Medizin

Östrogen: Weiblicher Zyklus beeinflusst Größe des Hippocampus

  • Dienstag, 11. Oktober 2016
Uploaded: 11.10.2016 16:53:51 by mis
dpa

Leipzig – Die Hormonschwankungen, zu denen es infolge des normalen weiblichen Monatszyklus kommt, wirken sich möglicherweise auf den Hippocampus aus. In diesem Gedächtniszentrum des Gehirns kommt es laut einer Studie in Nature Scientific Reports (2016; 6: 32833) parallel zum Anstieg der Östrogen-Konzentration zu einer Größenzunahme.

Der Hippocampus ist die Schaltstelle des Gedächtnisses. Er bestimmt, welche Erfahrun­gen es wert sind, in das Langzeitgedächtnis aufgenommen zu werden. Oft sind es Schreckereignisse mit starken Emotionen, etwa einem Beinaheunfall im Straßenverkehr. Das Gedächtnis hat evolutionsbiologisch sicherlich die Aufgabe, diese negativen Erfahrungen zu speichern, damit die Menschen sich vor ähnlichen Situation in acht nehmen. Der Hippocampus ist als Teil des limbischen Systems stark mit dem Gefühlsleben verbunden.

Verschiedene Studien an Nagetieren haben gezeigt, dass Östrogene einen Einfluss auf das Gedächtnis haben. Bei hohen Hormonwerten steigt die Bildung von neuen Synapsen, was im Hippocampus eine gesteigerte Gedächtnisbildung anzeigen könnte. Es könnte bedeuten, dass die Tiere sensibler auf ihre Umwelt reagieren. Beim Menschen ist bekannt, dass Frauen anfälliger für Gefühlsschwankungen im weiteren Sinne sind. Depressionen sind häufiger als bei Männern. Häufig treten sie in Phasen starker Hormonschwankungen auf, etwa nach einer Geburt oder in der Menopause.

Ob Einflüsse der Hormonspiegel auf den Hippocampus hier eine Rolle spielen, lässt sich nur schwer untersuchen. Anders als bei Nagetieren, können die Forscher die Gehirne von Menschen nicht aus Anlass eines Experimentes biopsieren. Die Kernspintomo­graphie kann jedoch indirekte Hinweise liefern.

Ein Team um Julia Sacher vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neuro­wissen­schaften in Leipzig hat hierfür die DWI-Sequenz „diffusion weighted imaging“ bestimmt. Sie zeigt die freie Bewegung von Wassermolekülen an, die im Gehirn vor allem durch Zellmembranen behindert wird. In diesem Fall ist die Diffusion nur in bestimmte Richtungen möglich. Dies ergibt einen hohen Wert der fraktionalen Anisotropie (FA), die damit ein Maß für die strukturelle Integrität des Gehirns ist. Mit einem bestimmten Algorithmus kann die FA mit der Größe einer Hirnregion in Beziehung gesetzt werden.

Die Forscher haben die volumetrischen FA-Werte bei einer gesunden jungen Frau über den Zeitraum von zwei Monatszyklen untersucht. Sie fanden heraus, dass die FA parallel zu den Östrogenkonzentrationen im Blut ansteigt. Ihren Höhepunkt erreichte sie zum Zeitpunkt des Eisprungs. Dann ist das Volumen in bestimmten Regionen des Hippocampus am größten. Danach kommt es wieder zu einer Verkleinerung. Die Forscher führen die Volumenänderungen auf den Einfluss des Hormons Östrogen zurück. Im Hippocampus, so schreiben sie zur Begründung, sei die Zahl der Östrogenrezeptoren am größten. 

Wie sich die Schwankungen im Hippocampus auf das Verhalten und eventuell auch auf spezielle geistige Fähigkeiten im Verlauf des Zyklus auswirken, können die Wissen­schaftler bisher nicht sagen. Sie vermuten jedoch, dass die Volumenänderungen einen Einfluss auf das Gefühlsleben und das Verhalten haben könnten. Bei Mäusen sei bereits gezeigt worden, dass nicht nur der Hippocampus, sondern auch verschiedene Verhaltens­weisen einem hormonellen Einfluss unterliegen.

Ob ähnliches beim Menschen der Fall ist, wollen die Forscher jetzt in einer weiteren Studie an einer größeren Zahl von Frauen untersuchen. Dabei sollen die Größenän­derungen mit Verhaltensweisen der Probandinnen verglichen werden. Sollte sich dabei herausstellen, dass Frauen in bestimmten Phasen ihres Monatszyklus besonders aufnahmefähig sind, könnte das möglicherweise für Therapien genutzt werden, hoffen die Neurowissenschaftler. Diese könnten dann gezielt in die günstigsten Zeiträume gelegt werden, in denen die Frauen besonders gut in der Lage sind, Neues aufzunehmen.

Noch wäre es allerdings verfehlt, allzu weitreichende Schlüsse aus der Studie zu ziehen, die ja nur an einer einzigen Probandin durchgeführt wurde. Es ist auch nicht ganz auszuschließen, dass die Beobachtungen unspezifische Phänomene sind. Während des Zyklus kommt es unter dem Einfluss der Östrogene zu Wassereinlagerungen im Gewebe, die auch im Gehirn nachweisbar sind und die Messergebnisse der DWI-Sequenzen beeinflussen könnten.

rme

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