Politik sollte Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen priorisieren

Leipzig – Der Deutsche Ärztetag in Leipzig hat den Gesetzgeber aufgerufen, die rechtlichen Grundlagen dafür zu schaffen, dass Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen priorisiert werden kann. Dazu soll vor allem im Paragraf 12 des Sozialgesetzbuches V der Begriff „Nachhaltigkeit“ eingefügt werden. In dem Paragraf werden die Wirtschaftlichkeitskriterien für das Gesundheitswesen festgelegt.
Derzeit trage das deutsche Gesundheitswesen mit etwa fünf Prozent zu den nationalen Gesamtemissionen bei, erklärten die Delegierten in einem Beschluss. Obwohl das Gesundheitswesen damit das eigene Ziel konterkariere, die Bürger gesund zu erhalten, finde Klimaschutz aktuell keinen Niederschlag in den finanziellen Vorgaben des Systems. „Daher ist der Handlungsspielraum für Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen bisher eng begrenzt“, kritisierten die Delegierten.
Für mehr nachhaltiges Handeln bedürfe es einer Berücksichtigung nicht nur von Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen und deren Wirtschaftlichkeit, sondern auch der Nachhaltigkeit.
Neubauten nachhaltig planen
Um die gesundheitsschädlichen Folgen des Klimawandels zu reduzieren, mahnt der Ärztetag noch zahlreiche weitere Aktivitäten von Bund und Ländern an. Ein großer Teil der Emissionen des Gesundheitswesens könnte durch besser gedämmte Gebäudehüllen von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen eingespart werden.
Deshalb riefen die Delegierten die Bundesländer und die Kommunen erneut dazu auf, bei Neubauten und Modernisierungen von Gesundheitseinrichtungen Nachhaltigkeitskriterien höher zu bewerten als das Sparsamkeitsgebot.
„Die Bundesregierung wird aufgefordert, Länder und Kommunen in diesem Handeln gesetzgeberisch und finanziell zu unterstützen“, heißt es in einem Beschluss. Im Zuge der derzeitigen Transformation der Krankenhauslandschaft werden in Deutschland heute zahlreiche Neu- und Umbauten von Krankenhäusern geplant.
Obwohl die Folgen der Erdüberhitzung vielerorts bereits jetzt gravierend seien, würden nach wie vor Gesundheitseinrichtungen geplant und gebaut, die das heute verfügbare Potenzial klimaschonender Techniken und Maßnahmen bei Weitem nicht ausschöpfen, kritisierte der Ärztetag. „Viele davon werden zu einem Zeitpunkt in Betrieb gehen, zu dem Klimaneutralität auch gesetzlich gefordert ist.“
Kurzfristig realisierte Einsparpotenziale würden später nicht nur vielfach höhere Folgekosten, sondern auch vermeidbares menschliches Leid nach sich ziehen. „Der Staat wird hier seiner Fürsorgepflicht ebenso wenig gerecht wie seiner Vorbildfunktion“, heißt es in dem Beschluss des Ärztetages. „Es ist besonders paradox, wenn Einrichtungen, die der Gesundheit und dem Leben gewidmet sind, dazu beitragen, Lebensgrundlagen zu zerstören.“
Hitzeaktionspläne in allen Gemeinden
Konkretes und zeitnahes Handeln wünscht sich der Ärztetag auch beim Hitzeschutz, bei der Ernährung und im Hinblick auf die Energiewende. So müssten Hitzeaktionspläne in allen Städten und Gemeinden umgesetzt werden – so, wie es die Gesundheitsministerkonferenz bereits 2020 gefordert habe.
Zudem forderten die Delegierten Klinikträger und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) auf, in allen Kliniken gesunde Mahlzeiten anzubieten, die sich an den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) beziehungsweise an der von der EAT-Lancet-Kommission entwickelten Planetary Health Diet orientieren.
Darüber hinaus müssten Subventionen in fossile Energieträger beendet werden, um die planetare Gesundheit zu schützen. „Der 129. Deutsche Ärztetag stellt fest, dass jeder Tag, an dem fossile Energien verbrannt werden, das gesundheitliche Risiko für die Menschen erhöht“, heißt es in einem Beschluss.
Klimaschutz: Ärzte müssen ihre Stimme erheben
Robin Maitra, Hausarzt aus Baden-Württemberg, betonte, dass „der Klimawandel uns in unserer alltäglichen ärztlichen Tätigkeit zunehmend beschäftigen wird“ – auch, wenn das Thema politisch und gesellschaftlich momentan in den Hintergrund getreten sei.
„Wir haben momentan vom einen Jahr aufs andere einen Anstieg der Temperatur um 0,3 Grad Celsius“, betonte Maitra. „Und wir sind hier in Europa deutlich stärker betroffen.“ Er verwies auf den Bergrutsch im Lötschental, der vorgestern – infolge des Abtauens eines Gletschers – ein Bergdorf verschüttet hatte.
Angesichts des Voranschreitens des Klimawandels dürften gerade Ärztinnen und Ärzte nicht nachlassen, ihre Stimme zu erheben und vor den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels zu warnen. Denn sie seien ganz wichtig dabei, den Zusammenhang von Klimaschutz und Gesundheit zu erklären.
