Politik debattiert über Zeitpunkt für Lockerungen von Coronamaßnahmen

Berlin – In der Debatte um mögliche Lockerungen der Coronamaßnahmen haben Politiker von SPD und Grünen am Wochenende vor vorschneller Öffnung gewarnt. Bei zu frühen Lockerungen „stellen wir unseren eigenen Erfolg unnötig infrage und riskieren neue, gefährliche Infektionen und eine Verlängerung der Welle“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) der Bild am Sonntag.
Aus der FDP und einigen Bundesländern kamen dagegen Forderungen nach baldigen Öffnungsschritten. Bei der Bund-Länder-Konferenz Mitte des Monats sollten konkrete Schritte beschlossen werden, sagte FDP-Fraktionschef Christian Dürr am Sonntag der Welt. Zuerst gehe es um die Aufhebung der 2G-Regel im Einzelhandel, außerdem müssten die Kontaktbeschränkungen für Geimpfte überprüft werden.
Für den 16. Februar ist das nächste Spitzengespräch zwischen den Ministerpräsidenten und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geplant. Dort könnten bundesweite Lockerungen vereinbart werden. Am 24. Januar hatten sich Bund und Länder darauf verständigt, „Öffnungsperspektiven“ zu entwickeln, sobald eine Überlastung des Gesundheitssystems ausgeschlossen werden kann.
Auch die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) wünscht sich für die Bund-Länder-Runde „kluge Ideen für Erleichterungen“. Den Menschen müsse Sicherheit gegeben werden, „dass es auch wieder Lockerungen gibt“, sagte sie der Rheinischen Post. Dreyer betonte aber, dass erst der Höhepunkt der Omikron-Welle abgewartet werden müsse.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte einen Stufenplan von der Bundesregierung. „Wir sollten bei Kultur, Sport und Handel weitere Öffnungsschritte angehen, wenn die Krankenhauszahlen stabil bleiben“, sagte er der Bild am Sonntag.
Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann (Grüne) und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sprachen sich gegen schnelle Lockerungen aus. Kretschmann sagte im Deutschlandfunk, Lockerungen würden „selbstverständlich kommen“, wenn die Belastung des Gesundheitswesens das zulasse. Eine „Exit-Strategie“ könne er sich aber „vor Ostern gar nicht vorstellen“.
Auch der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) sieht aktuell noch keinen Anlass für Lockerungen. „Selbstverständlich ist jetzt gerade bei Hoch-Inzidenzen nicht der Zeitpunkt, wo man lockert“, sagte er dem Fernsehsender Welt. „Wir müssen uns aber auf den Zeitpunkt vorbereiten, denn der Scheitelpunkt der Welle wird eben auch durchschritten sein.“
Erwartungen an Bund-Länder-Konferenz
Mit Blick auf eine Lockerungsperspektive bei der Bund-Länder-Konferenz am 16. Februar sagte Hans, es sei die Erwartungshaltung an die Ministerpräsidentenkonferenz, „dass diese Schritte miteinander besprochen und vorbereitet werden“.
Ähnlich äußerte sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) im ZDF: „Die leichteren Krankheitsverläufe bei Omikron geben uns die Chance, die Grundrechtseingriffe Stück für Stück zurückzunehmen, wenn der Scheitelpunkt, wenn der Höhepunkt dieser Welle erreicht ist.“
Die Gastronomie forderte einen Öffnungsplan für ganz Deutschland. „Da sich abzeichnet, dass Omikron trotz hoher Inzidenzwerte das Gesundheitssystem nicht überfordert, sollten Bund und Länder rasch, möglichst schon Mitte Februar bei ihrer nächsten Konferenz, einen bundesweit einheitlichen Öffnungsplan vereinbaren“, sagte die Hauptgeschäftsführerin des Gastgewerbeverbands Dehoga, Ingrid Hartges, der Rheinischen Post.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach sich für Einheitlichkeit aus. „Ich halte es für wichtig, dass wir die einzelnen Schritte, was kommt zuerst, miteinander abstimmen“, sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Natürlich brauchen wir eine Öffnungsperspektive, aber die Lockerungen müssen zum richtigen Zeitpunkt kommen.“
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, forderte eine klare und verlässliche Perspektive; das heiße aber nicht, dass sofort Öffnungen erfolgen sollten. „Auch sollten keine festen Termine für Lockerungen genannt werden, die am Ende wieder kassiert werden müssen und bei allen Beteiligten zu Enttäuschungen führen“, sagte Gaß der Rheinischen Post.
Vor schnellen Lockerungsschritten warnte der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner in der Augsburger Allgemeinen. Man könne über diese zwar jetzt nachdenken, „aber realisieren sollte man sie jetzt noch nicht“, sagte der Chefarzt der Infektiologie an der München Klinik Schwabing.
Bis mindestens April seien hohe Inzidenzen zu erwarten. „Zwar gibt es bei Omikron nicht so schwere Verläufe, aber immerhin sind es trotzdem 0,5 Prozent der Neuinfizierten, die rein statistisch gesehen schwer erkranken.“
Die Auslastung der Intensivbetten sei „nicht die ganze Wahrheit“, betonte Wendtner. „Denn bei Omikron sind stattdessen im hohen Maße eben die Normalstationen gefordert.“ Auch dort gebe es begrenzte Kapazitäten.
Einer aktuellen Umfrage zufolge spricht sich derzeit knapp die Hälfte der Deutschen für Lockerungen aus. Laut der Befragung von Insa für die Bild am Sonntag sind 49 Prozent der Deutschen für Öffnungsschritte und 44 Prozent dagegen.
Auf die größte Ablehnung stießen Kontaktbeschränkungen für Geimpfte: Zwei Drittel der Befragten wollen sie abschaffen. Dagegen sprach sich eine deutliche Mehrheit von 71 Prozent dafür aus, die Maskenpflicht in Bussen und Bahnen beizubehalten.
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