Ärzteschaft

Nutzen für Versorgung gehört bei Digitalisierung in den Fokus

  • Dienstag, 16. November 2021
/ipopba, stock.adobe.com
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Düsseldorf – Die Politik muss bei der Telematikinfrastruktur (TI) und den digitalen Gesundheitsanwen­dungen (DiGA) nachbessern. Das stellte die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNo) in ihrer jüngsten Sitzung klar.

„Der Nutzen für die Versorgung muss im Vordergrund stehen“, forderte ÄKNo-Präsident Rudolf Henke. Anwendungen, die nicht funktionierten und die von der ärztlichen Arbeit abhalten würden, hätten in Krankenhäusern und Praxen nichts zu suchen.

Mit großer Skepsis blickte Henke in diesem Zusammenhang auf die „e-Evidence-Verordnung“, über die Ermittlungsbehörden andere EU-Staaten an elektronisch gespeicherte Daten gelangen können. „Ärztin­nen und Ärzte müssen auch in Zukunft sicher sein können, dass Behörden anderer EU-Länder niemals Zugriff auf die von ihnen gespeicherten Patientenakten verschaffen können. Das muss definitiv ausge­schlossen werden“, so Henke.

Das Thema „Datensicherheit“ griff auch Wieland Dietrich auf. „Wenn wir uns das Projekt TI vor Augen halten mit Millionen von Beteiligten, dann muss man die Frage stellen, ob man das System überhaupt schützen kann“, betonte der niedergelassene Dermatologe, der der Fraktion „Das Ärztebündnis“ angehört.

Seiner Ansicht nach fehlen zur Errichtung eines entsprechenden Datenschutzes die Fachkräfte und den Ärzten das Geld. „Da muss eine Finanzierung für die Sicherheit her“, forderte Dietrich, der auch Vorsitzen­der der Freien Ärzteschaft ist, mit Blick auf Krankenkassen und Politik.

Die Kammerversammlung schloss sich diesen Ansichten an und verabschiedete mehrere Anträge, in denen sie unter anderem fordert, bei künftigen Gesetzgebungsverfahren zur Digitalisierung den Fokus auf den Nutzen für Patienten zu legen sollen, die TI-Sanktionen für Ärzte auszusetzen und die TI einer kritischen Überprüfung zu unterziehen.

Christiane Gross kritisierte, dass bei der Digitalisierung bislang Genderaspekte kaum berücksichtigt worden sind. „Die Künstliche Intelligenz (KI) wird mit einer falschen Datenbasis gefüttert, wenn keine Genderaspekte eingespeist werden“, mahnte die niedergelassene ärztliche Psychotherapeutin, die der Fraktion Marburger Bund angehört und bei der ÄKNo den Ausschuss „E-Health und KI“ leitet. Sie ist ebenso Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes.

Groß warnte auch vor dem unkritischen Verordnen von DiGA. Informationen zum Nutzen von DiGA, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) noch nicht endgültig ins DiGA-Ver­zeichnis aufgenommen worden seien, beruhten lediglich auf Herstellerangaben. Zudem könnten Patien­ten DiGA auch über die Krankenkassen bekommen. „Wir wissen nicht, wie viele Apps ungenutzt auf dem Handy herumdümpeln“, sagte Groß. „Und dabei kosten sie oft 400 bis 500 Euro pro Quartal.“

Nach Ansicht von Ibo Greve werden DiGA das Arzt-Patient-Verhältnis „nicht unbedingt stärken“. „Wenn wir eine DiGA verschreiben, bekommt der Patient die und wir haben keine Kontrolle, was damit passiert“, ist der niedergelassene Internist und Rheumatologe, der der Fraktion „Das Ärztebündnis“ angehört, über­zeugt. Seiner Auffassung nach werden DiGA die Arbeit der Ärzte nicht erleichtern.

Die Kammerversammlung verabschiedete daraufhin mehrere Anträge, in denen sie den Gesetzgeber auf­fordert, DiGA unter anderem auf ihre Wirksamkeit, ihren Nutzen, ihre Praktikabilität und ihre Sicherheit kontinuierlich zu überprüfen.

Krankenhausplanung am Versorgungsbedarf ausrichten

Befasst hat sich das Ärzteparlament auch mit der Reform des Krankenhausplans in Nordrhein-Westfalen (NRW), die eine Abkehr vom Bett als Planungsgröße und eine Planung nach Leistungsgruppe und -berei­chen und bestimmten Qualitätsvorgaben vorsieht.

