Politik

Parität: Kritik am Gesundheits­ministerium, aber auch positive Entwicklungen

  • Donnerstag, 7. März 2024
/fotogestoeber, stock.adobe.com
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Berlin – Der Frauenanteil in den Selbstverwaltungsgremien der Ersatzkassen und auch bei der Ärztekammer Berlin ist gestiegen. Kritik gibt es an der Besetzung politischer Spitzenposten.

Der Runde Tisch der „Frauen im Gesundheitswesen“ bemängelte heute eine fehlende Parität bei der Neube­setzung von Schlüsselpositionen im Gesundheitswesen. So seien im letzten halben Jahr vier wichtige Ämter durch das Gesundheitsministerium neu vergeben worden.

Das betreffe das Robert-Koch-Institut (RKI), das im Aufbau befindlichen Bundesinstituts für Prävention und Aufklärung in der Medizin sowie des Paul Ehrlich Instituts. Zudem gebe es bei der Gematik einen männlichen Geschäftsführer für die Interimsphase.

Wenngleich die Kompetenz der Berufenen nicht infrage zu stellen sei, dürfe bezweifelt werden, dass es nicht geeignete weibliche Kandidatinnen gegeben hätte, schreibt die Initiative. „Damit stehen inzwischen alle Bundesoberbehörden unter männlicher Führung“.

Die „Frauen im Gesundheitswesen“ warnen davor, gerade in der kritischen Phase des Auf- und Umbaus von Organisationen auf die weibliche Perspektive zu verzichten. In einem System, das ganz maßgeblich von Frauen getragen werde, müssten anstehende Entscheidungen auch maßgeblich von ihnen mitgestaltet werden können. Deshalb sei es wichtig und überdies zeitgemäß, eine paritätische Teilhabe von Frauen an diesen Prozessen zu gewährleisten.

Mit Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre zieht der Runde Tisch „Frauen im Gesundheitswesen“ eine gemischte Bilanz. So sei die Zahl der Frauen in den Chefetagen des Gesundheitswesens deutlich gestiegen. Noch vor wenigen Jahren sei in den Führungspositionen des Gesundheitswesens kaum eine Frau zu finden gewesen.

Mittlerweile seien zum Beispiel in den Vorständen der zehn größten Krankenkassen acht Frauen vertre­­ten. 2019 seien es noch zwei gewesen. Eine ähnliche Entwicklung gibt es demnach in den Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen und deren Bundesorganisationen. Dies sei „allerdings ausschließlich den gesetzlich veranker­ten Quoten zu verdanken. „Dort, wo es keine Quote gibt, zum Beispiel in den Kammern, sieht es schlechter aus.“

Aus Sicht des Rundes Tisches „Frauen im Gesundheitswesen“ ist noch jede Menge Luft nach oben. Das Ge­sundheitssystem steht vor gewaltigen Herausforderungen und befindet sich in einem massiven Umbruch. Um die weibliche Perspektive stärker in die Gestaltungs und Entscheidungsprozesse einzubinden, braucht es schnell eine paritätische Besetzung auf allen Führungsebenen.

Positive Signale kommen aus der gemeinsamen Selbstverwaltung. Der Frauenanteil in den entsprechenden Gremien der Ersatzkassen (vdek) und der Deutschen Ren­tenversicherung (DRV) Bund ist bei der vergangenen Sozialwahl 2023 gestiegen. Darauf weisen die Krankenkassen und die DRV Bund hin.

Gegenüber der Wahl 2017 stieg der Frauenanteil in den Verwaltungsräten der Kassen von rund 37 Prozent auf aktuell 44,4 Prozent. Bei der Vertreterversammlung der Rentenversicherung stieg der Frauenanteil von etwa 20 Prozent auf mehr als 40 Prozent.

Erstmals gab es bei der Sozialwahl eine Geschlechterquote, wonach die zur Wahl stehenden Listen einen Frauenanteil von mindestens 40 Prozent haben mussten. „Ich freue mich, dass damit nun noch mehr weibliche Expertise in den Gremien der Selbstverwaltung vertreten ist.

