Politik

Notfallversorgung: Zuspruch für Empfehlungen des Sachverständigenrats

  • Montag, 2. Juli 2018
/eunikas, stock.adobe.com
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Berlin – Die Empfehlungen zur Reform der Notfallversorgung, die der Sach­verständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen heute in Berlin vorgelegt hat, haben ein überwiegend positives Echo hervorgerufen. Um die Zahl der Patienten zu verringern, die unbegründet die Notaufnahme im Krankenhaus aufsuchen, hatte der Rat vorgeschlagen, diese Patienten künftig über eine einheitliche Notrufnummer und an zentralen Anlaufstellen, sogenannten integrierten Notfall­zentren, an ausgewählten Krankenhäusern zu triagieren und danach an die für ihre Beschwerden angemessene Stelle weiterzuleiten. Getragen werden sollen diese Einrichtungen gemeinsam von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) und den Krankenhäusern.

„Gemeinsame Notfallleitstellen und integrierte Notfallzentren sind hier der richtige Weg“, erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nach der Vorstellung des Gutachtens zur bedarfsgerechten Steuerung der Gesundheitsversorgung, in dem die Notfallversorgung ein Kapitel umfasst. „Wir brauchen eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen“, sagte Spahn. Über die Umsetzungs­möglichkeiten werde jetzt beraten.

In Teilen kann sich auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) mit den Reformvorschlägen des Sachverständigenrats zur Notfallversorgung anfreunden. „Die Ansiedlung der ambulanten Notfalleinrichtungen an Krankenhäusern ist die einzig sinnvolle und richtige Zuordnung“, sagte deren Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Denn mit elf Millionen Fällen finde der überwiegende Teil der ambulanten Notfall­versorgung in den Notfallambulanzen der Krankenhäuser statt. Allerdings müssten alle Krankenhäuser, die die Voraussetzungen erfüllen, ambulante Notfallleistungen erbringen dürfen und sachgerecht vergütet bekommen. Der Sachverständigenrat will dagegen die Zahl der Krankenhäuser, die an der ambulanten Notfallversorgung teilnehmen, deutlich begrenzen.

Unikliniken sollen Notfallzentren betreiben dürfen

Grundsätzlich positiv bewertet auch der Verband der Universitätsklinika Deutschlands die Vorschläge des Sachverständigenrates. Das Konzept sei eine hervorragende Grundlage, um die Notfallversorgung im Sinne der Patienten sektorenübergreifend besser zu strukturieren. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Universitätsklinika bereits heute eine zentrale Rolle bei der Sicherstellung der ambulanten Notfallversorgung spielten.

„Entsprechend müssen sie auch selbst integrierte Notfallzentren aufbauen und betreiben dürfen“, forderte der Verband. Hier sollten unterschiedliche Betriebs- und Organisationsmodelle möglich sein, um regionalen und strukturellen Besonderheiten Rechnung zu tragen. Der Sachverständigenrat befürwortet dagegen, dass die Ärzte, die am gemeinsamen Tresen im integrierten Notfallzentrum die Patienten triagieren, nicht bei den Krankenhäusern angestellt und damit unabhängig von deren finanziellen Interessen sind.

Auch die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) unterstützt den Aufbau zentraler Anlaufstellen. Ähnlich wie die Universitätskliniken fordert der Verband jedoch, dass die Kliniken und nicht die niedergelassenen Ärzte die Hoheit über die integrierten Notfallzentren erhalten. „Für die fachliche Diagnose, aber auch die unmittelbare Notfalltherapie muss an dieser Stelle eine standardisierte Ersteinschätzung mit geschultem Personal erfolgen und bei Bedarf sofort ein in der Notfallmedizin erfahrener Facharzt eingesetzt werden“, forderte die DIVI.

Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) betonte, es brauche viele Anpassungen im Systen. „Um die Pläne umzusetzen, brauchen wir mehr Einigkeit unter den Beteiligten und vermutlich auch mehr Personal“, sagte Jan-Thorsten Gräsner, Sprecher des Arbeitskreises Notfallmedizin der DGAI. Gräsner betonte, um sinnvolle Fortschritte einzuleiten, müsse man noch mehr Daten und Hintergrundinformationen über die Wirksamkeit der heutigen Notfallversorgung sammeln. Gleichzeitig müssten in vielen einzelnen Bereichen Aufgaben und Organisation neugeordnet werden, von den Rettungsleitstellen über die Rettungsdienste bis zu den Notaufnahmen in den Krankenhäusern. „Das ist ein Prozess, der einige Jahre dauert!“, so der Notfallmediziner.

Hausärzte wollen Lotsenfunktion wahrnehmen

Der Deutsche Hausärzteverband begrüßte ganz grundsätzlich die Forderung des Sachverständigenrates nach einer vernünftigen Strukturierung der Behandlungsabläufe und einer Stärkung der hausarztzentrierten Versorgung, „damit die Patientinnen und Patienten nicht wie Flipperkugeln durch das Gesundheitssystem fliegen“, wie der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, es formulierte. Das könne auch dazu beitragen, die chronisch überfüllten Notfallambulanzen zu entlasten. „Hier setzt das Gutachten des Sachverständigenrats einige richtige und wichtige Impulse“, erklärte Weigeldt.

Aufforderung zur Mutprobe

Der Vorsitzende des Hartmannbunds, Klaus Reinhardt, bezeichnete die Vorschläge als „zukunftsweisend“. „Ungeachtet der Tatsache, dass ohne Frage in der Detailbetrachtung aus unserer Sicht auch Kritik an dem einen oder anderen Vorschlag der Gutachter anzubringen ist – so zum Beispiel mit Blick auf Pläne für ein verändertes Nachsetzungsverfahren im ambulanten Bereich – hat der Sachverständigenrat erstmals deutlich gemacht, dass auch der Patient ein Akteur des Gesundheitssystems ist, dessen Verhalten Auswirkungen auf die Effektivität des Systems und damit auch auf seine bestmögliche Versorgung hat“, sagte Reinhardt.

Auch wenn sich der Sachverständigenrat verständlicherweise bemühe, den Ball an dieser Stelle verbal flach zu halten, so sei die Betonung der Notwendigkeit einer gezielteren Steuerung der Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen durch Patienten ein entscheidender Paradigmenwechsel. Bisher sei es stets darum gegangen, auf begrenzte Ressourcen durch Regulierungen auf Leistungserbringerseite zu reagieren. „Mit Blick auf Jens Spahn darf das Papier mindestens an dieser Stelle durchaus als Aufforderung zur Mutprobe betrachtet werden, denn wir dürfen gespannt sein, wieviel der Gesundheitsminister sich hier traut“, sagte Reinhardt.

Praxisnetze erfreut

Der Vorstandsvorsitzende der Agentur deutscher Arztnetze, Veit Wambach, nannte es „erfreulich“, dass der Sachverständigenrat die Arzt- und Praxisnetze als eine Möglichkeit benenne, eine sektorenübergreifende Versorgung zu erreichen. Damit erkenne der Sachverständigenrat an, dass Praxisnetze die Effektivität und Effizienz der Gesundheitsversorgung an der Schnittstelle zwischen der ambulanten und der stationären Versorgung verbessern können, sagte Wambach.

Gleichzeitig stelle der Sachverständigenrat fest, dass die Arzt- und Praxisnetze unter zu starken und die Effektivität und Effizienz der Gesundheitsversorgung eher behindernden Regulierungen beziehungsweise Einschränkungen leiden würden. Er empfiehlt daher, um weitere Optionen für die regionale Versorgung zu ermöglichen, dass nach § 87b anerkannte Praxisnetze der Stufen I und II künftig den Leistungserbringerstatus erhalten können, freute sich Wambach.

HK

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