Notfallversorgung: Mehr digitale Instrumente benötigt

Berlin – Um die Notfallversorgung künftig sicherstellen und verbessern zu können, braucht es mehr digitale Unterstützung und Verknüpfung. Das war Konsens bei der gestrigen Urgent Care Conference, ausgerichtet vom Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi).
Wichtig sei vor allem einen „Single Point of Contact“ – also eine zentrale Anlaufstelle – zu etablieren, der die bestehenden Leitstellen der 112 und der 116117 verknüpfe, betonte Thomas Krautz, stellvertretender ärztlicher Leiter bei der Rettungsdienst Kooperation in Schleswig-Holstein (RKiSH). Es dürfe nicht im Ermessen des Patienten liegen, an welcher Stelle man herauskomme. Deshalb müssten die beiden Notrufnummern zügig zusammengelegt werden.
Eine verbindliche Zusammenarbeit der Leitstellen war in einem ersten Gesetzentwurf für eine Notfallreform im vergangenen Jahr bereits vorgesehen. Dieser Entwurf schaffte es aber aufgrund des vorzeitigen Endes der Ampelregierung im November nicht durch den Bundestag.
Bereits geplant ist hingegen eine Messengerlösung, die auf der Telematikinfrastruktur (TI) aufsetzt und künftig die Kommunikation zwischen den Leitstellen vereinfachen soll. Ziel sei, dass eine bundesweite Abstimmung zwischen den beiden Notrufnummern möglich ist, erklärte Lars Kroll vom Zi.
Vorgesehen ist, dass Informationen über Patienten, die bei der falschen Leitstelle angerufen haben und an die jeweils andere Struktur verwiesen werden, sicher und datenschutzkonform über den TI-Messenger übermittelt werden können. Informationen des Deutschen Ärzteblattes zufolge soll dies zunächst in Bremen im dritten Quartal in diesem Jahr getestet werden.
Daneben werden niedrigschwellige Angebote für Patientinnen und Patienten benötigt, wie etwa Chatbots oder digitale Ersteinschätzungsverfahren beispielsweise über SmED, forderte Krautz weiter.
Selbsteinschätzungsterminals in Notaufnahmen
Wie Personal in den Notaufnahmen künftig mithilfe des Ersteinschätzungsverfahrens entlastet werden kann, testet derzeit das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein an den Standorten Lübeck und Kiel. Dort steht seit April ein eTerminal, an dem sich Patientinnen und Patienten selbst einchecken können, erläuterte Oberarzt Jan-Niclas Kersebaum vom UKSH.
An diesem eKiosk führen Patienten eine Selbsteinschätzung per SmED durch und bekommen die Versorgungsebene angezeigt, in die sie gehen müssen. Der Bewertungsbogen wandere zudem direkt in die digitale Krankenakte der Uniklinik, so Kersebaum. Die Testphase soll sechs Monate laufen, erste Ergebnisse zur Nutzung soll es Ende Mai geben.
Eine weitere Maßnahme sei die Unterstützung im Rettungswesen durch Telenotärztinnen und -ärzte, erklärte Stefan Beckers vom Rettungsdienst Aachen. Seit diesem Jahr sehen alle Bundesländer Telenotärzte vor, beziehungsweise sind im Aufbau entsprechender Strukturen.
Der Effekt sei, dass die Notarztquote bei Rettungseinsätzen sinke, weil Rettungssanitäter Telenotärzte hinzuziehen könnten. Insbesondere bei kryptischen Symptomkonstellationen oder Medikationsdosierungen sei dies wichtig.
Für Mitte 2025 sei die Publikation einer neuen S2e Leitlinie in der prähospitalen Notfallmedizin geplant, kündigte Beckers an. Diese soll weitere Evidenz und Erfahrungen aus dem nationalen und internationalen Bereich zum Einsatz von Telenotärzten bieten.
Differenzierte Reaktion der Leitstellen benötigt
Die digitalen Instrumente müssten zudem genutzt werden, um künftig differenziert reagieren zu können, welche Fahrzeuge beziehungsweise welche Einsatzmittel benötigt würden, erklärte Krautz aus Schleswig-Holstein. Es müsse nicht immer der Rettungswagen mit dem Notarzt losfahren.
Je nach Fall könnte etwa auch der sozialpsychiatrische Dienst helfen. Zentral sei dafür, dass die Leitstellen ausreichend gut besetzt seien und die entsprechenden Fälle und Dringlichkeiten auch unterscheiden und entscheiden könnten, betonte Krautz.
Um die Einsatzzahlen künftig zudem zu senken, brauche es den Aufbau eines vorbeugenden Rettungsdienstes, erklärte Krautz weiter. Dies sei mit dem vorbeugenden Brandschutz vergleichbar, der etwa durch bauliche Maßnahmen, Feuerlöscher oder Brandmeldeanlagen dazu führe, dass es hierzulande deutlich weniger brenne. Etwas ähnliches brauche es für den Rettungsdienst. Um dies aufzubauen, brauche es viel Netzwerkarbeit, so Krautz. Konkreter wurde er hingegen nicht.
Die Senkung der Einsatzzahlen sei insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels wichtig. Gemeinsam mit der Fachhochschule Kiel habe das RKiSH berechnet, dass die derzeit 260.000 Rettungsdiensteinsätze (2023) auf etwa 390.000 Einsätze bis 2040 steigen werden. Dies stelle einen Zuwachs von 50 Prozent in 15 Jahren dar. Grund dafür sei die alternde Babyboomergeneration sowie ein verändertes Verhalten, den Rettungsdienst zu rufen.
Um diese Herausforderungen anzugehen, brauche es auch eine stärkere intersektorale Vernetzung, forderte Krautz weiter. Der Übergang vom ambulanten zum stationären Sektor müsse fließender werden, auch hier sei eine zügige Veränderung nötig.
Wichtig für mehr Telemedizin sei zudem ein klarer Rechtsrahmen. Haftungsfragen müssten vor der telemedizinischen Behandlung geklärt sein, wies Burkhard Ruppert, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KV) hin.
In Berlin gebe es seit 2020 digitale Versorgungsmöglichkeiten für Akutfälle im ambulanten Bereich. Rund zwei Drittel der Telearztanrufe könnten fallabschließend behandelt werden, erklärte Ruppert. Entsprechend handele es sich dabei um ein wirkungsvolles Instrument der Patientensteuerung.
Seiner Erfahrung nach würden sowohl Patienten als auch die Mediziner lieber telefonieren als Videotelefonieren obwohl letzteres auch möglich sei. „Beide wollen oftmals nicht gesehen werden, Ärzte wollen häufig zudem anonym bleiben“, erklärte Ruppert. Mit dieser schwierigen Situation müsse man noch besser umgehen, räumte er ein.
Wichtig sei zudem, Ärztinnen und Ärzte, die telemedizinisch tätig werden wollten, entsprechend zu schulen. Es brauche Kommunikationstechniken, wie man etwa ein strukturiertes Gespräch ohne eine körperliche Untersuchung führe. Zudem brauche es kulturelle und sprachliche Kompetenzen, um die Person einordnen zu können, die man lediglich telefonisch oder per Videocall behandele, betonte Ruppert.
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