Ärzteschaft

Onkologen wehren sich gegen Benachteiligung kleiner Patientengruppen

  • Donnerstag, 30. März 2017

Berlin – Gegen eine systematische Benachteiligung bestimmter Patientengruppen wehrt sich die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO). 
Der Fachgesellschaft geht es dabei um Entscheidungen im Rahmen der frühen Nutzen­bewertung nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG).

Laut der Fach­gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren herauskristallisiert, wel­chen Arznei­mitteln der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) auf der Basis der soge­nannten Herstellerdossiers, der Berichte und der Diskussionen bei den Anhörungen ei­nen Zusatznutzen zur festgelegten Vergleichstherapie attestiere. Zentrale Kriterien des G-BA seien Ergebnisse von Phase-III-Studien, eine Verlängerung der Überlebens­zeit und auch immer häufiger Daten zur Lebensqualität und zum Patient-Reported Outcome. 

Einen besonderen gesetzlichen Schutz genießen außerdem Arzneimittel für seltene Er­krankungen mit einem Orphan-Drug-Status. Ihr Zusatznutzen gilt durch die Zulassung als belegt. „Durch dieses Raster fallen allerdings Arzneimittel für kleine Gruppen von Patien­ten, die molekulargenetisch gut definiert sind, aber keinen Orphan-Drug-Status haben“, kritisiert die DGHO

Die Fachgesellschaft nennt beispielhaft die Entscheidung des G-BA zum Lungenkrebs­medikament Crizotinib (Xalkori) bei Patienten mit ROS1-positivem, nichtkleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC). Crizotinib ist ein oraler Tyrosinkinase-Inhibitor. „Er führt bei 70 bis 80 Prozent dieser Patienten zu einem nachhaltigen Ansprechen. Die Ergebnisse sind besser als historische Daten zur Chemotherapie, vor allem ist die Behandlung mit Crizo­tinib besser verträglich“, hieß es aus der DGHO. Allerdings gebe es in Deutschland pro Jahr nur 300 bis 400 neuerkrankte Patienten.

Der G-BA hat am 16. März 2017 für Crizotinib beim ROS1-positiven Lungenkarzinom die Festlegung „Zusatznutzen nicht belegt“ getroffen. Der Bundesausschuss hat dazu zwi­schen vorbehandelten und nicht vorbehandelten Patienten unterschieden und für beide Gruppen stadienabhängig zweckmäßige Vergleichstherapien angegeben. Im G-BA-Be­schluss findet sich zu jedem Szenario als Konklusion der Auswertungen ein Satz: „Es lie­gen keine validen Daten vor.“ (Seite drei im Abschnitt „Studienergebnisse nach End­punk­ten“). 

In seinen „Tragenden Gründen zum Beschluss“ formuliert der G-BA allerdings (auf Seite acht): „Für nicht-vorbehandelte Patienten mit ROS1-positivem NSCLC kann eine Be­hand­­lung gemäß Fachinformation unter Berücksichtigung der unterschiedlich ausge­präg­­ten Nebenwirkungsprofile von Crizotinib und insbesondere einer platinbasierten Chemotherapie in der patientenindividuellen Abwägung in Einzelfällen eine relevante Therapieoption sein“.

„Diese Begründung offenbart das Dilemma des G-BA. Er zeigt Verständnis für die klini­sche Situation und den verordnenden Arzt, ist aber gleichzeitig gefangen im Korsett der eigenen Regeln, die einen Zusatznutzen nur dann definieren können, wenn eine rando­misierte Studie mit einem Kontrollkollektiv vorliegt“, kommentierte Carsten Boke­meyer, ge­schäftsführender Vorsitzender der DGHO, die G-BA-Stellungnahme. Er schlägt daher eine neue Regelung im AMNOG vor. Sie sollte für kleine, molekular definierte Patienten­gruppen gelten, die zahlenmäßig den seltenen Erkrankungen entsprechen und bei de­nen randomisierte Studien realistisch nicht mehr durchführbar sind. 

Warum aber werden Arzneimittel für diese Patienten nicht einfach als Orphan Drug ge­führt, für die ja nach Zulassung der Zusatznutzen per se als gegeben angenommen wird? „Die European Medicines Agency (EMA) vergibt den Orphan-Drug-Status nur für ganze Indikationen“, erläutert die DGHO. Diese Begrenzung entspreche nicht mehr der Entwicklung in der personalisierten Krebstherapie, die auf der Basis prädiktiver biologi­scher Marker das Ansprechen auf eine gezielte Therapie vorhersagen könne.

hil

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