Ökonomisierung in Kliniken geht zulasten der Kranken
Dresden – Die Zahlen sehen beeindruckend aus: Die Zahl der Operationen in deutschen Kliniken stieg 2013 um 0,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf 15,8 Millionen. Auch die Zahl der stationär behandelten Patienten wuchs auf nun 15 Millionen, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch in Wiesbaden mitteilte. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Patienten sinkt seit Jahren: von 14 Tagen 1991 auf 7,7 Tage 2011.
Doch steigende Operationszahlen sind nicht gleichzusetzen mit prosperierenden Geschäftsentwicklungen: Glaubt man wirtschaftlichen Untersuchungen, bleibt die Lage der Krankenhäuser in Deutschland prekär. Im Jahr 2012 schrieben rund 35 Prozent aller Häuser rote Zahlen, 16 Prozent hatten ein erhöhtes Insolvenzrisiko. Das bedeutet bei beiden Werten im Vergleich zu 2010 eine Verdoppelung, wie der in diesem Sommer veröffentlichte „Krankenhaus Rating Report“ des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) ergab. Das Insolvenzrisiko sei erheblich gestiegen.
Die mehr als 2.000 Krankenhäuser in der Bundesrepublik stehen also wirtschaftlich erheblich unter Druck. Bei Herbsttagung des Deutsche Ethikrats „Klinikalltag zwischen ethischem Anspruch und Kostendruck“ kritisierten zahlreiche Gesundheitsexperten, dass die zunehmende Ökonomisierung in Krankenhäusern zulasten der Patienten, der Ärzte und Pflegenden gehe.
„Der Patient darf nicht zum Mittel der Gewinnoptimierung von Kliniken werden“, betonte die Vorsitzende des Ethikrates Christiane Woopen. Schnell werde das vor zehn Jahren eingeführte DRG-Fallpauschalensystem als Auslöser der Misere angeprangert. Das sei ihr aber zu einfach: „Jedes Abrechnungssystem bringt seine Anreize mit sich.“
Das ärztliche Ethos wird immer mehr von der Ökonomisierung bedrängt
Die Experten waren sich aber einig, dass das Pendel derzeit zu stark in Richtung Wirtschaftlichkeit ausgeschlagen ist. Der Professor für Gesundheitssysteme an der Evangelischen Fachhochschule Hannover, Michael Simon, warnte: „Das ärztliche Ethos wird immer stärker von der Ökonomisierung überstülpt.“ Junge Mediziner wüchsen schon quasi damit auf. Simon plädierte für eine grundlegende Umgestaltung des Gesundheitssystems, das die Hinwendung zum Patienten belohnen müsse.
Er verwies auf im internationalen Vergleich auffällig hohe Operationszahlen: So ermittelte die OECD im Sommer 2013, dass hierzulande mit 240 Klinikaufenthalten pro 1.000 Einwohner und Jahr so viele Menschen stationär behandelt werden wie sonst in kaum einem anderen Industriestaat. Für Simon ist klar: Derzeit sei ein erheblicher Teil der steigenden Fallzahlen bei einzelnen operativen Eingriffen rein auf die wirtschaftlichen Interessen von Krankenhäusern zurückzuführen.
Qualität braucht immer Zeit
„Der Patient ist zum Werkstück geworden“, ergänzte Arved Weimann, Chefarzt des Klinikums St. Georg in Leipzig: „Im aktuellen System behalten wir den Patienten eine ganz wichtige Ressource vor: die Zeit.“ Qualität brauche aber immer Zeit.
Der Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin an der Universität Freiburg, Giovanni Maio, betonte: „Durch die zunehmende Ökonomisierung der Medizin streifen die Krankenhäuser ihre genuin soziale Identität komplett ab und verwandeln sich zunehmend zu reinen Dienstleistungsunternehmen.“ Menschliche Zuwendung werde zum „idealistischen Luxus“ herabgestuft. Maio beobachtet eine schrittweise Umwertung der Medizin: „Patienten werden nicht mehr als leidende Menschen wahrgenommen, sondern als Konsumenten umdefiniert, deren Krankheit man sich zunutze macht, um gute Zahlen zu generieren.“
Dem hielt die Gründungsdirektorin des Züricher Instituts für Biomedizinische Ethik, Nikola Biller-Andorno, entgegen, dass viele Ärzte sehr wohl die Schwierigkeiten bei der Versorgungsqualität und -gerechtigkeit wahrnähmen. „Das dringt allerdings kaum in die öffentlichen Debatten zu dem Thema“, so Biller-Andorno. Um die bestehenden Missstände aufzubrechen, muss ihrer Ansicht nach die Wahrnehmung der Ärzte systematisch abgefragt und als Daten erhoben werden.
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