Zum Frauentag möchte ich alle Frauen ermutigen, sich ehrenamtlich einzubringen“, sagte Doris Barnett, stellvertretende Bundeswahlbeauftragte für die Sozialversicherungswahlen 2023.

Die Ärztekammer Berlin weist darauf hin, dass in der im Januar 2024 konstituierten Delegiertenversammlung der 16. Amtsperiode 21 der 46 Mitglieder Frauen sind. Außerdem seien sieben Ärztinnen in den Vorstand gewählt worden, der elf Mitglieder habe. Zudem seien in Zukunft mehr Vorsitze der Gremien als bisher von Frauen besetzt werden.

Das Gesundheitswesen brauche die Stimme und die Erfahrungen der Frauen, um beispielsweise zeitgemäße Arbeitsmodelle zu etablieren und damit die Arbeitsbedingungen für allezu verbessern, hieß es. Daher danke der Vorstand in besonderer Weise den ärztlichen Kolleginnen, die sich in der Ärztekammer Berlin ehrenamt­lich engagieren.

Aus Sicht von Wenke Wichmann, Sprecherin des Ausschusses Ärztinnen im Hartmannbund, stehen der Chancengerechtigkeit im Arztberuf strukturelle Defizite entgegen. Daher seien die Forderungen nach einem Wandel in der ärztlichen Arbeitskultur weiter aktuell, sagte sie.

Flexible Arbeitszeitmodelle, Teilzeitmöglichkeiten, die nicht als mangelnde Leistungsbereitschaft gewertet würden, und strukturelle Unterstützung bei der Kinderbetreuung seien weiterhin nötige Beiträge dazu, dass sowohl Ärztinnen als auch Ärzte Familie und Beruf besser vereinbaren könnten.

Ein Wandel hin zu Chancengleichheit für Ärztinnen in Kliniken, Universitäten und in den Gremien der ärztlichen Selbstverwaltung erfordere weitere gezielte Maßnahmen insbesondere zur Förderung von Ärztinnen in Führungspositionen.

Auch die Ärztekammer Hamburg sieht Nachholbedarf bei der Gleichbehandlung, insbesondere mit Blick auf Führungspositionen und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Im Jahr 2020 haben wir in der Kammer erstmals mehr weibliche als männliche Mitglieder verzeichnet. Dieser Trend hat sich fortgesetzt“, sagte Kammer­präsident Pedram Emami.

Inzwischen seien rund 52 Prozent der Mitglieder Ärztinnen. Sowohl in den Krankenhäusern als auch in den Praxen der Stadt arbeiteten mehrheitlich Kolleginnen. Diese Entwicklung werde sich in den kommenden Jahren verstärken. Denn es studieren deutlich mehr junge Frauen Medizin als junge Männer.

„Allerdings sind Ärztinnen in Führungspositionen und auch in der selbständigen Niederlassung nach wie vor unterrepräsentiert. Daran müssen wir arbeiten“, sagte Kammervizepräsidentin Birgit Wulff mit Blick auf die Statistik. Die Kammer bemühe sich daher, die Beschäftigungschancen von Ärztinnen zu erhöhen.

Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Henriette Neumeyer, wies darauf hin, dass es immer mehr Ärztinnen in den Kliniken gibt. Ihr Anteil am gesamten medizinischen Personal habe im Jahr 2002 noch bei knapp 35 Prozent.

20 Jahre später sei „mit 47,1 Prozent schon fast Parität erreicht“,sagte sie. Das Geschlechterverhältnis unter den Ärztinnen und Ärzten wird sich ihrer Ansicht nach in absehbarer Zeit komplett drehen. Der Grund: 73,2 Prozent der Medizinerstsemester seien 2021 Studentinnen gewesen, im selben Jahr seien 71 Prozent der Absolventen weiblich gewesen.

Sie sieht dennoch noch viel zu tun. Sü würden etwa zu viele Karrierewege von Ärztinnen in der Schwanger­schaft und frühen Mutterzeit nachhaltig unterbrochen, viel mehr Ärztinnen arbeiteten in Teilzeit als ihre männlichen Kollegen. Auch der Chefarzt sei im Gegensatz zur Chefärztin noch immer die Regel.

EB/may/hil

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