Ausland

„Obamacare“: US-Verfassungs­richter senden Signale gegen Abschaffung

  • Mittwoch, 11. November 2020
Der US-Supreme Court in Washington D.C. /picture alliance, TASS, Yegor Aleyev
Der US-Supreme Court in Washington D.C. /picture alliance, TASS, Yegor Aleyev

Washington D.C. – Die Richter des Obersten US-Gerichtshofs haben sich gestern bei einer An­hörung wenig geneigt gezeigt, die Gesundheitsreform des früheren Präsidenten Barack Obama zu kippen.

Auch konservative Verfassungsrichter äußerten gestern Zweifel, dass die als „Obamacare“ bekannte Reform wegen eines strittigen Elements komplett gestrichen werden müsse. Das verlangt die Regierung von Präsident Donald Trump. Eine Entscheidung wird der Su­preme Court erst im kommenden Jahr treffen.

Trump versucht seit Jahren, die Gesundheitsreform seines demokratischen Vorgängers wieder abzuschaffen, die mehr als 20 Millionen Bürgern Zugang zu einer Krankenver­si­cherung ermöglichte.

Die Chancen des Präsidenten schienen zu wachsen: Trump hat in seiner Amtszeit drei neue Verfassungsrichter ernannt, zuletzt die erzkonservative Juristin Amy Coney Barrett. Das konservative Lager hat damit eine klare Mehrheit von sechs zu drei Richtern am Obersten Gerichtshof.

Bei der gestrigen Anhörung ging es um die Frage, ob die 2010 beschlossene Gesund­heits­reform komplett ungültig ist, weil ein zentrales Element de facto rückgängig ge­macht wurde. Konkret ging es um die als „individual mandate“ bekannte Versicherungs­pflicht.

Die Reform hatte die meisten US-Bürger unter Androhung einer Strafzahlung dazu ver­pflichtet, eine Krankenversicherung abzuschließen. Dieses Element war besonders um­stritten – und stand 2012 im Zentrum eines ersten Urteils des Supreme Court zu Obama­care.

Der Gerichtshof urteilte damals mit einer knappen Mehrheit, die Gesundheitsreform sei verfassungskonform, weil die Strafzahlung als Steuer verstanden werden könne. Der Kon­gress, der Steuern erheben darf, habe deswegen nicht seine Befugnisse überschritten.

Trumps Republikaner strichen aber 2017 die Strafzahlung, die bei Nichtabschluss einer Versicherung drohte. Mehrere republikanisch regierte Bundesstaaten argumentierten in der Folge, mit dem Auslaufen der Strafzahlung sei die Versicherungspflicht insgesamt verfassungswidrig – und damit die gesamte Reform hinfällig.

Ende 2018 schloss sich ein konservativer Bundesrichter im Bundesstaat Texas dieser Auf­fassung an. Die Versicherungspflicht sei ein so wichtiger „Pfeiler“ der Reform gewesen, dass Obamacare ohne sie keinen Bestand mehr haben könne.

Der Oberste US-Verfassungsrichter John Roberts schien diese Auffassung aber nicht zu teilen, als sich der Supreme Court jetzt genau eine Woche nach der Präsidentschaftswahl mit dem Thema befasste.

Es sei nur schwer zu argumentieren, dass der Kongress 2017 die gesamte Gesundheitsre­form habe abschaffen wollen. Das Parlament habe damals schließlich lediglich die Straf­zahlung auf null abgesenkt und nicht einmal versucht, den Rest von Obamacare zu strei­chen. Das sei jetzt nicht der „Job“ des Gerichtshofs.

Auch der von Trump ernannte konservative Verfassungsrichter Brett Kavanaugh äußerte sich in diese Richtung: Sollte die Versicherungspflicht verfassungswidrig sein, wäre die „angemessene Lösung“, sie aus dem Gesetzespaket zu streichen.

Selbst der erzkonservative Verfassungsrichter Samuel Alito sagte, die Versicherungs­pflicht sei längst kein zentrales Element von Obamacare mehr. „Dieser Teil wurde heraus­genommen, und das Flugzeug ist nicht abgestürzt.“

Die neue Verfassungsrichterin Barrett, die in der Vergangenheit die Supreme-Court-Ent­scheidung des Jahres 2012 kritisiert hatte, konzentrierte ihre Nachfragen auf das Thema, ob die Kläger überhaupt klageberechtigt sind. In dem Verfahren stehen sich von der Trump-Regierung unterstützte, republikanisch re­gierte Bundesstaaten und demokratische Bundesstaaten gegenüber.

Der neugewählte Präsident Joe Biden hat versprochen, Obamacare auszubauen. Gestern kritisierte er die Bestrebungen von Amtsinhaber Donald Trump als grausam. Damit könn­ten inmitten einer Pandemie mehr als 20 Millionen Menschen ihren Zugang zur Kranken­versicherung verlieren, betonte Biden.

Die gewählte US-Vizepräsidentin Kamala Harris kündigte an, weitere Initiativen der bis­herigen US-Regierung in der Gesundheitspolitik zu verhindern. Der juristische Vorstoß der Republikaner gegen die Gesundheitsreform von Expräsident Barack Obama sei ein „ekla­tanter Versuch, den Willen des Volkes umzukehren“, sagte Harris gestern und fügte hinzu: „Der gewählte Präsident (Joe Biden) und ich können dies nicht zulassen.“

Vor einer Ansprache Bidens zur Gesundheitspolitik sagte Harris, dieser habe die Wahl vor einer Woche eindeutig gewonnen. „Jede Stimme für Joe Biden war ein Statement, dass die Gesundheitsversorgung in Amerika ein Recht und kein Privileg sein sollte.“ Das Gesetz für eine bezahlbare Gesundheitsversorgung für alle dürfe nicht gekippt werden.

afp/dpa

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