Organisationen bemängeln Hartz-IV-Sanktionen

Berlin – Die Hartz IV-Sanktionen verfehlen ihre Wirkung und können bei den Empfängern sogar Krankheiten auslösen. Zu dieser Schlussfolgerung kommen die Autoren einer heute in Berlin vorgestellten Analyse. Anstatt Menschen nachhaltig in Arbeit zu bringen, hätten Kürzungen der Grundsicherung bei Verstößen gegen Auflagen der Jobcenter einen einschüchternden Effekt, heißt es darin.
„Sanktionen verfehlen ihre behauptete Wirkung. Sie verursachen fast immer eine Kultur des Misstrauens“, sagte die Gründerin des Vereins „Sanktionsfrei“, Helena Steinhaus, anlässlich der Vorstellung der Untersuchung. Die Sanktionen hätten auch keinen motivierenden Effekt auf die Kooperationsbereitschaft der Grundsicherungsempfänger.
Sanktionen wirkten demotivierend und verschlechterten in vielen Fällen die gesundheitliche Situation, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. „Sanktionen haben nachweislich keinen erzieherischen Effekt“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider. Sie stellten eine „tiefschwarze Rohstockpädagogik“ dar, die abgeschafft gehöre.
Der Verein „Sanktionsfrei“, das DIW und der Paritätische Gesamtverband forderten eine umfassende Reform der Grundsicherung, zu der auch eine substanzielle, bedarfsgerechte Anhebung der Regelsätze gehöre. Die bisher vorgestellten Pläne der Ampelkoalition für ein Bürgergeld seien unzureichend, lautete die gemeinsame Kritik.
Der vorliegende Gesetzesentwurf für das neue Bürgergeld gibt den Jobcentern weiter die Möglichkeit, als Sanktion bei Verstößen den Regelsatz um bis zu 30 Prozent zu kürzen. Nach aktuellen Verlautbarungen soll der Regelsatz ab dem 1. Januar 2023 um lediglich 50 Euro auf rund 500 Euro angehoben werden.
Das Plus müsse bei mindestens 200 Euro liegen, sagte „Sanktionsfrei“-Gründerin Steinhaus. Fratzscher verwies darauf, dass im laufenden Jahr mit einer Inflation von knapp zehn Prozent zu rechnen sei, im kommenden Jahr mit weiteren acht Prozent. Daher sei die von der Regierung bislang geplante Anhebung der Leistungen, die rund elf Prozent ausmache, nicht ausreichend.
Ab Januar 2023 soll Hartz IV durch das neue Bürgergeld ersetzt werden. Die Neuregelung der Sanktionen war auch deshalb nötig geworden, weil das Bundesverfassungsgericht 2019 diese teilweise für verfassungswidrig erklärt hatte.
Sanktionen seien ein schwerwiegender Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und nur gerechtfertigt, wenn sie nachweislich eine positive Wirkung auf das Arbeitsverhalten der Betroffenen haben, urteilten die Karlsruher Richter.
NAch Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit lebten im Juli 2022 rund 5,6 Millionen Personen in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften, unter ihnen rund 1,75 Millionen Kinder. Die dreijährige Langzeitbeobachtung „Hartz Plus“ wurde im Auftrag des Vereins „Sanktionsfrei“ vom Institut für empirische Sozial- und Wirtschaftsforschung Berlin (Ines) vorgenommen.
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