Pharmaverband: Ärzte vor Regressrisiko schützen
Berlin – Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) hat die nächste Bundesregierung dazu aufgefordert, Ärzte von Regressdrohungen zu befreien, wenn sie neue Arzneimittel verordnen. „Die nächste Regierung muss dafür Sorge tragen, dass als Mischpreise verhandelte Erstattungspreise über alle Subgruppen hinweg als wirtschaftlich gelten“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des BPI, Norbert Gerbsch, heute auf einer Pressekonferenz in Berlin. Denn solange das Damoklesschwert der Regressdrohung über den Ärzten schwebe, würden selbst überlegene neue Arzneimitteltherapien nur unzureichend in der Versorgung ankommen.
Zum Hintergrund: Gemäß Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) bewertet der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) den Zusatznutzen neuer Arzneimittel im Vergleich zu einer zuvor festgelegten Standardtherapie. Dabei bildet der G-BA bei Bedarf Subgruppen – immer dann, wenn das Medikament nur bei bestimmten Patientengruppen einen Zusatznutzen entfaltet. Bei den anschließenden Preisverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Hersteller wird jedoch nur ein einziger Preis verhandelt, der für alle Patientengruppen gleichermaßen gilt.
Als wirtschaftlich wird dieser Preis von den Krankenkassen jedoch nur dann angesehen, wenn Ärzte das Medikament den Patienten verordnen, für deren Subgruppe der G-BA einen Zusatznutzen anerkannt hat. Verordnen Ärzte das Medikament einem Patienten aus einer anderen Subgruppe, laufen sie Gefahr, in Regress genommen zu werden.
Manche neuen Arzneimittel werden trotz Zusatznutzen nur zurückhaltend verordnet. Ein weiteres Problem sprach Dieter Cassel von der Universität Duisburg-Essen an, der zusammen mit Volker Ulrich von der Universität Bayreuth im Auftrag des BPI den „AMNOG-Check 2017“ verfasst hat, der heute vorgestellt wurde. So würden manche der neuen Arzneimittel, denen der G-BA einen hohen Zusatznutzen attestiert hat, nur zurückhaltend von Ärzten verordnet.
Dieses Problem hat der Gesetzgeber in diesem Jahr im Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) adressiert und den G-BA damit beauftragt, seine Beschlüsse für die Nutzenbewertung neuer Arzneimittel künftig so aufzubereiten, dass sie in der Praxissoftware abgebildet werden können. Gerbsch forderte, dass über ein solches Arztinformationssystem nicht die Verordnung gesteuert werden dürfe. Der Arzt müsse in seiner Verordnungsentscheidung unbeeinflusst bleiben.
22 Marktaustritte in fünf Jahren
Im AMNOG-Check wurde auch untersucht, wie viele neue Arzneimittel nach Inkrafttreten des AMNOG entweder nicht in Deutschland eingeführt wurden oder nach ihrer Einführung wieder vom Markt genommen wurden. Von den 170 Arzneimitteln, die zwischen 2011 und 2015 in der Europäischen Union zugelassen und im Rahmen des AMNOG-Verfahrens bewertet wurden, seien 30 nicht in Deutschland eingeführt und weitere 22 nach einer Einführung wieder vom Markt genommen worden, wie Volker Ulrich erklärte. Das seien insgesamt 30 Prozent.
Der Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, wies auf Anfrage des Deutschen Ärzteblatts darauf hin, dass es sich bei diesen Arzneimitteln größtenteils um Medikamente handelte, denen der G-BA keinen Zusatznutzen zuerkannt hatte. „Wenn Arzneimittel ohne einen Mehrwert für die Versicherten vom Markt verschwinden, kann ich daran nichts Schlechtes erkennen“, betonte Lanz.
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