Onkologen wehren sich gegen Benachteiligung kleiner Patientengruppen
Berlin – Gegen eine systematische Benachteiligung bestimmter Patientengruppen wehrt sich die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO).
Der Fachgesellschaft geht es dabei um Entscheidungen im Rahmen der frühen Nutzenbewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG).
Laut der Fachgesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren herauskristallisiert, welchen Arzneimitteln der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf der Basis der sogenannten Herstellerdossiers, der Berichte und der Diskussionen bei den Anhörungen einen Zusatznutzen zur festgelegten Vergleichstherapie attestiere. Zentrale Kriterien des G-BA seien Ergebnisse von Phase-III-Studien, eine Verlängerung der Überlebenszeit und auch immer häufiger Daten zur Lebensqualität und zum Patient-Reported Outcome.
Einen besonderen gesetzlichen Schutz genießen außerdem Arzneimittel für seltene Erkrankungen mit einem Orphan-Drug-Status. Ihr Zusatznutzen gilt durch die Zulassung als belegt. „Durch dieses Raster fallen allerdings Arzneimittel für kleine Gruppen von Patienten, die molekulargenetisch gut definiert sind, aber keinen Orphan-Drug-Status haben“, kritisiert die DGHO.
Die Fachgesellschaft nennt beispielhaft die Entscheidung des G-BA zum Lungenkrebsmedikament Crizotinib (Xalkori) bei Patienten mit ROS1-positivem, nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC). Crizotinib ist ein oraler Tyrosinkinase-Inhibitor. „Er führt bei 70 bis 80 Prozent dieser Patienten zu einem nachhaltigen Ansprechen. Die Ergebnisse sind besser als historische Daten zur Chemotherapie, vor allem ist die Behandlung mit Crizotinib besser verträglich“, hieß es aus der DGHO. Allerdings gebe es in Deutschland pro Jahr nur 300 bis 400 neuerkrankte Patienten.
Der G-BA hat am 16. März 2017 für Crizotinib beim ROS1-positiven Lungenkarzinom die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Der Bundesausschuss hat dazu zwischen vorbehandelten und nicht vorbehandelten Patienten unterschieden und für beide Gruppen stadienabhängig zweckmäßige Vergleichstherapien angegeben. Im G-BA-Beschluss findet sich zu jedem Szenario als Konklusion der Auswertungen ein Satz: „Es liegen keine validen Daten vor.“ (Seite drei im Abschnitt „Studienergebnisse nach Endpunkten“).
In seinen „Tragenden Gründen zum Beschluss“ formuliert der G-BA allerdings (auf Seite acht): „Für nicht-vorbehandelte Patienten mit ROS1-positivem NSCLC kann eine Behandlung gemäß Fachinformation unter Berücksichtigung der unterschiedlich ausgeprägten Nebenwirkungsprofile von Crizotinib und insbesondere einer platinbasierten Chemotherapie in der patientenindividuellen Abwägung in Einzelfällen eine relevante Therapieoption sein“.
„Diese Begründung offenbart das Dilemma des G-BA. Er zeigt Verständnis für die klinische Situation und den verordnenden Arzt, ist aber gleichzeitig gefangen im Korsett der eigenen Regeln, die einen Zusatznutzen nur dann definieren können, wenn eine randomisierte Studie mit einem Kontrollkollektiv vorliegt“, kommentierte Carsten Bokemeyer, geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, die G-BA-Stellungnahme. Er schlägt daher eine neue Regelung im AMNOG vor. Sie sollte für kleine, molekular definierte Patientengruppen gelten, die zahlenmäßig den seltenen Erkrankungen entsprechen und bei denen randomisierte Studien realistisch nicht mehr durchführbar sind.
Warum aber werden Arzneimittel für diese Patienten nicht einfach als Orphan Drug geführt, für die ja nach Zulassung der Zusatznutzen per se als gegeben angenommen wird? „Die European Medicines Agency (EMA) vergibt den Orphan-Drug-Status nur für ganze Indikationen“, erläutert die DGHO. Diese Begrenzung entspreche nicht mehr der Entwicklung in der personalisierten Krebstherapie, die auf der Basis prädiktiver biologischer Marker das Ansprechen auf eine gezielte Therapie vorhersagen könne.
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