Ärztetag priorisiert Klima- und Gesundheitsschutz
Auch Florian Gerheuser aus Bayern betonte: „Ich freue mich, dass der Klimawandel hier eine Wichtigkeit erfährt, die wir draußen gerade nicht sehen.“ Bei einer Abstimmung zur Priorisierung der noch zu diskutierenden Themen hatten die Delegierten das Thema „Klima- und Gesundheitsschutz“ – nach dem Medizinstudium – auf den zweiten Platz gewählt.
„Wir haben uns daran gewöhnt, dass der Klimawandel ein Fakt ist“, fuhr Gerheuser fort. „Wir sehen zunehmende Katastrophen und Veränderungen und wir tun eigentlich immer weniger.“ Deswegen sei es so wichtig, dass vom Ärztetag ein klares Signal ausgehen: „Wir haben noch die Zeit, etwas zu tun. Die Technologien sind vorhanden. Wir können noch umsteuern.“
Es sei wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte klar sagten: „Das ist ein Gesundheitsthema. Es gibt keine menschliche Gesundheit auf einem kranken Planeten. Wenn wir da nichts tun und uns nicht äußern, werden wir uns von unseren Kindern und Enkeln fragen lassen müssen: Warum habt ihr nichts getan?“
Nur wirklich notwendige Arzneimittel verordnen
Bereits seit vielen Jahren betont der Deutsche Ärztetag die Bedeutung eines ernsthaften Klimaschutzes für die Gesundheit der Menschen. 2021 forderte der Ärztetag zum Beispiel, das deutsche Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral auszugestalten.
Von der Politik ist dieses Thema hingegen bislang nicht aufgegriffen worden. Auch im aktuellen Koalitionsvertrag der schwarz-roten Koalition ist die Reduzierung der Treibhausgasemissionen des Gesundheitswesens kein Thema – obwohl der Anteil der Emissionen des Gesundheitswesens an den Gesamtemissionen Deutschlands immer weiter ansteigt.
Jürgen de Laporte aus Baden-Württemberg wies darauf hin, dass der CO2-Abdruck einer Arztpraxis zu einem großen Teil durch die Arzneimittel bestimmt wird, die ein Arzt verordnet. Durch eine Änderung des Medikationsplans sei es möglich, den CO2-Abdruck zu reduzieren.
Es sei sowohl im Interesse der Patienten als auch des Klimas, wenn stets überlegt werde, wie auch ohne die Verordnung von Arzneimitteln etwas bewirkt werden könne: hauptsächlich durch eine Gewichtsabnahme. Es könnten viele Medikamente eingespart werden, wenn es gelingen könne, übergewichtige Patienten zum Abnehmen zu motivieren.
Kinder besser vor Klimawandel schützen
Der Ärztetag setzte sich heute in noch weiteren Beschlüssen für mehr Klimaschutz ein, zum Beispiel im Hinblick auf den Schutz von Kindern und Jugendlichen. So forderten die Delegierten den Gesetzgeber auf, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor den Gesundheitsfolgen der Klimakrise zu einer vorrangigen Aufgabe zu machen.
„Der 129. Deutsche Ärztetag erkennt an, dass die Klimakrise ein akuter medizinischer Notfall ist und fordert Maßnahmen sowohl zur Emissionsminderung von Treibhausgasen als auch zur Anpassung an unvermeidbare Klimaveränderungen, um die Gesundheit kommender Generationen zu bewahren“, heißt es in dem Beschluss.
„Kinder und Jugendliche tragen eine besondere Last der Klimakrise, obwohl sie nicht für deren Entstehung verantwortlich sind.“ Ihre physiologische Anfälligkeit mache sie besonders empfindlich gegenüber Hitze, UV-Strahlung und Umweltgiften.
Es sei zentral, eine klima- und gesundheitsfördernde Lebensumwelt zu schaffen. Dazu gehörten Hitzeschutzkonzepte in Kindergärten, Schulen und Kliniken, saubere Luft und sauberes Wasser, Zugang zu gesunden, regionalen Lebensmitteln und sichere, autofreie Wege. Das Bundesverfassungsgericht habe 2021 in seinem Klimaschutzbeschluss klargestellt, dass heutiges Nichthandeln die Freiheits- und Gesundheitsrechte kommender Generationen massiv einschränke.
Klimawandel ist auch ein Sicherheitsrisiko
Zudem wiesen die Delegierten darauf hin, dass die Klimakrise nicht nur ein Gesundheits-, sondern auch ein Sicherheitsrisiko darstelle. Mittelfristig werde die Destabilisierung des Planeten durch steigende Krankheitslast, zunehmende Extremwetterereignisse, hitzebedingte Produktivitätsverluste, neue Pandemien, Trinkwasser- und Nahrungsmittelknappheit sowie lokale und regionale Konflikte um knapper werdende Ressourcen zu einer existenziellen Frage, „auf die wir nur unzureichend vorbereitet sind und deren Ausmaß es dringlich abzumildern gilt“.
Der 129. Deutsche Ärztetag 2025 fordert die Bundesregierung dazu auf, die Klimakrise sowohl als Gesundheits- als auch als zentrales Sicherheitsrisiko anzuerkennen und dementsprechend zu handeln.
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