller, Leiter des Fachbereichs Sozialdaten am Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG).
Die Daten seien jedoch entweder lückenhaft, auf bestimmte Variablen beschränkt oder nicht miteinander verknüpfbar, so Heller. Letzteres betreffe etwa die Daten von Müttern und Neugeborenen. Für ein Nationales Geburtenregister müsse es deshalb bestimmte Anforderungen geben.
Dazu zählten unter anderem Vollzählig- und Vollständigkeit, eine einrichtungs- und sektorenübergreifende Abbildung der Versorgung, ein niedrigschwelliger Zugang, Datensicherheit und die Wahrung des Datenschutzes sowie ein möglichst geringer Erhebungsaufwand.
„Es gibt einen sehr hohen Bedarf an Daten im Bereich der perinatalen Versorgung“, betonte Heller. Anfragen kämen beispielsweise von großen Instituten und Forschungsgruppen, aber auch aus der Presse. Wichtig seien Datensätze außerdem für die Entwicklung von Leitlinien.
Um Verbesserungen anzustoßen und Probleme ermitteln zu können, braucht man eine gute Datengrundlage, sagte auch Dagmar Hertle, Ärztin beim Barmer Institut für Gesundheitssystemforschung.
Die Müttersterblichkeit werde in Deutschland beispielsweise nicht nach Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erhoben, wodurch es im internationalen Vergleich nicht anschlussfähig sei. „Das ist ein Unding“, betonte Hertle. Es sei sogar möglich, dass die Muttersterblichkeit im Land derzeit deutlich unterschätzt werde – und dies sei nur ein Beispiel von vielen.
„Zusammengefasst kann man sagen, die aktuelle Datenlage ist zersplittert und bildet die Versorgungslage nur lückenhaft ab“, so Hertle, die auch Mitglied im Arbeitskreis Frauengesundheit ist. Daneben fehle auch eine effiziente Nutzung und Zusammenführung der Daten. Man könne sich ein Beispiel an anderen Ländern nehmen, in denen es Geburtenregister schon gebe. Hier seien die Outcomes sehr viel besser.
In dem erarbeiteten Papier der Arbeitsgruppe habe man Vorschläge gemacht, wie ein vollständiger Datensatz aufgebaut werden könne, ohne zu viel Aufwand zu betreiben, so Hertle.
Die Überlegung sei ein Stufenplan für ein perinatales Register, erläuterte Heller. Dafür soll versucht werden, die Datensätzen aus den vorhandenen Daten kompatibel zu gestalten und eine Verknüpfbarkeit herzustellen. Datenlücken sollen ermittelt, aufgefüllt und an internationale Standards angepasst werden.
Perspektivisch hinzukommen könnten neue Datenquellen, beispielsweise die elektronische Patientenakte, ein elektronischer Mutterpass und ein elektronisches Untersuchungsheft sowie die Daten der GKV-Versicherten. Doch zunächst würde es sehr großen Sinn machen, eine Zusammenführung der Daten zu versuchen, sagte Heller.
Daten können bei der Planung helfen
In der Perinatalmedizin sei auch eine zukunftsfähigere Planung von Strukturen möglich, wenn entsprechende Daten vorliegen würden, betonte Ekkehard Schleußner, Leiter der Klinik für Geburtsmedizin am Universitätsklinikum Jena.
Die Politik müsse ein Interesse an den tatsächlichen Ergebnissen zur Qualität der geburtshilflichen und neonatologischen Bereiche haben, um damit auch Steuerungsinstrumente für eine bessere gesundheitliche Versorgung zu generieren.
„Dazu ist es dringend notwendig, dass wir als Experten für die Politik, aber auch für Gremien, die für die Gesundheitsversorgung Verantwortung tragen, wirklich belastbare Daten zur Verfügung stellen können“, so Schleußner.
„Die Ergebnisse sind nicht so gut wie sie sein könnten – sie sind sogar, wenn man sie genau anguckt, schlecht“, machte Christoph Bürer, Präsident der Gesellschaft für Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin (GNPI) und Direktor der Klinik für Neonatologie an der Charité Universitätsmedizin Berlin, deutlich.
Problem sei auch die Fallbasierung im System. Wenn ein Kind nach der Geburt in ein anderes Krankenhaus verlegt werde, entstehe jedes Mal ein neuer Fall. Es sei sinnvoll, diese Daten zusammenzuführen – was auch datenschutzrechtlich funktionieren würde.
Um Fälle in den Registern wiederzufinden und zuzuordnen, könne man beispielsweise die Nummer aus den gelben Untersuchungsheften nutzen, die jedem Kind schon bei der Geburt zugeteilt werde, so Bührer.
Insgesamt seien analysierbare Daten notwendig, denn „es nützt nichts, wenn man einen Datenschrank hat, an den man nicht herankommt“, machte der Neonatologe deutlich. „Man braucht einen Datensatz, der von Wissenschaftlern mit geringem administrativem Aufwand zugänglich ist und mit dem man rechnen kann“. Und dies, ohne jahrelang Anträge schreiben zu müssen, betonte er.
„Es gibt internationale Register, wir müssen das nicht neu erfinden“, sagte Dietmar Schlembach, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pränatal- und Geburtsmedizin und Chefarzt der Klinik für Geburtsmedizin am Vivantes Klinikum Neukölln. Mit den gesammelten Daten in Deutschland fange man auch nicht neu an.
Wichtig sei, dass man Frauen nicht mit den Outcomes aus anderen Ländern beraten müsse, sondern auf eigene Daten zurückgreifen könne, betonte er. „Es gibt Krebsregister, da diskutiert kein Mensch drüber“, so Schlembach. Doch zu einem Ereignis wie der Geburt, das sehr wichtig sei im Leben, gebe es noch kein Register.
Ein Geburtenregister sei auch wichtig, um beispielsweise Daten zu Fehlbildungen zu erfassen, die in den Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen übersehen worden seien, erklärte Anke Wiemer, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe. In Fallanalysen zu problematischen außerhäuslichen Geburten zeige sich dies immer wieder.
Die Vorsorge habe zwar stattgefunden, aber man müsse in solchen Fällen die Qualität von Ultraschalluntersuchungen hinterfragen, so Wiemer. Wären solche Entwicklungen schon in der Schwangerschaft bekannt gewesen, hätte man die Frauen für die Geburt in entsprechende Kliniken schicken können. Mithilfe von Daten könne man auch einen Überblick über die Qualität von Vorsorgeuntersuchungen und Diagnosen bekommen.
„Es ist wichtig, dass wir jetzt an die Politik transportieren, wie sehr uns allen das Thema am Herzen liegt“, betonte Hertle. „Was kann eigentlich wichtiger sein als der Start ins Leben und warum investieren wir da nicht hinein?“, fragte sie.
Die Vorarbeit sei von der Arbeitsgruppe bereits geleistet. Sie habe gezeigt, dass ein Nationales Geburtenregister die Umsetzung des Nationalen Gesundheitsziels „Gesundheit rund um, die Geburt“, die von der Bundesregierung unterstützt wird, voranbringen könne.
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