„Aus unserer Sicht ist es sehr wichtig, dass auch in Zukunft ein Krankenhaus der Grundversorgung inner­halb von 20 Autominuten für jeden Bürger erreichbar sein soll, denn das Krankenhaus ist unverzichtba­rer Bestandteil der Daseinsvorsorge in unserem Land“, betonte Kammerpräsident Henke.

Das schließe eine sinnvolle Bildung von Behandlungsschwerpunkten und eine klarere Aufgabenver­tei­lung nicht aus. „Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen, und nicht alles muss das Krankenhaus machen, vieles geht heute eben auch ambulant.“

Damit eine wohnortnahe Versorgung erhalten bleibt, forderte die Kammerversammlung die Landesre­gie­rung in Nordrhein-Westfalen (NRW) auf, die Krankenhausplanung am tatsächlichen Versorgungs­bedarf zu orientieren. Zugleich müssen alle versorgungsrelevanten Krankenhäuser auskömmlich finanziert werden, heißt es in dem mehrheitlich verabschiedeten Antrag.

Flächendeckend Reanimationsschulungen für Laien etablieren

Darüber hinaus forderte das Ärzteparlament die flächendeckende Etablierung von Reanimationsschulun­gen für Laien, zum Beispiel in Schulen und Betrieben. „Laien können helfen, dass therapiefreie Intervall bis zum Eintreffen des Rettungswagens zu verkürzen“, erläuterte Henke.

Er sprach sich dafür aus, dass das Thema Wiederbelebung verpflichtend Teil des Schulunterrichts ab Klasse sieben werden muss. „Es gibt eine entsprechende Vereinbarung im Koalitionsvertrag von CDU und FDP in NRW, die im Jahr 2017 getroffen wurde, und noch umgesetzt werden muss.“

Die Etablierung von Reanimationsschulungen ist auch ein zentrales Ziel des Positionspapiers „Zukunfts­reform Rettungsdienst NRW 2030“, das die Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe gemeinsam mit dem Rettungsdienst und anderen Akteuren des Gesundheitssystems erarbeitet haben.

Außerdem forderte die Kammerversammlung die Einführung eines Dispensierrechts für Ärzte im Not­dienst. Ambulante Notfallpatienten würden heute meist in Portalpraxen behandelt, die sich in Kranken­häusern befinden. Für sie bedeute das, dass sie längere Wege als bisher zur Notdienst-Apotheke in Kauf nehmen müssen, hieß es in einem Antrag der Fraktion „Das Ärztebündnis“, der einstimmig bei vier Ent­haltungen verabschiedet wurde.

Keine kontrollierte Freigabe von Cannabis

Das Ärzteparlament hat sich mit einem weiteren Antrag gegen die kontrollierte Freigabe von Cannabis ausgesprochen. „Die negativen Effekte von Cannabis auf das Gehirn und damit auch auf die Psyche, ins­besondere bei Heranwachsenden, sind mittlerweile bekannt, werden aber in der politischen Diskussion ausgeklammert, verharmlost oder gegen ordnungspolitische Argumente wie zum Beispiel Entkriminali­sie­rung der Konsumenten aufgewogen“, hieß es zur Begründung.

Eine Legalisierung von Cannabis werde zu einer Zunahme des Konsums und damit von Folgestörungen wie dem Risiko einer Abhängigkeit, der Gefahr von depressiven Störungen, Angststörungen, Psychosen und zu Entwicklungsrückständen bei Jugendlichen führen.

Zudem hat sich die Kammerversammlung für ein Verbot von Imagewerbung von Krankenkassen ausge­sprochen. Die Werbung werde mit Beiträgen der Versicherten finanziert, ein Zusatznutzen für die Versi­cherten werde dadurch jedoch nicht generiert. Das Ärzteparlament kündigte an, sich für Regelungen durch den Gesetzgeber einzusetzen, der die Verwendung von Versichertengeldern in dieser Form ver­bietet.

Aufgegriffen hat die Kammerversammlung auch das Thema „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“, mit dem sich erst vor wenigen Tagen der 125. Deutsche Ärztetag befasst hatte. Das nordrheinische Ärzteparlament hat einstimmig beschlossen, für die Arbeit in Geschäftsstellen, Gremien und Verwaltung zeitnah Maßnah­men zu entwickeln, damit die ÄKNo ihr Ziel, bis 2030 klimaneutrale Ärztekammer zu sein, erreichen kann. Sie forderte den Ausschuss „Klimawandel und Gesundheit“ der ÄKNo auf, zur übernächsten Sitzung der Kammerversammlung im November 2022 Vorschläge zu Umsetzung vorzulegen.

ts

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