Nutri-Score wirkt irreführenden Angaben auf ungesunden Nahrungsmitteln entgegen

Göttingen − Der Nutri-Score kann dem „Heiligenschein-Effekt“ von Angaben wie „weniger süß“ auf eigentlich ungesunden Lebensmitteln entgegenwirken. Denn solche Claims verführen viele Verbraucher dazu, Nahrungsmittel für gesünder zu halten, als sie eigentlich sind.
Den Nutri-Score verpflichtend auf Verpackungen von eher ungesunden Lebensmitteln, die mit Claims zu Nährwerten versehen sind, abzubilden, könnte die falschen Annahmen über ungesundes Essen reduzieren, schreiben Kristin Jürkenbeck von der Universität Göttingen und ihre beiden Koautorinnen. Dafür sprechen die Ergebnisse ihrer Studie, die in PLOS ONE (2022, DOI: doi.org/10.1371/journal.pone.0272220) veröffentlicht wurde.
Die Wissenschaftlerinnen führten eine Online-Befragung mit 1.103 Teilnehmern im Oktober 2020 durch. Zu diesem Zeitpunkt war der Nutri-Score beziehungsweise die Lebensmittelampel in Deutschland noch nicht eingeführt worden.
Es zeigte sich, dass die Teilnehmer beim Einkaufen am meisten auf die Inhaltsstoffe achteten. An zweiter und dritter Stelle standen der Zucker- und Fettgehalt. Etwa 1/3 war der Nutri-Score ein Begriff, fast ein weiteres 1/3 konnte damit nichts anfangen. Der Rest hatte eine ungefähre Vorstellung, was er bedeutete.
Die Befragten waren auch gebeten worden, zu beurteilen, für wie gesund sie drei Produkte hielten. Als am wenigsten gesund schätzten sie ein Schoko-Knuspermüsli, gefolgt von einem Instant-Cappuccino ein. Ein Hafergetränk beurteilten sie als gesund.
Die Autorinnen legten den Teilnehmern dann die drei Produkte in einer von fünf verschiedenen, zufällig ausgewählten Verpackungsvarianten vor. Zwei Varianten waren entweder ohne oder mit Claims zum Zuckergehalt wie „weniger süß“, „ohne Zuckerzusatz“ oder „30 % weniger Zucker“ versehen. Hinzu kamen drei Varianten nur mit der Lebensmittelampel sowie mit dem Claim und dem Nutri-Score in zwei Versionen.
Fast 70 % der Befragten bewerteten zum Beispiel den Instant-Cappuccino in neutraler Verpackung als eher ungesund. Kam die Angabe „weniger süß“ hinzu, waren es bloß noch etwa 59 %. Stand auf der Verpackung nur der Nutri-Score D, hielten ungefähr 82 % das Lebensmittel für ungesund. Waren der Claim „weniger süß“ zusammen mit dem Nutri-Score D oder C abgebildet, schätzten zirka 70 % beziehungsweise etwa 57 % den Cappuccino als ungesund ein.
Ähnliche Ergebnisse ergaben sich für das Schoko-Knuspermüsli. Bei dem Hafergetränk zeigten sich dagegen nur geringe Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten.
Zusammenfassend vermuten die Autorinnen, dass deutlich sichtbare Angaben zum reduzierten Zuckergehalt auf Verpackungen von eher ungesunden Lebensmitteln, Konsumenten irreführen: Sie halten diese dann für gesünder, als sie eigentlich sind. In diesen Fällen könne die Lebensmittelampel den falschen Eindruck abschwächen. Somit biete sich eine verpflichtende Darstellung des Nutri-Scores bei derartigen Produkten an.
Darüber hinaus wäre eine solche Form der Regulierung verglichen mit anderen Instrumente wie Werbeverboten oder Steuern wahrscheinlich leichter zu implementieren, betonen die Wissenschaftlerinnen.
Der Nutri-Score wird zunehmend in verschiedenen europäischen Ländern genutzt. In Deutschland ist die Nutzung seit November 2020 freiwillig möglich. „Bis zum 15.08. 2022 haben sich rund 310 aus Deutschland stammende Unternehmen mit rund 590 Marken für den Nutri-Score registriert“, teilte das Bundesernährungsministerium (BMEL) mit.
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